Unbehelligt erreiche ich das Allitalia Office. Erneut muß ich Formulare ausfüllen, und der Paß wird kontrolliert. Eine Angestellte erkundigt sich, warum ich kein Retourticket in die Schweiz habe. Ich erkläre ihr, daß ich in Kenia lebe und vor zweieinhalb Monaten nur ferienhalber in der Schweiz war. Die Dame meint höflich, ich sei aber Touristin, da nirgends vermerkt sei, daß ich in Kenia lebe. All diese Fragen verwirren mich. Ich will lediglich ein Flugticket zurück und bezahle es bar.
Doch genau das ist das Problem. Ich habe einen Beleg, daß ich das Geld von einem kenianischen Bankkonto bezogen habe. Als Touristin dürfe ich nicht Kontoinhaberin sein und müsse zudem belegen, daß das Geld aus der Schweiz eingeführt wurde.
Sonst müsse sie annehmen, daß es Schwarzgeld sei, da Touristen nicht erlaubt ist, in Kenia zu arbeiten. Nun bin ich völlig sprachlos. Die Überweisungen hat meine Mutter veranlaßt, und deshalb sind die Belege in Barsaloi. Bestürzt stehe ich vor dieser Dame mit einem Bündel Geld, das sie mir nicht abnehmen will. Die Afrikanerin hinter dem Counter bedauert, mir ohne Nachweis, woher das Geld stammt, kein Ticket ausstellen zu können. Völlig entnervt breche ich in Tränen aus und stammle, daß ich mit soviel Geld dieses Office nicht mehr verlasse, ich sei doch nicht lebensmüde. Die Afrikanerin starrt mich erschrocken an, und beim Anblick meiner Tränen gibt sie augenblicklich ihre Arroganz auf. „Wait a moment“, sagt sie beruhigend und verschwindet. Kurz darauf erscheint eine zweite Dame, erklärt mir noch mal das Problem und versichert, daß sie nur ihre Pflicht täten. Ich bitte sie, in Maralal bei der Bank nachzufragen, denn der Manager kenne mich gut.
Die beiden besprechen die Angelegenheit. Dann kopieren sie lediglich meinen Wechsel sowie meinen Paß. Zehn Minuten später verlasse ich das Office mit dem Ticket. Nun muß ich ein internationales Telefon finden, um meiner Mutter den Überraschungsbesuch anzukündigen.
Während des Fluges wechseln meine Gefühle zwischen der Vorfreude auf die Zivilisation und Heimweh nach meiner afrikanischen Familie. Am Flughafen Zürich kann meine Mutter ihr Entsetzen bei meinem Anblick kaum verbergen. Ich bin dankbar, daß sie es nicht auch noch in Worte faßt. Hunger verspüre ich nicht, da ich im Flugzeug meine Mahlzeit sehr genossen habe, doch einen guten Schweizer Kaffee möchte ich trinken, bevor wir ins Berner Oberland aufbrechen. In den folgenden Tagen werde ich von Mutters Kochkünsten richtig verwöhnt und langsam werde ich etwas ansehnlicher. Wir reden viel über meine Zukunft, und ich erzähle von unserem Vorhaben mit dem Lebensmittelladen. Sie versteht, daß ich ein Einkommen und eine Aufgabe brauche.
Am zehnten Tag kann ich endlich zu einem Frauenarzt, der mich untersuchen sol.
Leider fäl t das Ergebnis negativ aus, ich bin nicht schwanger. Dafür besitze ich viel zu wenig Blut und bin stark unterernährt. Nach dem Arztbesuch stel e ich mir vor, wie enttäuscht Lketinga sein wird. Aber ich tröste mich mit der Gewißheit, daß wir noch viel Zeit haben, Nachwuchs zu bekommen. Täglich spaziere ich in der grünen Natur und bin in Gedanken in Afrika. Nach zwei Wochen plane ich bereits meine Abreise und buche meinen Rückflug, der in zehn Tagen stattfinden wird. Wiederum kaufe ich viele Medikamente, diverse Gewürze und packweise Teigwaren. Meine Ankunft teile ich Lketinga mit einem Telegramm an die Mission mit.
Die restlichen neun Tage schleichen ereignislos dahin. Die einzige Abwechslung ist die Hochzeit meines Bruders Eric mit Jelly. Sie spielt sich für mich wie in Trance ab, und ich empfinde den Luxus und das üppige Essen als unangenehm. Alle wollen wissen, wie das Leben in Kenia ist. Zu guter Letzt versucht jeder, mich zur Vernunft zu bringen. Doch für mich ist die Vernunft in Kenia, bei meiner großen Liebe und dem bescheidenen Leben. Ich will endlich wieder abreisen.
Abschied und Willkommen
Schwer beladen treffe ich am Flughafen ein. Der Abschied von meiner Mutter fällt mir diesmal besonders schwer, weil ich nicht weiß, wann ich wiederkommen werde.
Am 1. Juni 1988 lande ich in Nairobi und nehme ein Taxi zum Igbol-Hotel.
