«Gehen Sie näher ran. Kapitän Keen!«befahl er knapp.
«Mehr Steuerbord, Mr. Fallowfield!«Keen verstummte, als Kugeln in den Rumpf krachten und am Vorschiff Hängematten aus den Finknetzen flogen.
«Das war ein Kettenschuß!«schrie Keen und warf dem Master einen Blick zu.»Näher heran!»
Männer eilten an die Brassen, während andere auf dem oberen Batteriedeck wie die Teufel mit Handspaken und Taljen arbeiteten, Läufe richteten, ihr Ziel auffaßten.
«Feuer!»
Wieder donnerte eine Breitseite heraus. Bolitho hörte jemanden einen Hochruf ausstoßen.»Ihr Besanmast ist weg!«rief Allday.»Sie versuchen zu wenden, damit wir sie nicht durchs Heck der Länge nach beschießen können!»
Bolitho griff sich ein Fernrohr und preßte es ans rechte Auge. Die Witze über den einäugigen Nelson vor Kopenhagen kamen ihm nun längst nicht mehr so komisch vor. Er sah, wie sich der unscharfe Umriß des französischen Schiffes verkürzte, als die Argonaute auf es zuhielt, bis ihr Bugspriet direkt auf die Poop wies.
Der andere Kommandant hatte die Lage noch nicht ganz unter Kontrolle gebracht, als Argonautes zweite Breitseite einschlug und sein Schiff vom Bug bis zum Heck bestrich. Anstatt sein Wendemanöver fortzusetzen, verfiel er nach Lee. Sein Heck war in herabgefallene Spieren und Segel gehüllt, hier und da feuerten aus seiner lädierten Bordwand ein paar Geschütze unkoordiniert, und winzige Blitze über seinem Schanzkleid zeigten, daß Scharfschützen sich wehrten.
«Kurs halten!»
Keen ging in die Hocke, um durch die Rauchwolken zu spähen. Er sah den Wasserleichter kentern und Männer und Fässer in die See kippen. Angesichts seines durchlöcherten Rumpfes war es ein Wunder, daß er überhaupt so lange schwimmfähig geblieben war. Auf der anderen Seite des Linienschiffes hatte ein weiteres kleines Fahrzeug, eine Yawl, abgelegt und versuchte sich zu entfernen, um nicht das Schicksal des Leichters zu teilen.
Keen faßte einen Entschluß.»Mr. Fallowfield, gehen Sie auf Backbordbug!«Der Franzose lag immer noch quer zum Wind und wurde von den Trümmern der Takelage, die er längsseits mitschleppte, am Manövrieren gehindert. Der zerschmetterte Leichter sank rasch, und Keen erkannte, daß er durch seine Bugleine noch mit dem Linienschiff verbunden war. Doch Keen, der schon an vielen Gefechten teilgenommen hatte, wußte, wie rasch das Glück sich wenden konnte. Der französische Kommandant hatte trotz der Katastrophe, die ihn unvorbereitet ereilt hatte, einen kühlen Kopf bewahrt und sich die Zeit genommen, seine Stückmannschaften mit Kettenkugeln laden zu lassen. Eine gutgezielte Salve davon mochte eine entscheidende Spiere aus ihrem Rigg reißen — und über Sieg oder Niederlage entscheiden.
Befehle wurden gebrüllt, und wieder hievten die Männer an den Brassen. Bolitho spürte den Luftzug einer vorbeisausenden Kugel, hörte einen Aufschlag und etwas, das wie ein Keuchen klang, als das Geschoß einem Seesoldaten den halben Schädel wegriß und ihn von den Netzen schleuderte. Seine Kameraden verließen ihre Posten, als die Achterwache an die Brassen des Besanmastes gepfiffen wurde. Das Schiff holte stark über und begann auf dem entgegengesetzten Bug zu segeln.
Keen trat zu Bolitho und schrie, um den Lärm zu übertönen:»Der Feind kann Sie sehen, Sir! Ziehen Sie meinen Rock über!»
Bolitho klammerte sich an ein Want und schüttelte den Kopf.»Ich will gesehen werden!«Weitere Kugeln zischten an ihm vorbei, klatschten auf der anderen Seite in die Hängematten oder fuhren krachend in die Decksplanken. Bo-litho spürte Zorn in sich aufwallen, jede Vernunft und Vorsicht vertreiben. Keen verstand ihn nicht. Als Halbblinder fürchtete er sich davor, seinen Halt loszulassen und sich wie jeder andere Mann, der seine fünf Sinne beisammen hatte, so zu bewegen, daß er ein möglichst schlechtes Ziel bot. Mit seinen schimmernden Epauletten war er eine Herausforderung für jeden feindlichen Scharfschützen, aber er riskierte lieber einen Treffer, als noch einmal das Gleichgewicht zu verlieren.
