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Plötzlich vernahmen sie das Getrampel von Schritten vor der Haustüre, dann Geschrei und Krach aus dem Wohnzimmer und einen weiteren Schuß ganz in der Nähe. Dann herrschte Stille.

»Zur Hölle damit! Das dürfte diesen verdammten Schweinen den Rest gegeben haben, oder?« rief irgend jemand unten. »Durchsuch das Haus!« befahl eine andere Männerstimme. Durch die zersplitterte Tür hörten die Mädchen Schritte, die erst in die Küche gingen und dann die Treppe heraufkamen. Schüsse fielen in dem engen Flur vor dem Schlafzimmer, begleitet von dem dumpfen Aufschlag von auf den Boden fallenden Leibern, der das Blut in den Adern gerinnen ließ. »Hab' noch drei hier oben umgelegt!« brüllte eine Stimme. »Die Tür ist abgeschlossen - jemand versteckt sich da drin!« Unmittelbar darauf kam jemand die Stiege heraufgerannt. »Wer ist da drin?« fragte eine herrische Stimme. Die Mädchen glaubten, im Anschluß an die Frage ein schrilles Kichern zu hören.

»Aufmachen, oder wir schießen die Tür auf!« »W-wir sind es«, brachte Ann schließlich hervor. »Ann und Karen Miller. Nicht schießen. Wir machen auf.« Sie war noch immer völlig verängstigt und lauschte wachsam auf jedes Geräusch hinter der Tür. Draußen vor dem Haus wurde ein Motor abgestellt und sie hörte, wie eine Wagentür geöffnet und wieder zugeschlagen wurde.

»Was für eine fürchterliche Schweinerei«, bemerkte eine Mädchenstimme im Vorgarten.

»Na wenn schon!« erwiderte jemand. »Laß uns lieber mal

nachschauen, ob da drinnen was zu holen ist.«

Ann schob den Riegel beiseite und trat zurück, um die Tür

nach innen zu öffnen. Das erste, was sie sah, war die Mündung

einer Waffe, die direkt auf ihre Brust gerichtet war. Sie sprang

zurück und erkannte, daß die Waffe in der Hand eines

Polizisten ruhte, in der Uniform der Staatspolizei.

Der Polizist schaute Ann einen Augenblick wortlos an, dann

wollte er wissen: »Wer ist sonst noch hier?«

»N-nur meine Schwester«, stotterte Ann. »S-sie ist

schwanger.«

Der zweite Mann, den Ann nicht sehen konnte, kicherte wieder.

»Sagen Sie ihr, sie kann rauskommen«, wies sie der Staatspolizist an. Er war ein großer, gut gebauter Mann Anfang dreißig und sah nicht schlecht aus.

Karen kroch unter dem Bett hervor und näherte sich schüchtern. Der Polizist nahm Ann am Arm und führte sie und Karen aus dem Zimmer. Der zweite Mann lächelte sie an. Er trug keine Uniform, sondern ein einfaches Wollhemd und Jeans. Ein Revolver steckte in seinem Gürtel, und er hielt ein Gewehr in der Hand.

»Sie brauchen keine Angst vor uns zu haben. Wir haben Sie schließlich gerettet, Teufel noch mal«, beruhigte sie der Mann in Zivil. Ohne eine Antwort zu erwarten, wandte er sich um, stieg über eine der Leichen, die im Flur niedergeschossen worden waren, und ging die Treppen hinunter. Karen und Ann schauten die Leichen nicht an. Sie folgten dem Polizisten die Stiege hinunter ins Wohnzimmer. Als sie den Treppenabsatz erreichten, sahen sie gerade noch, wie die Überreste ihres Vaters aus dem Wohnzimmer und durch den Eingang nach draußen geschleppt wurden. Karen schnappte nach Luft, warf sich Ann an den Hals und fing an zu schluchzen. Ann hatte auch leise zu weinen begonnen. Wenig später konnten sie aus dem Vorgarten das laute Krachen eines einzelnen Schusses hören.

» Es tut mir leid «, entschuldigte sich der Staatspolizist leise mit dem Blick auf Ann gerichtet. »Es geht nicht anders. Wenn wir das nicht gemacht hätten, hätte er versucht, wieder auf die Beine zu kommen. Das tun sie alle, wenn ihr Gehirn nicht zerstört wird. Sie meinen vielleicht, Sie wollten ihn wieder leben sehen, aber da irren Sie sich, glauben Sie mir. So würden Sie ihn nicht haben wollen!«

»Ich weiß«, brachte Ann mit erstickter Stimme hervor. »Ist schon gut. Wir verstehen das. Es ist schwer hinzunehmen, alles..., aber wir würden ihn gern beerdigen.« »Natürlich«, sagte der Polizist.

