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Ralph schüttelte den Kopf, als müßte er ihn freimachen. Er war in den ganzen Nächten nicht in einem leeren Theater gewesen; jemand anders hatte es ebenfalls besucht. Sie hatten nur in verschiedenen Logen gesessen.

»Lois, der Streit, den Bill und ich hatten, drehte sich eigentlich gar nicht um Schach. Er drehte -«

Unten am Hügel stieß Rosalie ein eingerostetes Bellen aus und rappelte sich auf die Füße. Ralph sah in ihre Richtung und spürte, wie sich ein Eiszapfen in seinen Bauch bohrte. Obwohl sie beide seit fast einer halben Stunde hier saßen und sich in dieser Zeit niemand den öffentlichen Toiletten unten auch nur genähert hatte, ging nun die Hartplastiktür des Port-O-San mit der Aufschrift MÄNNER langsam auf.

Doc Nr. 3 kam heraus. McGoverns Panama, dessen Krempe am Rand zerbissen war, hatte er schräg auf den Kopf gesetzt, wodurch er auf unheimliche Weise McGovern selbst ähnelte, als Ralph ihn zum erstenmal mit dem braunen Fedora gesehen hatte - wie ein Reporter in einem Kriminalfilm aus den vierziger Jahren.

In einer Hand hielt der kahlköpfige Fremde das rostige Skalpell erhoben.

Kapitel 13

»Lois?« Ralph fand, seine Stimme hörte sich an, als würde sie aus einem langen, tiefen Canyon kommen. »Lois, siehst du das?«

»Ich weiß nicht…« Sie verstummte. »Hat der Wind die Toilettentür aufgestoßen? Nein, richtig? Ist jemand da? Macht der Hund deshalb so ein Theater?«

\Rosalie wich langsam vor dem kahlköpfigen Mann zurück; sie hatte die zottigen Ohren angelegt und fletschte so verfaulte Zähne, daß sie nicht bedrohlicher wirkten als Gummistöpsel. Sie stieß ein heiseres, abgehacktes Bellen aus, dann winselte sie verzweifelt.

»Ja! Siehst du ihn nicht, Lois? Er ist direkt da!«

Ralph sprang auf die Füße. Lois stand mit ihm auf und schirmte mit einer Hand die Augen ab. Sie spähte mit verzweifelter Anstrengung den Hügel hinab. »Ich sehe ein Flimmern, mehr nicht. Wie Luft über einem Heizkörper.«

»Ich hab dir gesagt, du sollst sie in Ruhe lassen!« schrie Ralph den Hügel hinunter. »Hör auf! Und mach, daß du verschwindest!«

Der kahlköpfige Mann sah in Ralphs Richtung, aber diesmal drückte sein Gesicht keine Überraschung aus; es war gelassen, unbeeindruckt. Er hob den Mittelfinger der rechten Hand, zeigte Ralph den uralten Gruß und fletschte dann selbst die Zähne -viel spitzer und gefährlicher als die von Rosalie - zu einem stummen Lachen.

Rosalie duckte sich, als der kleine Mann im schmutzigen Kittel wieder auf sie zukam, dann hob sie tatsächlich eine Pfote und legte sie sich auf den Kopf, eine Geste wie aus einem Trickfilm, die komisch hätte wirken müssen, aber nur dazu diente, das Ausmaß ihrer Angst zu verdeutlichen.

»Was kann ich nicht sehen, Ralph?« stöhnte Lois. »Ich sehe etwas, aber -«

»Geh WEG von ihr!« brüllte Ralph und hob wieder die Hand zu der Karate-Geste. Aber die Hand - aus der vorhin dieser erstaunliche blaue Lichtstrahl hervorgeschossen war - fühlte sich immer noch wie eine ungeladene Waffe an, und diesmal schien es der Doc auch zu wissen. Er sah in Ralphs Richtung und winkte ihm kurz und höhnisch zu. lAch, hör auf, Kurzer - setz dich, halt die Klappe und genieß die Vorstellung!]

Die Kreatur am Fuß des Hügels richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Rosalie, die zusammengekauert am Stamm einer riesigen alten Kiefer saß. Aus den Rissen in der Rinde des Baums strömte dünner grünlicher Dunst. Der kahlköpfige Arzt beugte sich über Rosalie und hatte eine Hand zu einer streichelnden Geste ausgestreckt, die überhaupt nicht zu dem Skalpell passen wollte, das er in der kleinen linken Faust hielt.

Rosalie winselte… dann streckte sie den Hals und leckte der Kreatur unterwürfig die Handfläche.

Ralph betrachtete seine eigenen Hände und spürte etwas in ihnen - nicht die Kraft von vorhin, nichts dergleichen, aber etwas. Plötzlich tanzten grellweise Funken dicht über seinen Nägeln. Als hätten sich die Finger in Zündkerzen verwandelt.

