Литмир - Электронная Библиотека
A
A

Ich bin sehr bewegt und bitte sofort wieder um Musik, damit die Freude zurückkehrt.

Mitten im Getümmel steht der junge Somali neben mir und bedauert ebenfalls unseren Entschluß. Er habe immer bewundert, was ich gemacht habe. Gerührt lade ich ihn auf ein Soda ein und biete ihm bei dieser Gelegenheit den Rest aus unserem Shop zum Kauf an. Er willigt sofort ein. Wenn ich die Inventur erstel t habe, wil er mir den vol en Einkaufspreis bezahlen, ja sogar die teure Waage will er mir abnehmen.

Lange unterhalte ich mich noch mit dem Veterinär. Für ihn ist unser Wegzug auch eine Neuigkeit. Nach dem, was vorgefallen ist, kann er mich gut verstehen. Er hofft, daß mein Mann in Mombasa wieder vernünftiger wird. Wahrscheinlich ist er der einzige, der den wahren Grund unseres Fortgehens ahnt.

Um zwei schließen wir, ohne daß Lketinga wiedergekommen ist. Ich eile zur Manyatta, um Napirai abzuholen. Mein Mann sitzt in der Hütte und unterhält sich mit der Mama. Auf die Frage, warum er nicht da war, gibt er zur Antwort, daß es mein Fest war, denn ich wol e ja weg von hier. Diesmal lasse ich mich auf keine Diskussion ein, sondern bleibe in der Manyatta. Vielleicht ist es das letzte Mal, daß ich in einer solchen übernachte, geht es mir durch den Kopf.

Bei nächster Gelegenheit berichte ich Lketinga von der Vereinbarung mit dem Somali. Zuerst reagiert er sauer und will nicht darauf eingehen. Er verhandle nicht mit ihnen, verkündet er hochmütig. Also mache ich die Inventur mit James. Der Somali bittet, ihm die Ware in zwei Tagen zu bringen, dann werde er das Geld beisammen haben. Allein die Waage macht schon ein Drittel der Summe aus.

An der Blockhütte erscheinen immer wieder Leute, die etwas abkaufen wol en. Bis zur letzten Tasse ist al es reserviert. Am 20. will ich das Geld, am 21. morgens kann jeder seine Ware abholen, lautet die Abmachung. Als wir unsere Verkaufsgüter zum Somali bringen wol en, kommt mein Mann doch mit. Jeden Preis hat er zu beanstanden. Als ich die Waage bringe, packt er sie gleich wieder weg. Diese wil er nach Mombasa mitnehmen. Er will einfach nicht einsehen, daß wir sie nicht mehr brauchen und hier wesentlich mehr dafür bekommen. Nein, sie muß mit, und es ärgert mich maßlos, dem Somali so viel Geld zurückgeben zu müssen, doch ich schweige. Nur keinen Streit mehr vor der Abreise! Es dauert noch gut eine Woche bis zum 21. Mai.

Mit vorsichtigem Abwarten schleichen die Tage dahin, und meine innere Spannung wächst, je näher die Abreise rückt. Ich werde keine Stunde länger als nötig bleiben.

Die letzte Nacht steht bevor. Fast al e haben ihr Geld gebracht, und was wir nicht mehr brauchen, haben wir weggegeben. Der Wagen ist vol bepackt, und im Haus stehen nur noch das Bett mit Moskitonetz, Tisch und Stühle. Die Mama war den ganzen Tag bei uns und hat Napirai gehütet. Sie ist betrübt über unsere Abreise.

Gegen Abend hält ein Wagen im Dorf beim Somali, und mein Mann geht sofort hinunter, da es eventuell Miraa zu kaufen gibt. Inzwischen stellen James und ich die Tagesrouten zusammen. Wir sind beide sehr aufgeregt wegen der langen Reise. Es sind fast 1460 km bis zur Südküste.

Weil mein Mann nach einer Stunde noch nicht zurück ist, werde ich unruhig.

Endlich erscheint er, und ich sehe ihm gleich an, daß etwas nicht stimmt. „We cannot go tomorrow“,

verkündet er. Natürlich kaut er wieder Miraa, dennoch ist es sein voller Ernst. Mir wird siedend heiß, und ich frage, wo er so lange war und warum wir morgen nicht abreisen können. Mit wirren Augen schaut er uns an und erklärt, die Alten seien unzufrieden, da wir losfahren wollen ohne ihren Segen. Unmöglich könne er so aufbrechen.

Erregt frage ich, warum dieses Schutzgebet nicht morgen früh abgehalten werden kann, worauf mir James erklärt, wir müßten vorher mindestens ein bis zwei Ziegen schlachten und Bier brauen. Erst wenn sie in guter Stimmung sind, sind sie bereit, uns den „Enkai“ zu sprechen. Er verstehe Lketinga, wenn er ohne dieses Gebet nicht fahren will.

