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Ralph lachte auf. »Selten, würde ich sagen«, antwortete er, als er wieder sprechen konnte.

»Korrekt.« Wyzer betrachtete die Schlaftabletten, eine Wand aus Blautönen. »Gott sei Dank bin ich Apotheker und kein Händler, Mr. Roberts; ich würde verhungern, wenn ich versuchen müßte, das Zeug an der Tür zu verkaufen. Leiden Sie an Schlaflosigkeit? Ich frage teilweise, weil Sie nach Schlaftabletten suchen, aber hauptsächlich, weil Sie das hagere und hohläugige Aussehen haben.«

Ralph sagte: »Mr. Wyzer, ich wäre der glücklichste Mensch auf der Welt, wenn ich einmal fünf Stunden pro Nacht schlafen könnte, ich würde mich aber auch schon mit vier zufriedengeben.«

»Wie lange geht das schon so, Mr. Roberts? Oder würden Sie Ralph vorziehen?«

»Ralph ist okay.«

»Gut. Und ich bin Joe.«

»Ich glaube, es hat im April angefangen. Einen Monat oder sechs Wochen nach dem Tod meiner Frau.« »Herrje, tut mir leid, daß Sie Ihre Frau verloren haben. Mein Beileid.«

»Danke«, sagte Ralph, dann wiederholte er den alten Spruch. »Ich vermisse sie sehr, aber ich war froh, daß ihr Leid ein Ende hatte.«

»Aber jetzt leiden Sie. Seit… mal sehen.« Wyzer zählte rasch mit seinen großen Fingern. »Seit über einem halben Jahr.«

Plötzlich faszinierten diese Finger Ralph. Diesmal keine Kondensstreifen, aber die Spitze jedes einzelnen schien in einen hellen, silbernen Dunst gehüllt zu sein, wie Alufolie, durch die man irgendwie hindurchsehen konnte. Plötzlich mußte er wieder an Carolyn und die Phantomgerüche denken, über de sie sich letzten Herbst beschwert hatte - Gewürznelken, Abwasser, angebrannter Speck. Vielleicht war dies das männliche Gegenstück dazu und der Anfang seines eigenen Gehirntumors, der sich nicht durch Kopfschmerzen, sondern durch Schlaflosigkeit ankündigte.

Selbstdiagnose ist dummes Zeug, Ralph, also warum hörst du nicht einfach damit auf?

Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Wyzers breites, freundliches Gesicht. Da war kein silberner Dunst; nicht einmal die Andeutung eines Dunsts. Er hätte es fast schwören können.

»Ganz recht«, sagte er. »Ein halbes Jahr. Mir kommt es länger vor. Viel länger.«

»Gibt es ein ersichtliches Muster? Normalerweise gibt es eines. Ich meine, wälzen Sie sich herum, bevor Sie einschlafen, oder… «

»Ich wache zu früh auf.«

Wyzer zog die Brauen hoch. »Und Sie haben das eine oder andere Buch zum Thema gelesen, vermute ich.« Hätte Litchfield diese Bemerkung gemacht, hätte Ralph Herablassung hineininterpretiert. Bei Joe Wyzer spürte er keine Herablassung, sondern aufrichtige Bewunderung.

»Ich habe gelesen, was ich in der Bibliothek finden konnte, aber das war nicht viel, und es hat auch kaum geholfen.« Nach einer Pause fügte Ralph hinzu: »In Wahrheit hat gar nichts geholfen.«

»Nun, dann will ich Ihnen mal sagen, was ich zu dem Thema weiß, und Sie schütteln einfach nur den Kopf, wenn ich in Bereiche vordringe, die Sie schon abgedeckt haben. Wer ist übrigens Ihr Hausarzt?«

»Litchfield.«

»Hm-hmm. Und normalerweise kaufen Sie… wo? Im Peoples Drug draußen im Einkaufszentrum? Im Rexall in der Innenstadt?«

»Im Rexall.«

»Verstehe. Sie sind heute inkognito hier.«

Ralph errötete… dann grinste er. »Ja, so was in der Art.«

»Hm-hmm. Und ich muß wohl nicht erst fragen, ob Sie mit Ihrem Problem bei Litchfield gewesen sind, oder? Wenn ja, dann wären Sie jetzt nicht hier und würden die wunderbare Welt der Patentmedizin erforschen.«

»Sind sie das? Patentarzneien?«

»Drücken wir es einmal so aus - ich würde mich viel wohler fühlen, wenn ich dieses ganze Zeug auf einem großen roten Wagen mit knalligen gelben Rädern verkaufen würde.«

Ralph lachte, und die helle silberne Wolke, die er vor Wyzers Kittel gesehen hatte, zerstob dabei.

»Auf diese Art von Händlerdasein könnte ich mich vielleicht einlassen«, sagte Wyzer mit einem verklärten kleinen Grinsen. »Ich würde mir eine süße kleine Zuckerpuppe besorgen, die in einem Pailetten-BH und einer Pluderhose tanzt… ich würde sie Little Egypt nennen, wie in dem alten Song der Coasters… sie wäre meine Anheiznummer. Außerdem hätte ich einen Banjospieler. Meiner Meinung nach gibt es nichts Besseres als eine gute Dosis Banjomusik, um die Leute in Kauflaune zu versetzen.«

Wyzer sah an den Abführmitteln und Verstopfungsmitteln vorbei und genoß seinen fröhlichen Tagtraum. Dann schaute er Ralph wieder an.

