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Aber trotzdem.

Trotzdem.

»Ralph! Großer Gott, sprich mit mir!« Lois schüttelte ihn, und zwar heftig, wie eine Ehefrau, die ihren Mann wachrütteln möchte, damit er nicht zu spät zur Arbeit kommt.

Er sah sie an und versuchte, ein Lächeln zustande zu bringen. Es fühlte sich in seinem Inneren falsch an, schien Lois aber zu überzeugen, denn sie entspannte sich. Jedenfalls ein wenig. »Tut mir leid«, sagte er. »Ein paar Augenblicke ist mir alles einfach… du weißt schon, über den Kopf gewachsen.«_ »Mach mir nie wieder solche Angst! Wie du dir an die Brust gefaßt hast, mein Gott!«

»Mir geht es gut«, sagte Ralph und zwang sich zu einem noch breiteren falschen Lächeln. Er kam sich vor wie ein Kind, das einen Strang Silly Putty zieht und feststellen will, wie weit es ihn ziehen kann, bevor er zu dünn wird und reißt. »Und wenn du noch kochen willst, komme ich immer noch zum Essen.«

Drei-sechs-neun, die Gans trank Wein.

Lois sah ihn eindringlich an und entspannte sich. »Gut. Das wäre schön. Ich habe schon lange für niemand mehr gekocht, außer für Simone und Mina - das sind meine Freundinnen, weißt du.« Dann lachte sie. »Aber das habe ich nicht gemeint. Das ist nämlich nicht der Grund, weshalb es mir Spaß machen würde… «

»Was meinst du damit?«

»Daß ich schon lange nicht mehr für einen Mann gekocht habe. Ich hoffe, ich habe nicht vergessen, wie es geht.«

»Nun, an dem Tag, als Bill und ich bei dir waren und die Nachrichten angesehen haben - da gab es Makkaroni mit Käse. Das war auch gut.«

Sie machte eine wegwerfende Geste. »Aufgewärmt. Das zählt nicht.«

Der Affe wollte Schaffner in der Straßenbahn sein. Die Bahn geriet in Not -

Er lächelte breiter denn je. Wartete darauf, daß es reißen würde. »Ich bin sicher, du hast es nicht vergessen, Lois.«

»Mr. Chasse hatte einen ausgesprochen herzhaften Appetit. In jeder Beziehung. Aber dann bekam er Probleme mit der Leber und…« Sie seufzte, dann ergriff sie Ralphs Arm und hielt ihn mit einer Mischung aus Schüchternheit und Entschlossenheit fest, die er absolut bezaubernd fand. »Vergiß es. Ich habe es satt, der Vergangenheit nachzutrauern und zu schniefen. Das überlasse ich Bill. Gehen wir.«

Er stand auf, hakte den Arm bei ihr unter und ging mit ihr den Hügel hinab zum gegenüberliegenden Ausgang des Parks. Lois betrachtete strahlend die jungen Mütter auf dem Spielplatz, als sie und Ralph an ihnen vorbeigingen. Ralph war froh um die Ablenkung. Er konnte sich sagen, er sollte mit einem endgültigen Urteil noch warten; er konnte sich immer wieder daran erinnern, daß er nicht genug über das wußte, was mit ihm und Lois geschah, um sich einzubilden, er könnte logisch darüber nachdenken, aber er kam trotzdem zu dieser Schlußfolgerung. Die Schlußfolgerung kam ihm im Innersten seines Herzens richtig vor, und er war schon weitgehend zur Überzeugung gelangt, daß in der Welt der Auren Fühlen und Wissen so gut wie identisch waren.

Von den beiden anderen weiß ich nichts, aber Doc Nr. 3 ist ein wahnsinniger Arzt… und er nimmt Souvenirs mit. Nimmt sie mit wie ein paar Irre in Vietnam Ohren gesammelt haben.

Daß Lois’ Schwiegertochter einem bösen Impuls gefolgt war, die Diamantohrringe von dem Porzellanteller genommen und in die Tasche ihrer Jeans gesteckt hatte, daran zweifelte er nicht. Aber Janet Chasse hatte sie nicht mehr; zweifellos machte sie sich bereits schwere Vorwürfe, weil sie sie verloren hatte, und fragte sich, warum sie sie überhaupt erst weggenommen hatte.

Ralph wußte, der Winzling mit dem Skalpell hatte McGoverns Hut, auch wenn es Lois nicht aufgefallen war, und sie hatten beide gesehen, wie er Rosalies Halstuch mitgenommen hatte. Als Ralph von der Bank aufstehen wollte, war ihm klar geworden, die Lichtblitze, die er von den Ohrläppchen der Kreatur hatte funkeln sehen, bedeuteten mit ziemlicher Sicherheit, daß Doc Nr. 3 auch Lois’ Diamantohrringe hatte.

