Mein Krieger sieht wunderbar aus. Er springt wie eine Feder höher und höher. Die langen Haare flattern bei jedem Sprung. Die nackten Oberkörper glänzen vor Schweiß.
Man sieht alles nur undeutlich in der sternenklaren Nacht, dafür spürt man förmlich die Erotik, die sich durch das stundenlange Tanzen verbreitet. Die Gesichter sind ernst und die Augen starr. Ab und zu ertönt ein wilder Schrei, oder ein Vorsprecher singt, und die anderen fal en mit ein. Es ist phantastisch, und für Stunden vergesse ich meine Krankheit und Müdigkeit.
Die Mädchen suchen sich immer wieder andere Krieger aus, denen sie mit ihren nackten Brüsten und dem riesigen Halsschmuck entgegenwippen. Bei ihrem Anblick überkommt mich Traurigkeit. Mir wird bewußt, daß ich mit meinen siebenundzwanzig Jahren hier schon alt bin. Vielleicht nimmt Lketinga später so ein junges Mädchen als Zweitfrau. Von Eifersucht geplagt, fühle ich mich deplaziert und ausgeschlossen.
Die Gruppe formiert sich zu einer Art Polonaise, und Lketinga führt stolz die Kolonne an. Er sieht wild und unnahbar aus. Langsam geht der Tanz zu Ende. Die Mädchen begeben sich kichernd etwas abseits. Die Alten sitzen in ihre Wolldecken gehüllt im Kreis am Boden. Die Morans bilden ebenfal s einen Kreis. Nun wird der Segen von den Alten gesprochen. Einer spricht einen Satz, und alle sagen „Enkai“, das Massai-Wort für Gott. Dies wiederholt sich eine halbe Stunde lang, dann ist das gemeinsame Fest für heute beendet. Lketinga kommt zu mir und meint, ich solle nun mit Mama schlafen gehen. Er gehe mit den anderen Kriegern in den Busch, um eine Ziege zu schlachten. Geschlafen wird nicht, sondern von alten und kommenden Zeiten gesprochen. Ich kann das gut verstehen und wünsche ihm eine wunderbare Nacht.
In der Manyatta richte ich mich zwischen den anderen, so gut es geht, ein. Ich liege lange wach, weil überall Stimmen zu hören sind. In der Ferne brül en Löwen, vereinzelt meckern Ziegen. Ich bete, daß ich bald wieder zu Kräften komme.
Morgens um sechs Uhr beginnt die Tagwache. So viele Tiere auf einem Platz verursachen großen Lärm. Mama geht hinaus, um unsere Ziegen und Kühe zu melken. Wir machen Chai. Ich sitze eingehül t in meine Decke, weil es kühl ist.
Ungeduldig warte ich auf Lketinga, da ich seit längerem auf die Toilette muß, es aber bei so vielen Menschen nicht wage, den Kral zu verlassen. Jeder würde mir nachschauen, besonders die Kinder, die mir ständig hinterherlaufen, wenn ich ohne Lketinga ein paar Schritte umhergehe.
Endlich kommt er. Strahlend streckt er den Kopf in die Hütte: „Hel o, Corinne, how are you?“
Dabei wickelt er seinen zweiten Kanga auf und streckt mir, in Blätter eingepackt, ein gebratenes Schafbein entgegen: „Corinne, now you eat slowly, after Malaria this is very good.“
Es ist schön, daß er an mich gedacht hat, denn normal ist es nicht, daß ein Krieger seiner Braut fertig gebratenes Fleisch bringt. Als ich das Bein unschlüssig in der Hand halte, setzt er sich neben mich und schneidet mit seinem großen Buschmesser kleine, mundgerechte Teile ab. Lust auf Fleisch habe ich überhaupt nicht, doch etwas anderes gibt es nicht, und essen muß ich, wenn ich kräftiger werden will. Mit Überwindung verzehre ich ein paar Stücke, und Lketinga ist zufrieden. Ich frage, wo wir uns waschen können. Da lacht er und meint, der River sei sehr weit weg und mit dem Auto nicht erreichbar. Die Frauen holen nur das nötige Teewasser, für mehr reicht es nicht. Also müssen wir mit Waschen noch ein paar Tage warten. Dieser Gedanke ist mir unangenehm. Dafür gibt es fast keine Moskitos, aber um so mehr Fliegen. Beim Zähneputzen vor der Manyatta werde ich neugierig beobachtet. Als ich den Schaum ausspucke, sind die Zuschauer in hel er Aufregung. Nun muß auch ich wieder lachen.