Zwei Tage später treffe ich in Maralal ein, schleppe mein Gepäck ins Lodging und überlege, wie ich nach Barsaloi gelangen kann. Täglich durchkämme ich den Ort in der Hoffnung, ein Fahrzeug zu finden. Sophia will ich ebenfal s besuchen, aber ich erfahre, daß sie im Moment ferienhalber in Italien ist. Am dritten Tag höre ich, daß nachmittags ein Laster mit Maismehl und Zucker für die Mission nach Barsaloi startet. Gespannt warte ich am Morgen vor dem Großverteiler, bei dem die Säcke abgeholt werden sollen. Tatsächlich erscheint gegen Mittag der Lastwagen. Ich spreche mit dem Fahrer und handle um den Preis, wenn ich vorne mitfahre.
Nachmittags geht es endlich los. Wir fahren über Baragoi, also brauchen wir sicher sechs Stunden und werden erst in der Nacht Barsaloi erreichen. Auf dem Laster fahren mindestens fünfzehn Personen mit. Der Driver verdient gutes Geld dabei.
Die Fahrt dauert unendlich lang. Zum ersten Mal lege ich die Strecke mit einem Lastwagen zurück. In tiefer Finsternis überqueren wir den ersten Fluß. Nur der Lichtstrahl der Scheinwerfer tastet sich durch die dunkle Weite. Gegen zehn Uhr haben wir es geschafft. Der Laster hält vor dem Lager der Mission. Viele Menschen erwarten den Lori, wie er hier heißt. Sie haben die Lichter schon längst erspäht, und damit ist Aufregung in das ruhige Barsaloi eingezogen. Einige wollen sich Geld mit dem Abladen der schweren Säcke verdienen.
Müde, aber freudig erregt klettere ich aus dem Laster. Ich bin zu Hause, obwohl die Manyattas noch einige hundert Meter entfernt sind. Ein paar Leute begrüßen mich freundlich. Giuliano erscheint mit einer Taschenlampe, um Anweisungen zu geben. Auch er begrüßt mich kurz und ist schon wieder verschwunden. Mit meinen schweren Taschen stehe ich hilflos herum, im Dunkeln kann ich sie nicht allein bis zu Mamas Manyatta schleppen. Zwei Boys, die offensichtlich nicht zur Schule gehen, da sie traditionell gekleidet sind, bieten mir ihre Hilfe an. Auf halber Strecke kommt uns jemand mit einer Taschenlampe entgegen. Es ist mein Darling. „Hello!“ strahlt er mich an. Freudig umarme ich ihn und drücke ihm einen Kuß auf den Mund. Die Aufregung verschlägt mir die Sprache. Schweigend gehen wir zur Manyatta.
Auch Mama zeigt große Freude. Sofort entfacht sie das Feuer für den obligaten Chai. Ich verteile meine Geschenke. Später klopft Lketinga liebevoll auf meinen Bauch und fragt: „How is our baby?“
Mir ist mulmig, als ich ihm sage, ich hätte leider kein Baby im Bauch. Sein Gesicht verfinstert sich: „Why? I know you have baby before!“
So ruhig wie möglich versuche ich zu erklären, daß ich nur wegen der Malaria meine Monatsblutung nicht bekommen habe. Lketinga ist über diese Nachricht sehr enttäuscht. Dennoch lieben wir uns in dieser Nacht wunderbar.
Die nächsten Wochen verbringen wir sehr glücklich. Das Leben geht seinen gewohnten Gang, bis wir uns nach Maralal begeben, um erneut nach dem Hochzeitstermin zu fragen. Lketingas Bruder kommt ebenfalls mit. Diesmal haben wir Glück. Als wir vorsprechen und meine bestätigten Papiere sowie den Brief vom Chief, den Lketinga in der Zwischenzeit bekommen hat, vorlegen, scheint es keine Probleme mehr zu geben.
Standesamt und Hochzeitsreise
Am 26. Juli 1988 werden wir getraut. Anwesend sind zwei neue Trauzeugen, Lketingas älterer Bruder und einige mir unbekannte Menschen. Die Zeremonie wird erst in Englisch und dann in Suaheli von einem netten Officer vollzogen. Alles verläuft reibungslos, außer daß mein Darling im entscheidenden Moment sein „Yes“
nicht ausspricht, bis ich kräftig gegen sein Bein stoße. Dann wird die Urkunde unterzeichnet. Lketinga nimmt meinen Paß und meint, jetzt müsse doch ein kenianischer her, da ich nun Leparmorijo heiße. Der Officer erklärt, dies müsse in Nairobi gemacht werden, da Lketinga ohnehin für mich den ständigen Wohnsitz beantragen muß. Nun verstehe ich gar nichts mehr. Ich war der Meinung, jetzt sei alles in Ordnung und der Papierkrieg höre endlich auf. Aber nein, trotz der Heirat bin ich immer noch Touristin, bis ich das Aufenthaltsrecht im Paß habe. Meine Freude schwindet, und auch Lketinga versteht das Ganze nicht. Im Lodging kommen wir zu dem Entschluß, nach Nairobi zu fahren.