Der Schaukelstuhl des verstorbenen Mr. Chasse stand auf verblaßtem Linoleum neben der Tür zu hinteren Veranda. Lois führte Ralph zu ihm und sagte, er solle ihr »nicht zwischen den Füßen herumlaufen«. Ralph hielt das für einen Rat, den er befolgen konnte. Kräftiges Licht, Nachmittagslicht, fiel ihm auf den Schoß, während er dasaß und schaukelte. Ralph war nicht sicher, wie es so schnell so spät hatte werden können, aber irgendwie war es geschehen. Vielleicht bin ich eingeschlafen, dachte er. Vielleicht schlafe ich noch und träume das alles. Er sah zu, wie Lois einen Wok (eindeutig Hobbit-Größe) aus einem Hängeschrank holte. Fünf Minuten später zogen leckere Gerüche durch die Küche.

»Ich habe dir gesagt, eines Tages würde ich für dich kochen«, sagte Lois und fügte Gemüse aus der Tiefkühltruhe und Gewürze aus einem der Hängeschränke hinzu. »Das war an dem Tag, als ich dir und Bill die Makkaronireste mit Käse gegeben habe. Weißt du noch?«

»Ich glaube ja«, sagte Ralph lächelnd.

»Im Milchkasten auf der Veranda draußen steht eine Flasche Cidre. Cidre hält sich draußen immer am besten. Würdest du ihn holen? Du kannst auch gleich einschenken. Meine guten Gläser sind im Schrank über der Spüle, an den ich nicht herankomme, ohne daß ich mich auf einen Stuhl stelle. Ich glaube, du bist groß genug, daß du es ohne Stuhl schaffst. Wie groß bist du, Ralph, einsfünfundachtzig?«

»Einsachtundachtzig. War ich zumindest; möglicherweise habe ich in den letzten zehn Jahren einen oder zwei Zentimeter verloren. Die Wirbelsäule fällt in sich zusammen, oder so was. Aber wegen mir mußt du dir nicht so eine Mühe machen. Ehrlich.«

Sie sah ihn gelassen an, stemmte die Hände an die Hüften, und in einer hielt sie den Löffel, mit dem sie den Inhalt des Wok umgerührt hatte. Ihre Strenge wurde durch die Andeutung eines Lächelns gemildert. »Ich habe gesagt, meine guten Gläser, Ralph Roberts, nicht meine besten Gläser.«

»Jawohl, Ma’am«, sagte er grinsend, dann fügte er hinzu: »So, wie es riecht, scheinst du dich doch noch daran zu erinnern wie man für einen Mann kocht.«

»Die Qualität des Puddings erweist sich beim Essen«, antwortete Lois, aber Ralph dachte, daß sie sich zu freuen schien, als sie sich zu dem Wok umdrehte.

Das Essen war gut, und sie unterhielten sich nicht über das, was im Park vorgefallen war, während sie sich bedienten. Ralphs Appetit war unregelmäßig und seit Beginn der Schlaflosigkeit häufiger schwach als stark, aber heute langte er herzhaft zu und spülte Lois’ würziges Pfannengemüse mit drei Gläsern Cidre hinunter (während er das letzte austrank, hoffte er nervös, daß ihn die Aktivitäten des heutigen Tages nicht allzu weit von einer Toilette wegführen würden). Als sie fertig waren, stand Lois auf, ging zur Spüle und ließ heißes Wasser zum Geschirrspülen ein. Dabei griff sie die Unterhaltung von vorhin wieder auf wie ein halbfertiges Strickzeug, das wegen einer anderen, dringenderen Aufgabe vorübergehend zur Seite gelegt worden war.

»Was hast du mit mir gemacht?« fragte sie. »Was hast du gemacht, damit die Farben zurückgekommen sind?«

»Ich weiß nicht.«

»Es war, als hätte ich am Rand dieser Welt gestanden, und als du mir die Hand auf die Augen gelegt hast, hast du mich hineingestoßen.«

Er nickte und dachte daran, wie sie in den ersten Sekunden ausgesehen hatte, nachdem seine Hand ihre Augen nicht mehr bedeckt hatte - als hätte er ihr gerade eine in Puderzucker getauchte Brille abgenommen. »Es war rein instinktiv. Und du hast recht, es ist wie eine Welt. Ich sehe sie genau so - als Welt der Auren.«

»Wunderbar, nicht? Ich meine, es ist beängstigend, und als es mir zum erstenmal passierte - Ende Juli oder Anfang August war das -, war ich sicher, daß ich den Verstand verlieren würde, aber es gefiel mir auch. Ich konnte nicht anders, es gefiel mir.«

Ralph sah sie verblüfft an. Hatte er Lois einmal für leicht zu durchschauen gehalten? Schwatzhaft? Nicht in der Lage, ein Geheimnis für sich zu behalten?

Nein, ich fürchte, es war ein bißchen schlimmer, alter Junge. Du hast sie für oberflächlich gehalten. Du hast sie weitgehend durch Bills Augen gesehen, als »unsere Lois.« Nicht weniger… aber auch nicht mehr.

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