»Für jemand, der zu früh aufwacht, so wie Sie, Ralph, ist dieses Zeug definitiv nutzlos. Sie wären mit einem Schuß Fusel oder einem dieser Wellengeneratoren, wie man sie in Katalogen anbietet, besser dran, und wenn ich Sie so ansehe, dann denke ich mir, daß Sie wahrscheinlich beides schon versucht haben.« »Ja.«

»Zusammen mit rund zwei Dutzend weiteren alten, erprobten Hausmitteln.«

Ralph lachte wieder. Der Mann gefiel ihm immer besser. »Versuchen Sie es mit vier Dutzend, dann sind Sie im Rennen.«

»Nun, Sie sind ein durchtriebener Gauner, das muß ich Ihnen lassen«, sagte Wyzer und winkte mit einer Hand zu den blauen Verpackungen. »Diese Dinger da sind nichts weiter als Antihistamine. Im Grunde genommen machen sie sich eine Nebenwirkung zunutze - Antihistamine machen die Leute schläfrig. Nehmen Sie eine Packung Comtrex oder Bandryl drüben bei den Verstopfungsmitteln, und Sie werden sehen, daß daraufsteht, man soll sie nicht nehmen, wenn man Auto fährt oder schwere Maschinen bedient. Leuten, die gelegentlich an Schlaflosigkeit leiden, könnte eine Sominex ab und zu helfen. Gibt ihnen einen Stups. Aber bei Ihnen würde das nicht funktionieren, denn Ihr Problem ist nicht das Einschlafen, sondern das Durchschlafen, richtig?«

»Richtig.«

»Darf ich Ihnen eine heikle Frage stellen?«

»Klar. Ich denke schon.«

»Haben Sie in der Hinsicht Probleme mit Dr. Litchfield? Vielleicht Zweifel, daß er begreifen könnte, wie beschissen Sie sich durch Ihre Schlaflosigkeit fühlen?«

»Ja«, sagte Ralph dankbar. »Meinen Sie, ich sollte ihn aufsuchen? Es ihm zu erklären versuchen, damit er es versteht?« Diese Frage würde Wyzer selbstverständlich bejahen, und Ralph würde endlich anrufen. Und es würde, sollte Litchfield sein, auch das wurde ihm jetzt klar. Es wäre Wahnsinn, sich in seinem Alter noch einen neuen Arzt zu suchen.

Kannst du Dr. Litchfield sagen, daß du Visionen hast? Kannst du ihm von den blauen Fäden erzählen, die aus Lois’ Fingern kamen? Den Spuren auf dem Bürgersteig, wie bei einem Tanzdiagramm von Arthur Murray? Dem silbernen Dunst um Joe Wyzers Finger? Wirst du wirklich Litchfield erzählen, daß du das siehst? Und wenn nicht, wenn du es nicht kannst, warum gehst du dann überhaupt zu ihm, ganz egal, was dieser Mann empfiehlt?

Wyzer überraschte ihn jedoch, indem er eine völlig andere Richtung einschlug. »Träumen Sie noch?«

»Ja. Sogar ziemlich oft, wenn man bedenkt, daß ich bei drei Stunden Schlaf pro Nacht angelangt bin.«

»Sind das zusammenhängende Träume - Träume, die aus vorstellbaren Ereignissen bestehen und eine Art Erzählfluß haben, wie weit hergeholt er auch sein mag - oder sind es nur zusammenhanglose Bilder?«

Ralph erinnerte sich an einen Traum, den er in der Nacht zuvor gehabt hatte. Er und Helen Deepneau und Bill McGovern hatten mitten auf der Harris Avenue zu dritt Frisbee gespielt. Helen hatte ein paar riesige, unbeholfene Gamaschenschuhe getragen; McGovern trug ein Sweatshirt mit einer Wodkaflasche darauf. ABSOLUTLY THE BEST, verkündete das Sweatshirt. Der Frisbee war grellrot mit grünen Leuchtstreifen gewesen. Dann hatte sich die Hündin Rosalie sehen lassen. Das verblichene blaue Taschentuch, das ihr jemand um den Hals gebunden hatte, flatterte deutlich, als sie sich ihnen hinkend näherte. Plötzlich sprang sie in die Luft, schnappte den Frisbee und lief mit ihm im Maul davon. Ralph wollte sie verfolgen, aber McGovern sagte: Ganz ruhig, Ralph, wir bekommen eine ganze Kiste davon zu Weihnachten. Ralph wollte sich zu ihm umdrehen, darauf hinweisen, daß Weihnachten noch drei Monate entfernt war, und fragen, was sie bis dahin machen sollten, wenn sie wieder mal Frisbee spielen wollten, aber bevor er es konnte, war der Traum entweder zu Ende gewesen oder in einen anderen, nicht mehr so lebhaften geistigen Film übergegangen.

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