Литмир - Электронная Библиотека

Tuson sah ihm nach.»Denken Sie lieber an sich selber«, murmelte er.

Gefolgt von einem schnaufenden Hickling, erklomm Bo-litho eine Leiter nach der anderen, bis er auf dem Achterdeck stand. Es war noch dunkel, nur vereinzelte Schaumkronen trennten das Meer vom Himmel. Aber die Sterne waren bereits blasser geworden, und eine muffige Feuchtigkeit kündigte den Morgen an.

Keen wartete an der Reling.»Der Wind hat abgeflaut, Sir, ist aber noch frisch genug, um ihnen Arbeit zu machen. «Daß Hickling Bolitho gefunden hatte, schien ihn zu erleichtern. Noch nie hatte er erlebt, daß Bolitho allein einen Rundgang durchs Schiff machte. Nicht einmal Alldays Begleitung hatte der Admiral geduldet.

Nun hängte ihm der Bootsführer den Degen an den Gürtel, und Ozzard reichte ihm den Hut, ehe er hinunter in den Laderaum huschte, wo er bleiben würde, bis die Schlacht gewonnen oder verloren war.

Bolitho sah den Wirrwarr der Flaggen an Deck, die Vorbereitungen des Signalfähnrichs und seiner Helfer. Auch Stayt war zur Stelle, vermutlich nachdem er sich Zeit zum Laden und Reinigen seiner prächtigen Pistole genommen hatte.

«Jetzt brauchen wir nur noch abzuwarten, Val. «Bolitho dachte an die Schlacht von St. Vincent, in der er seine erste Fregatte befehligt hatte. Damals schien es eine Ewigkeit zu dauern, bis sich die Flotten einander auf Schußweite genähert hatten. Den ganzen Tag über, oder so war es ihm vorgekommen, hatten sie dem gewaltigen Aufmarsch französischer Masten am Horizont zugesehen: wie Ritter auf dem Schlachtfeld. Der Anblick war schrecklich und furchteinflößend gewesen, doch sie hatten die Schlacht gewonnen — wenngleich zu spät, um den Krieg zu entscheiden.

Keen stand neben ihm und prüfte stumm seine Gedanken auf Schwächen. Das sporadische Feuer war ein klarer Hinweis gewesen, daß der Geleitzug vor ihnen angegriffen wurde. Ließ sich Bolitho Überraschung oder Zufriedenheit anmerken, weil er recht behalten, den Feind gefunden hatte? Jeder ehrliche Mann mußte eingestehen, daß er an der Urteilsfähigkeit des Admirals gezweifelt hatte, als dieser nur auf die Meldung von Rapid hin sein Patrouillengebiet verließ. Doch in der Finsternis sah Keen bei Bolitho lediglich ruhige Entschlossenheit.

Es würde also zum Gefecht kommen. Die Kanonade hatte nicht so geklungen, als wären viele Schiffe beteiligt. Er dachte an Inch, der unten im Orlop den Kampflärm hören würde, unfähig, seinen Freunden zu helfen. Keen hatte ihn besucht, ehe er zu seinen Leutnants in den Batteriedecks ging. Inch war sehr schwach und litt nach den beiden Amputationen große Schmerzen.

Keen brach der kalte Schweiß aus. Er war schon einmal verwundet worden und spürte die Narbe noch immer. Wie konnte es jemand ertragen, auf dem Operationstisch zu liegen und abzuwarten, bis er an die Reihe kam? Erst das Messer, dann die Knochensäge, und vorher der Lederknebel, um die Schreie zu ersticken. Ihm fiel wieder ein, was er zu Zenoria gesagt hatte: Das ist mein Beruf. Jetzt klang es ihm wie Hohn.

Luke Fallowfield, der Sailing Master, klatschte frierend in die Hände, und bei dem Geräusch fuhren mehrere Männer in der Nähe erschreckt zusammen. Wir sind alle nervös, dachte Keen. Das Kräfteverhältnis ist bei dieser Abrechnung Nebensache.

Bolitho sah den ersten schwachen Schein am östlichen Horizont. Viele Augen würden nun auf ihm ruhen, sich ihre Chancen ausrechnen, den Unterschied zwischen Leben und Tod.

Keen schritt zum Kompaß.»Höher an den Wind, Mr. Fal-lowfield. Ruder zwei Strich nach Steuerbord.»

Männer reagierten in der Dunkelheit wie emsige Schatten, und Bolitho war dankbar, daß er den aufmerksamen Keen zum Kapitän hatte. Denn falls sie zu weit nach Osten gerieten, konnten sie nicht mehr rechtzeitig wenden, um den Geleitzug bei Tagesanbruch zu erreichen. Er ballte die Fäuste. Sie brauchten das Licht, aber viele fürchteten den Anblick, der sich ihnen bieten würde.

Der Rudergänger rief:»Neuer Kurs Südsüdwest, Sir! Voll und bei!»

Bolitho hörte das Großbramsegel gereizt schlagen, als Argonaute mit hart angebraßten Rahen höher an den Wind ging. Bald, sehr bald… Fast hätte er es laut ausgesprochen. Keen befahl weitere Ausguckposten in die Toppen, einen davon mit einem Teleskop. Als Bolitho aufschaute, glaubte er, schon die weißen Brustriemen der Seesoldaten in den Marsen ausmachen zu können. Ein Mann streckte sich und gähnte. Diesmal nicht vor Müdigkeit, dachte er. Gähnen war oft das erste Anzeichen von Angst.