Lois zupfte inzwischen hektisch an ihm. »Was ist mit dem Hund, Ralph? Was ist mit ihm?«

Ohne darüber nachzudenken, was er tat oder warum, legte Ralph die Hände auf Lois’ Augen, wie jemand, der »Rat mal wer« mit seiner Liebsten spielt. Seine Finger leuchteten kurzzeitig so grell weiß auf, daß er fast erblindete. Muß das Weiß sein, von dem sie immer in der Waschmittelwerbung sprechen, dachte er.

Lois schrie. Sie griff mit den Händen nach seinen Handgelenken, umklammerte sie und ließ wieder los. »Mein Gott, Ralph, was hast du mit mir gemacht?«

Er nahm seine Hände weg und sah eine grellweiße liegende Acht um ihre Augen herum; es war, als hätte sie gerade eine in Puderzucker getauchte Brille abgenommen. Das Weiß begann in dem Moment zu verblassen, als er die Hände wegnahm… aber…

Es verblaßt nicht, dachte er. Es sinkt ein.

»Vergiß es«, sagte er und deutete bergab. »Schau!«

Ihre aufgerissenen Augen verrieten ihm alles, was er wissen mußte. Doc Nr. 3, der sich von Rosalies verzweifeltem Versuch, seine Freundschaft zu erringen, nicht im geringsten beeindrucken ließ, stieß ihre Schnauze mit der Hand beiseite, die das Skalpell hielt. Er packte das alte Tuch um ihren Hals mit der anderen Hand und riß ihren Kopf hoch. Rosalie heulte kläglich. Sabber lief seitlich an ihrem Kopf herab. Der kahlköpfige Mann stieß ein schleimiges Kichern aus, bei dem Ralph eine Gänsehaut bekam.

[»He! Hör auf! Hör auf, den Hund zu quälen!«]

Der Kopf des kahlköpfigen Mannes fuhr herum. Das Grinsen verschwand von seinem Gesicht, und er fauchte Lois an, wobei er sich selbst ein wenig wie ein Hund anhörte.

[Hah, verpiß dich bloß, du fette alte kurzfristige Fotze! Der Hund gehört mir, das hab ich deinem schlappschwänzigen Freund schon gesagt!]

Der kahlköpfige Mann hatte das blaue Tuch losgelassen, als Lois ihn angesprochen hatte, und jetzt preßte sich Rosalie wieder an die Kiefer, verdrehte die Augen, und Schaum troff von ihren Lefzen. Ralph hatte in seinem ganzen Leben noch nie ein so durch und durch verängstigtes Geschöpf gesehen.

»Lauf!« schrie Ralph. »Geh weg!«

Sie schien ihn nicht zu hören, und nach wenigen Augenblicken wurde Ralph klar, daß sie ihn tatsächlich nicht hören konnte, weil Rosalie nicht mehr ganz da war. Der kahlköpfige Arzt hatte schon etwas mit ihr angestellt - er hatte sie zumindest teilweise aus der gewöhnlichen Wirklichkeit herausgezogen wie ein Farmer, der einen Baumstumpf mit dem Traktor und einer Kette herauszieht.

Ralph versuchte es trotzdem noch einmal.

[»Lauf, Rosalie! Lauf weg!«]

Diesmal spitzte sie die angelegten Ohren und drehte den Kopf langsam in Ralphs Richtung. Er erfuhr aber nie, ob sie ihm gehorchen wollte oder nicht, denn der kahlköpfige Mann ergriff das Tuch wieder, bevor sie sich in Bewegung setzen konnte. Er riß ihren Kopf wieder hoch.

»Er wird sie umbringen!« kreischte Lois. »Er wird ihr mit diesem Ding die Kehle durchschneiden! Laß es nicht zu Ralph! Du mußt ihn daran hindern!«

»Ich kann nicht! Vielleicht kannst du es! Schieß auf ihn! Schieß mit deiner Hand auf ihn!«

Sie sah ihn verständnislos an. Ralph machte eine verzweifelte Holzhacker-Geste mit der rechten Hand, aber bevor Lois ihrerseits die Hand heben konnte, stieß Rosalie ein gräßliches, hilfloses Heulen aus. Der kahlköpfige Arzt hob das Skalpell und ließ es herunterfahren, aber er schnitt nicht Rosalies Kehle durch.

Er schnitt ihre Ballonschnur durch.

Zwei Fäden schwebten aus den Nasenlöchern von Rosalie in die Höhe. Sie verflochten sich etwa fünfzehn Zentimeter über der Schnauze und bildeten einen zierlichen Zopf, und genau an dieser Stelle verrichtete das Skalpell von Kahlkopf Nr. 3 seine Arbeit. Ralph sah voller Entsetzen, wie der abgeschnittene Zopf dem Himmel entgegenschwebte wie die Schnur eines losgelassenen Heliumballons. Dabei wand er sich auseinander. Ralph dachte, er würde in den Zweigen der alten Kiefer hängenbleiben, aber es kam anders. Als die aufsteigende Ballonschnur schließlich den ersten Zweig erreichte, ging sie einfach durch ihn hindurch.

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