Als ich mich umdrehte, schien Dan gar nicht zugehört zu haben. Er saß aufrecht im Bett und starrte geistesabwesend durch das Zimmer; sein Unterkiefer war heruntergefallen.
»Dan? … Hast du mir zugehört?«
Er blinzelte mich an.
»Dan?«
Ich ging schnell zum Bett hinüber und nahm seinen Arm.
»Dan, ist alles in Ordnung? Du siehst wirklich krank aus.«
Er leckte über seine Lippen, als seien sie sehr trocken.
»Klar«, sagte er unsicher. »Ich bin okay. Ich glaube, ich brauche nur etwas Ruhe, das ist alles. Seit ich aus der Betäubung erwacht bin, habe ich nicht besonders geschlafen. Ich hatte ständig Träume.«
»Warum bittest du die Krankenschwester nicht um eine Schlaftablette?«
»Ich weiß nicht. Es waren ja nur diese Träume.«
Ich setzte mich wieder und sah ihn aufmerksam an. »Was denn für Träume? Albträume?«
Dan nahm seine Brille ab und rieb sich die Augen. »Nein, nein, keine Albträume. Ich meine, sie waren etwas unheimlich, doch sie haben mir keine Angst verursacht. Ich habe von dem Türklopfer geträumt, du weißt doch, dem am Haus des alten Wallis. Aber er war weit mehr als ein Türklopfer. Ich habe geträumt, dass er zwar an der Tür hing, aber trotzdem mit mir sprach. Anstatt aus Metall war er aus echtem Haar und Fleisch, und er hat zu mir gesprochen … wollte mir etwas mit dieser ruhigen, flüsternden Stimme erklären.«
»Was hat er gesagt? Dass man im Wald kein Feuer anzünden soll?«
Dan schien gar nicht zu bemerken, dass ich das als Scherz gemeint hatte, denn er schüttelte ernst den Kopf.
»Er sagte, ich solle irgendwo hingehen und dort etwas suchen, aber ich habe nicht verstanden, was es ist. Er erklärte es wieder und wieder, aber ich verstand es einfach nicht. Es hatte etwas mit dem Bären auf dem Geländer von Mr. Wallis’ Wendeltreppe zu tun, du erinnerst dich sicher, die kleine Bärenfigur mit dem Gesicht einer Frau. Aber ich begriff den Zusammenhang nicht.«
Ich betrachtete Dans blasses Gesicht eine Weile nachdenklich, bis ich lächelte und freundschaftlich seine Hand drückte. »Weißt du, woran du leidest, Dan, mein alter Freund? Post-Geist-Delirium. Das ist eine Art übersinnliche postnatale Depression. Du musst dich jetzt einige Tage ausruhen, dann wirst du dich überhaupt nicht mehr daran erinnern, was dich eigentlich so bedrückt hat.«
Dan zog eine Grimasse. Er schien mir nicht recht zu glauben.
»Hör zu«, sagte ich, »wir werden heute Abend das Haus durchsuchen und was dich auch immer umgeworfen hat, wir werden es finden. Und nicht nur das – wir werden es auch lebend mitbringen, damit du es in deinem Labor in einem Einmachglas aufbewahren kannst.«
Dan versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht wirklich. »Okay«, erwiderte er leise. »Tu, was du willst.«
Ich saß noch einige Minuten bei ihm, aber Dan schien keine Lust auf ein weiteres Gespräch zu haben. Also drückte ich ihm noch einmal freundschaftlich die Hand.
»Ich schaue morgen noch mal vorbei. Etwa um dieselbe Zeit.«
Dan nickte, ohne aufzusehen.
Ich ließ ihn alleine und trat auf den Krankenhausflur.
Ein Arzt wollte gerade in Dans Zimmer. Als er mich beim Öffnen der Tür streifte, fragte ich: »Herr Doktor?«
Der Arzt schaute mich ungeduldig an. Er war ein kleiner Mann mit sandfarbenem Haar, spitzer Nase und unter seinen Augen hingen rotblaue Tränensäcke wie die Rüschen eines altmodischen Theatervorhangs. Ein Namensschild auf dem Jackenaufschlag wies ihn als Doktor James T. Jarvisaus.
Ich nickte in Richtung von Dans Zimmer. »Ich möchte mich nicht aufdrängen. Ich bin nur ein Freund von Mr. Machin, kein Verwandter oder so. Aber ich möchte gerne wissen, ob er okay ist. Ich meine, er erscheint mir heute ziemlich eigenartig.«
»Was meinen Sie mit eigenartig?«
»Na, sie kennen das sicher. Er ist nicht ganz er selbst.«
Doktor Jarvis schüttelte den Kopf. »Das ist nicht ungewöhnlich nach einer heftigen Gehirnerschütterung. Geben Sie ihm ein paar Tage zum Auskurieren.«
»War das wirklich nur eine Gehirnerschütterung?«
Der Doktor sah sich den Krankenbericht auf dem Klemmbrett an. »Ja, mehr nicht. Abgesehen von dem Asthma.«
»Asthma? Wieso Asthma? Er hat kein Asthma.«
Der Arzt sah mich kalt an. »Wollen Sie mir meinen Job beibringen?«
»Natürlich nicht. Aber ich spiele mit Dan Tennis. Er leidet nicht an Asthma. Er hat auch nie welches gehabt, soweit ich weiß.«
Der Arzt legte seine Hand auf den Türgriff zu Dans Zimmer. »Nun ja, das ist halt Ihre Sicht, Mr. …«
»Und wie ist IhreSicht?«, fragte ich.