Sonderbar, dachte er, wenn ich heute falle, wird man in Falmouth erst nächstes Jahr davon erfahren. Das Weihnachtsfest in dem großen Haus unter Pendennis Castle mochte noch ungetrübt sein, mit Sängern aus der Stadt, die zum Entzücken der kleinen Elizabeth ein Ständchen brachten.

Er riß sich zusammen und befahl:»Heißt Gefechtsflagge!«Die Blöcke der Flaggleinen quietschten, als seine rote Flagge eingeholt und die größte britische Nationale an Bord gehißt wurde. Noch wehte sie im Schutz der Dunkelheit, doch nach Sonnenaufgang mußte Jobert sie sehen. Der Gedanke versetzte Bolitho in eine eigenartige Hochstimmung.

Paget drehte sich um und meldete Vollzug:»Flagge gehißt, Sir Richard!»

Bolitho nickte. Auch Paget wußte, das Warten hatte jetzt ein Ende.

«An Deck! Schiff in Lee!»

«Gut gemacht, Val«, sagte Bolitho.»Unsere Position ist perfekt.»

Ein Kanonenschuß hallte übers Wasser, nur ein einzelner, und Bolitho glaubte, für einen Sekundenbruchteil den Mündungsblitz gesehen zu haben.

«Geleitzug voraus!«schrie ein anderer Ausguck.

«Signal ans Geschwader. «Bolitho schritt ruhelos übers Deck und rieb sich das Kinn. Beim nächsten Ruf des Ausgucks schaute er wieder nach oben.

«Zwei Linienschiffe in Lee!»

«Da haben wir's, Val«, meinte Bolitho.»Zwei von diesen Teufeln. «Er warf Stayt einen Blick zu.»Signal ans Geschwader: Feind in Sicht.»

Als er wieder hinüber nach Lee schaute, leuchtete die Kimm wie eine endlose, rosarote Brücke ins Nichts.

Über den gebraßten Rahen des Fockmastes wehte hell und riesig die Flagge aus, scheinbar unabhängig von dem Schiff, das noch ein wenig länger im Schatten verweilte.

«Greifen wir an, Sir?«Das war Stayt.

Bolitho öffnete den Mund um zu antworten, schloß ihn aber wieder. Zwei Linienschiffe. Nicht die Anzahl mißfiel ihm, sondern ihr Kurs. Hier stimmte etwas nicht. Irgendein Instinkt warnte ihn.»Nein. Das Geschwader hält die Formation. «Er drehte sich nicht um, als abermals Geschützfeuer vom Wind herangetragen wurde.

Einige Seesoldaten in den Toppen stießen Hochrufe aus. Ihre wilden Stimmen übertönten den Lärm von Wind und Segeln. Bolitho lockerte seinen Degen in der Scheide, ohne überhaupt zu merken, was er tat. Vor der Schlacht. Alle Ressentiments, alle Entbehrungen würden bald vergessen sein. So war das bei der Royal Navy.

Wieder fiel ein Kanonenschuß, diesmal aber achteraus, vom eigenen Geschwader.

«Pest noch mal, wer war das?«rief Keen.

«Icarus, Sir«, rief Stayt.

Während das erste Morgenlicht die Masten und Rahen der beiden Schiffe in ihrem Kielwasser streifte, kletterte er in die Wanten.

«Signal von Icarus, Sir: Feind im Nordosten gesichtet.»

Keen starrte ungläubig hinüber.»Das kann doch nicht wahr sein!»

Bolitho trat an die Reling und umklammerte sie fest.»Informieren Sie Barracouta und Rapid.«Als die atemlosen Signalgasten weitere Flaggen setzten, ging er an die Wanten, wo Stayt sich mit gekrümmtem Arm festhielt und sein Teleskop ausrichtete.

«Drei Linienschiffe, Sir. «Er bewegte beim Entziffern der Flaggensignale von Icarus die Lippen.»Und zwei andere Schiffe.»

Bolitho fand sich damit ab, obwohl sein Geschwader nun von feindlichen Schiffen in die Zange genommen wurde. Die beiden zuerst gesichteten Fahrzeuge mußten zufällig hier eingetroffen oder von einem anderen Admiral aus ihrem Versteck beordert worden sein. Doch Jobert war da, und das Kräfteverhältnis hatte sich plötzlich zu ihren Ungunsten verändert. Drei gegen fünf, darunter Joberts schwerbestückter Dreidecker. Bei den beiden kleineren, noch nicht identifixierten Schiffen mußte es sich um Fregatten handeln. Englands Chancen standen schlecht, aber er hatte nun keine andere Wahl. Er sah den Rand der Sonnenscheibe über die Kimm steigen und die Segel von Freund und Feind golden färben. Im Fernrohr erkannte er den dichtgedrängt fahrenden Geleitzug, und beim Anblick des vertrauten Umrisses der Benbow wurde ihm eng ums Herz. Ihre Stückpforten standen bereits offen.

58
{"b":"113348","o":1}