Drei Donnerschläge — das französische Schiff erwiderte das Feuer.
Bolitho hob das Fernrohr. Es war schwer und mit einer Hand nicht leicht zu stabilisieren. Jäh sah er das französische Linienschiff groß und scharf umrissen an Steuerbord aufragen. Keens Wendemanöver hatte die Distanz verringert. Nun gab es für den französischen Kommandanten keine Chance mehr, das Gefecht abzubrechen, zu wenden und zu fliehen.
Er sah das verletzliche Heck des Feindes größer werden, hervorgehoben durch die Lücke, die der gefallene Besan-mast gerissen hatte.
«Wir passieren mit einer knappen Schiffslänge Abstand, Sir«, sagte Keen grimmig.
Ein Ausguckposten wartete auf eine Feuerpause und rief dann heiser:»Schiffe an Backbord, Sir!»
«Ein Offizier aufentern!«rief Keen. Er duckte sich und hustete, als eine Kugel durch die Netze fetzte und Hängematten in alle Richtungen schleuderte. Wäre nicht der Kurs geändert worden, hätten dort in dichter Reihe Seesoldaten gestanden.
Ein Schiffsjunge, ein Kind noch, der vorgebeugt mit frischen Kugeln für den Neunpfünder auf dem Achterdeck angerannt kam, wurde getroffen, als er das Geschütz erreichte. Die entsetzte Bedienungsmannschaft fand sich jäh blutbespritzt, als die Kugel den Jungen so sauber mitten entzweiriß, daß die Beine noch weiterzulaufen schienen, als der Rumpf schon auf den Planken lag.
«Kurs Nordost zu Ost, Sir!»
«Ziel auffassen!»
Keen winkte zum Vorschiff, obwohl die Bedienungsmannschaft der Karronade kaum der Ermunterung bedurfte. An jedes Geschütz waren zusätzliche Männer abkommandiert worden, abgezogen von den nicht beteiligten Kanonen der Backbordbatterie.
Weitere Schüsse jaulten über sie hinweg, und mehrere Segel tanzten, als plötzlich Löcher in ihnen klafften und Trümmer der Takelage klappernd über Netze und Seitendecks fielen.
Hauptmann Bouteiller brüllte:»Orde, schalten Sie diese Scharfschützen aus!»
Eine Drehbasse knallte. Bolitho fühlte das Deck unter seinen Füßen zittern und wußte, daß eine Kugel ihn fast erwischt hätte. Trotzdem rührte er sich nicht. Der Feind sollte ihn sehen, sollte wissen, wer ihm das angetan hatte.
Eine Stimme drang durch den Lärm.»Es sind Spanier, Sir!»
Bolitho hörte Keen Befehle brüllen. Spanier also, in der Nähe stationierte Schiffe, die den Angreifer aus ihren Gewässern vertreiben wollten.
«Feuer!»
Ein heftiger Ruck fuhr durch das Schiff, als die Karronade auf kürzeste Distanz ins Heck des Feindes feuerte.
Es war ein Volltreffer. Das gesamte verzierte Heck schien nach innen einzubrechen, als die schwere Granate unter der Poop explodierte, ihren Geschoßhagel in die Geschützbedienungen jagte und das mit Menschen gefüllte Deck in ein Schlachthaus verwandelte.
Als die Argonaute langsam und unerbittlich das zerstörte Heck des Gegners querte, feuerte sie wieder eine mörderische Breitseite ab. Auf dem unteren Batteriedeck hatte man irgendwie Zeit gefunden, Doppelkugeln zu laden, als wisse jeder Stückmeister, daß dies ihre letzte Chance war, ehe die Argonaute vom auffrischenden Wind entweder gegen den Feind oder an ihm vorbeigetrieben wurde.
Keen sah betroffen zu, wie die Großbramstenge des Feindes weggerissen wurde und ein Kanonenrohr auf dem unteren Batteriedeck des Franzosen in einem Feuerball explodierte. Entweder hatte ein verängstigter Matrose vor dem Nachladen das Auswischen vergessen, oder die Kanone war zu alt gewesen.
Keen rief:»Die Spanier werden uns in einer Stunde erreichen, Sir. Sollen wir das Gefecht abbrechen?»
Weitere Schüsse donnerten aus dem unteren Batteriedeck der Argonaute. Die schweren Zweiunddreißigpfünder richteten auf dem anderen Schiff, das nun steuerlos zu treiben schien, schreckliche Verwüstungen an.
Als Bolitho keine Antwort gab, fuhr Keen herum aus Sorge, ein Scharfschütze könnte seinen Admiral getroffen haben. Doch Bolitho schaute zu dem anderen Schiff hinüber und hielt dabei den Kopf schräg, als könne er so klarer sehen.