An diesem Tag wird ein Ochse geschlachtet, mitten auf dem Platz. Es ist ein schauriges Schauspiel. Sechs Männer versuchen den Ochsen seitlich auf den Boden zu drücken. Das ist nicht einfach, da das Tier in seiner Todesangst mit dem Kopf wild um sich schlägt. Erst nach mehreren Versuchen gelingt es zwei Kriegern, den Ochsen an den Hörnern zu packen und den Kopf zur Seite zu drücken. Der Ochse sinkt langsam zu Boden. Sofort werden die Beine gefesselt. Drei Leute sind damit beschäftigt, ihn zu ersticken, während die anderen die Beine festhalten. Es ist grauenhaft, für die Massai aber die einzige Form, ein Tier zu töten. Als es sich nicht mehr regt, wird dem Tier die Schlagader geöffnet, und alle umstehenden Männer wollen von dem Blut schlürfen. Es muß eine Delikatesse sein, denn es entsteht ein richtiges Gedränge. Dann beginnt die Zerlegung. Alte Männer, Frauen und Kinder stehen bereits an, um ihre Teile zu bekommen. Die besten Stücke gehen an die alten Männer, dann erst kommen die Frauen- und Kinderanteile. Nach vier Stunden ist außer einer Blutlache und dem aufgespannten Fel nichts mehr übrig. Die Frauen haben sich in ihre Hütten zurückgezogen und kochen. Die alten Männer sitzen unter den Bäumen im Schatten, trinken Bier und warten auf ihre gekochten Stücke.
Am späten Nachmittag höre ich ein Motorengeräusch, und kurz darauf erscheint Giuliano auf seinem Motorrad. Ich begrüße ihn freudig. Er hat gehört, daß ich hier bin und Malaria habe, deshalb wol e er nach mir schauen. Er hat selbstgebackenes Brot und Bananen mitgebracht. Ich bin froh und fühle mich wie vom Weihnachtsmann beschenkt.
Nun erzähle ich ihm die ganze Misere von der geplatzten Hochzeit bis zur Malaria.
Er rät mir dringend, nach Wamba zu fahren oder zurück in die Schweiz, bis ich wieder kräftiger bin. Mit Malaria sei nicht zu spaßen. Bei diesen Worten schaut er mich eindringlich an, und mir wird klar, daß ich noch lange nicht über den Berg bin.
Dann steigt er auf sein Motorrad und braust davon.
Ich denke an zu Hause, an meine Mutter und an ein warmes Bad. Ja, im Moment wäre das wirklich schön, obwohl es nicht al zu lange her ist, daß ich in der Schweiz war. Allerdings kommt es mir wie eine Ewigkeit vor. Beim Anblick meines Darlings vergesse ich die Gedanken an die Schweiz. Er erkundigt sich nach meinem Befinden, und ich erzähle ihm vom Besuch des Paters. Von ihm habe ich erfahren, daß heute die Schüler von Maralal nach Hause kommen. Zum Teil bringt Pater Roberto einige mit seinem Fahrzeug her. Als Mama davon erfährt, hofft sie inständig, daß James dabei ist. Auch ich freue mich auf die Möglichkeit, mich zwei Wochen Englisch unterhalten zu können. Ab und zu esse ich ein paar Stücke Fleisch, die ich allerdings erst von einem Fliegenschwarm befreien muß. Das Trinkwasser sieht nicht wie Wasser aus, sondern eher wie Kakao. Mir bleibt nichts anderes übrig, als es zu trinken, wenn ich nicht verdursten will. Milch bekomme ich keine, denn Mama meint, nach einer Malaria sei diese sehr gefährlich, es könne einen Rückfall geben.
Die ersten Burschen aus der Schule treffen ein, und James ist mit zwei Freunden dabei. Sie sind gleich angezogen, kurze graue Hosen, ein hellblaues Hemd und ein dunkelblauer Pullover. Er begrüßt mich freudig, seine Mutter dagegen eher respektvol. Beim gemeinsamen Teetrinken beobachte ich diese Generation und bemerke, wie sehr sie sich von Lketinga und seinen Altersgenossen unterscheidet.
Irgendwie paßt sie nicht in diese Manyattas. James betrachtet mich und sagt, er hätte in Maralal gehört, daß ich Malaria habe. Er bewundere mich, wie ich in Mamas Manyatta als Weiße leben könne. Er als Samburu habe anfangs immer große Mühe, wenn er in den Schulferien nach Hause komme. Alles sei schmutzig und eng.
Die Jungen bringen Abwechslung, der Tag vergeht wie im Flug. Schon kommen die Kühe und Ziegen nach Hause. Abends findet ein großes Tanzfest statt. Heute tanzen sogar die alten Frauen, al erdings ganz unter sich. Auch die Burschen tanzen außerhalb des Krals, zum Teil in ihrer Schuluniform. Es sieht lustig aus. Später in der Nacht sammeln sich erneut die Könige des Festes, die Krieger. James steht daneben und nimmt den Gesang mit unserem Kassettenrecorder auf. Diese Idee war mir gar nicht gekommen. Nach zwei Stunden ist die Kassette vol. Die Krieger tanzen immer wilder. Einer der Morans fällt plötzlich in eine Art Rausch. Er schüttelt sich ekstatisch, bis er zu Boden sinkt und laut brüllend um sich schlägt. Zwei Krieger lösen sich aus dem Tanzritual und halten ihn mit Gewalt am Boden fest. Aufgeregt trete ich zu James und frage, was los sei. Dieser Moran habe vermutlich zuviel Blut getrunken und sei durch den Tanz in eine Art Trance gefallen. Nun kämpfe er in seinem Wahn mit einem Löwen. Es sei nicht so schlimm, da er bewacht und irgendwann auch wieder normal würde. Der Mann wälzt sich schreiend am Boden.