Jetzt verliere ich die Nerven und schreie Lketinga an, warum diese Alten nicht vorher mit dieser Idee gekommen seien. Seit drei Wochen wissen sie, wann wir aufbrechen wol en, wir haben ein Fest gemacht, haben alles verkauft und den Rest eingepackt. Ich bleibe keinen Tag länger, ich fahre, und wenn ich mit Napirai al ein fahren muß! Ich tobe und heule, weil mir schlagartig bewußt ist, daß diese

„Überraschung“ uns mindestens eine Woche länger zurückhält, da das Bier vorher nicht gebraut sein kann.

Lketinga bekundet lediglich, daß er nicht fährt, und kaut sein Kraut, während James das Haus verläßt, um Rat bei der Mama zu suchen. Ich liege auf dem Bett und möchte am liebsten sterben. In meinem Kopf hämmert es fortwährend: Ich fahre morgen, ich fahre morgen. Weil ich kaum schlafe, bin ich völ ig erschlagen, als frühmorgens James mit der Mama erscheint. Wieder wird palavert, doch ich interessiere mich nicht dafür und packe stur weiter unsere Sachen. Durch meine verquollenen Augen nehme ich alles nur schemenhaft wahr. James redet mit der Mama, während viele Menschen herumstehen, um ihre Sachen abzuholen oder Abschied zu nehmen. Ich schaue niemanden an.

James kommt zu mir und fragt im Auftrag von Mama, ob ich wirklich fahren will.

„Yes“, ist meine Antwort, und dabei binde ich Napirai seitlich an mich. Mama schaut ihr Enkelkind und mich lange stumm an. Dann sagt sie etwas zu James, das sein Gesicht erhellt. Freudig teilt er mir mit, Mama gehe los und bringe vier Alte aus Barsaloi, um uns den Segen auch so zu sprechen. Sie wil nicht, daß wir ohne ihn losfahren, denn sie ist sich sicher, uns das letzte Mal zu sehen. Dankbar bitte ich James, ihr zu übersetzen, wo immer ich auch sein werde, werde ich für sie sorgen.

Die gute Spucke

Wir warten eine knappe Stunde, und es kommen immer mehr Menschen. Ich verkrieche mich im Haus. Tatsächlich erscheint Mama mit drei alten Männern. Wir drei stehen neben dem Wagen, und Mama spricht vor, worauf al e im Chor „Enkai“ wiederholen. Es dauert etwa zehn Minuten, ehe wir im Guten ihre Spucke auf die Stirn gedrückt bekommen. Die Zeremonie ist beendet, und ich bin erleichtert. Jedem der Alten drücke ich noch irgendeinen brauchbaren Gegenstand in die Hand, während Mama auf Napirai zeigt und scherzhaft meint, sie wol e nur unser Baby.

Dank ihrer Hilfe habe ich gewonnen. Sie ist die einzige, die ich noch einmal in die Arme schließe, bevor ich mich hinter das Steuer setze. Napirai gebe ich nach hinten zu James. Lketinga zögert noch einzusteigen. Als ich den Motor anlasse, setzt auch er sich mürrisch in den Wagen. Ohne Blick zurück brause ich davon. Ich weiß, es wird ein langer Weg, doch er führt in die Freiheit.

Mit jedem Kilometer, den ich zurücklege, kehrt Kraft in mich zurück. Ich werde durchfahren bis Nyahururu, dann erst kann ich wieder ruhig atmen. Etwa eine Stunde vor Maralal wird unsere Fahrt durch einen Platten gestoppt. Wir sind bis unter das Dach beladen, und das Reserverad liegt ganz unten! Aber ich nehme es gelassen, denn es wird sicher der letzte Radwechsel auf Samburu-Boden sein.

Der nächste Stop ist bei Ruurutti, kurz vor Nyahururu, wo die geteerte Straße beginnt. Eine Polizeikontrolle hält uns an. Sie wollen mein Logbuch sehen sowie meinen Internationalen Führerschein. Dieser ist schon lange abgelaufen, was sie nicht merken. Dafür werde ich aufgefordert, den Wagen zur Kontrol e zu bringen, damit ich an der Scheibe einen neuen Aufkleber mit unserer Adresse bekomme, da dies Vorschrift sei. Ich staune, denn in Maralal kennt man diesen Aufkleber nicht.

In Nyahururu übernachten wir erstmals und erkundigen uns am nächsten Tag, wo dieser Aufkleber zu besorgen ist. Erneut beginnt der Streß mit der Bürokratie. Zuerst muß der Wagen in die Garage, damit alle Mängel behoben werden, und danach bezahlt man für die Anmeldung zur Überprüfung. Er bleibt einen vollen Tag im Service, was wiederum viel Geld kostet. Am zweiten Tag können wir ihn vorführen.

80
{"b":"154432","o":1}