Der Doktor grinste. »Tut mir leid, aber das ist vertraulich zwischen mir und meinem Patienten. Wenn er allerdings kein Asthma hat, dann leidet er mit Sicherheit an einer Erkrankung der Luftwege. Durch die Gehirnerschütterung hat sie sich verschlimmert; er musste vergangene Nacht drei oder vier Stunden unter einer Sauerstoffmaske liegen. Ich glaube nicht, dass ich schon einmal einen solch schweren Fall wie diesen erlebt habe.«
Eine hübsche brünette Krankenschwester kam in einer engen weißen Tracht den Gang entlang. Sie trug ein Tablett mit Injektionsspritzen und Arzneifläschchen.
»Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe, Dr. Jarvis«, sagte sie. »Mrs. Walters brauchte wieder einen Wechsel.«
»Ist schon in Ordnung«, antwortete Dr. Jarvis. »Ich führe hier gerade ein fachliches Gespräch mit Mr. Machins gebildetem Freund. Ich lerne sehr viel dabei und es tut mir fast leid, aber jetzt muss ich gehen.«
Er öffnete die Tür zu Dans Zimmer etwas weiter, aber ich hielt seinen Arm fest und sagte: »Bitte, nur noch eine Sache.«
Er blieb stehen und schaute auf meine Hand, als ob gerade etwas Schmutziges seinen Ärmel berührt habe.
»Hören Sie.« Er schien sauer zu werden. »Ich weiß ja nicht, welche angeborene Sachkenntnis Sie auf dem Gebiet der diagnostischen Medizin haben, aber ich muss jetzt die Behandlung Ihres Freundes fortsetzen. Also, entschuldigen Sie mich.«
»Es geht nur um das Atmen. Es könnte wichtig sein.«
»Natürlich ist es wichtig«, erwiderte Dr. Jarvis sarkastisch. »Wenn unsere Patienten nicht mehr atmen, werden wir ernsthafte Schwierigkeiten bekommen.«
»Würden Sie mir bitte zuhören?«, grollte ich. »Vergangene Nacht waren Dan und ich in etwas verwickelt, das mit Atmen zu tun hatte. Ich muss wissen, warum Sie glauben, dass er einen Asthma-Anfall gehabt hat.«
»Verdammt, wovon reden Sie eigentlich? Etwas, das mit Atmen zu tun hatte? Meinen Sie, dass Sie Drogen geschnüffelt haben, oder so etwas?«
»Ich kann es nicht erklären. Es waren keine Drogen. Aber es könnte wirklich sehr wichtig sein.«
Dr. Jarvis schloss die Tür wieder und seufzte mit übertriebener Verzweiflung. »Gut. Wenn Sie es wirklich wissen müssen, Mr. Machin keuchte und schnappte nach Luft. Ungefähr alle 90 Minuten begann er heftig zu atmen und das steigerte sich bis zu einem hechelnden Röcheln. Das war alles. Es war ernst und es war ungewöhnlich, aber es gab keinen Anhaltspunkt dafür, dass es keine regulären Asthma-Attacken waren.«
»Aber ich habe es Ihnen doch gerade gesagt. Er hat kein Asthma.«
Dr. Jarvis senkte den Kopf und sagte ruhig: »Würden Sie jetzt hier verschwinden. Die Besuchszeit ist zu Ende und das Letzte, was ich brauche, sind altkluge Ratschläge. In Ordnung?«
Ich wollte noch etwas erwidern, doch dann riss ich mich zusammen. Wahrscheinlich wäre ich selbst genauso verdrießlich gewesen, wenn jemand in mein Büro gekommen wäre, um mir klarzumachen, wie man Wanzen ausrottet. Ich hob die Hände mit einer versöhnlichen Geste. »Okay. Ich verstehe. Tut mir leid.«
Die Schwester öffnete die Tür und trat ins Zimmer, während ich mich umdrehte, um zu gehen.
»Ich wollte wirklich nicht unhöflich sein«, entschuldigte sich Dr. Jarvis. »Aber ich weiß, was ich tue. Sie können um fünf Uhr wiederkommen, wenn Sie wollen. Bis dahin werden wir etwas mehr wissen.«
In dieser Sekunde hörten wir einen schrillen Entsetzensschrei aus Dans Zimmer. Dr. Jarvis sah mich an und ich ihn, und dann stießen wir beide die Tür weit auf und liefen ins Zimmer. Was ich jetzt sah, konnte ich nicht glauben. Es geschah vor meinen Augen, aber ich konnte es nicht glauben.