Der Mann in dem Wollhemd starrte Ann vom Eingang aus an. Er war es gewesen, der den Schuß im Garten abgegeben hatte. Er steckte seinen Revolver, langsamer als nötig gewesen wäre, wieder ins Halfter und nahm sein Gewehr, das er an die Wand gelehnt hatte, in die Hand. Seine Augen funkelten und er grinste ununterbrochen nicht besonders freundlich. Diese ständige Grinsen gab seinem Gesicht, das sonst nichts

Bemerkenswertes aufwies, einen sonderbaren Ausdruck; seine Züge waren regelmäßig, sein Haar sandfarben und ungepflegt. Er mußte etwa Anfang zwanzig sein. Seine Gestalt war kräftig und drahtig.

»Flack ist mein Adjutant«, erläuterte der Polizist. »Mr. Flack, würden Sie bitte nachsehen, was aus Wade und Angel geworden ist? «

»Klar, Chef«, erwiderte Flack mit einem schiefen Lächeln. »Ich hab' so 'ne Eingebung, daß sie dabei sind, hinten im Laster einen bequemen Platz für unsere Freunde einzurichten. Soll ich die Freunde auch mit reinbringen? Und was ist mit dem Mädchen im Auto?«

»Bringen Sie sie alle herein«, entschied der Polizist. Bei der Erwähnung des Mädchens im Auto machte Anns Herz einen Satz.

»Wir haben ein Mädchen auf der Landstraße gefunden, das Schwierigkeiten hatte«, erläuterte er. »Wir haben sie gerettet. Sie schien ziemlich außer sich. Mein Name ist übrigens Wachtmeister Carter. John Carter. Sie können mich Mr. Carter nennen.«

Ann geleitete Karen zum Sofa und sie nahmen beide Platz, ohne zu wissen, was sie sagen sollten. John Carter setzte sich auf einen Stuhl, behielt die beiden Mädchen im Auge und musterte sie eingehend. Dann zog er seinen Dienstrevolver, öffnete den Zylinder und begann, ihn neu zu laden. Die leeren Patronen tat er in den Aschenbecher und nahm neue aus seinem Gürtel.

Die Mädchen drehten sich um, als Flack rückwärts ins Wohnzimmer zurückkam. Er trug die Beine und Füße eines gefesselten Mannes, dem der Mund zugestopft worden war. Ein anderer Staatspolizist hatte ihn an Armen und Schultern gepackt. Er war offensichtlich sehr schwer, und Flack und der Polizist mühten sich mit der Last ab und schleppten den Mann in die Mitte des Wohnzimmers, wo sie ihn schwer auf den Boden fallen ließen. Ann fand, daß sie ziemlich rüde mit ihm

umgingen, als sei er ein Sack voller Maiskörner.

»Schweres Miststück«, bemerkte der Polizist zu niemandem

im besonderen. »Kommen Sie. Wir holen den anderen.«

»Das ist Wade«, erklärte Mr. Carter und machte eine Geste

mit der Hand, mit der er dabei war, Patronen in seinen

Revolver zu laden. »Mein Kollege Wade Connely.«

Wade richtete sich auf und streckte sich, als er die beiden

Mädchen auf dem Sofa entdeckte. Er tippte sich an die Mütze

und ging dann mit Flack wieder hinaus.

»Wade ist ein guter Mann«, erklärte Carter. »Alle meine

Mitarbeiter sind gute Leute.«

In diesem Moment kamen Schritte über die Schwelle, und ein Mädchen betrat das Haus und schob Sue Ellen vor sich her. Sie stützte sie mit einem Arm um die Taille. Ann sprang auf. Sue Ellen sah verstört und angeschlagen aus. Ihre Backe war zerschrammt und ihre Lippe blutig und angeschwollen. »Ich denke, Sie kennen sie. Und das ist übrigens Angel«, stellte Carter vor, als er sah, wie Ann, gefolgt von Karen, auf Sue Ellen zurannte. Sie umarmten sich halb lachend und halb weinend.

»Sie ist unsere Schwester!« keuchte Karen. »Sue! Was ist dir denn zugestoßen?«

»Sie war bewußtlos...« setzte Angel an, aber sie wurde von Flack und Wade unterbrochen, die noch einen gefesselten Gefangenen hereinschleppten und neben den anderen auf den Wohnzimmerboden fallen ließen. Die beiden gefesselten Männer trugen Zivilkleidung, mochten Ende zwanzig, Anfang dreißig sein und sahen aus, als habe man sie ziemlich rauh behandelt. Sie ließen ihre Augen durch das Zimmer flitzen und hefteten ihren Blick einen Moment prüfend auf jedes einzelne Gesicht, aber sie waren sichtlich machtlos, an ihrer gegenwärtigen Lage etwas zu ändern.

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