Bolitho nickte.»Ich warte hier unten. «Seltsam, er hatte den Ruf des Ausgucks nicht gehört. Er grinste sein Spiegelbild im Fenster an. Wirst wohl alt.
Keen erschien wenige Minuten später.
«Ein Schoner, Sir. Und zwar laut Mr. Paget, der mit einem Fernrohr aufenterte, ein Genuese.»
Bolitho ging in die Kajüte und trat an die Seekarte.
«Na schön, solange es kein Spanier ist. Die Dons mögen zwar noch nicht in den Krieg eingetreten sein, sind aber nach wie vor ein Feind, der uns an die Franzosen verraten würde.»
«Es wird ein Handelsschiff sein, Sir«, meinte Keen.»Ich würde gern selbst mit ihm reden, wenn wir es erreicht haben.»
Bolitho dachte an Quarrell, den Kapitän der Rapid. Ein guter Offizier, dem es aber wie Lapish an Erfahrung mangelte.»Gut, übernehmen Sie das. Vielleicht weiß der Kapitän etwas. «In jähem Zorn fügte er hinzu:»Ich frage mich, was er im Schilde führt.»
Keen beobachtete ihn. Er? Jobert wurde nur selten mit Namen erwähnt, war aber immer in Bolithos Gedanken.
Der Admiral sagte gerade:»Zwischen diesen Inseln gibt es allerhand Verstecke. Wir werden die Augen offenhalten müssen, ehe wir uns sicher fühlen können. «Er klopfte mit einem Zirkel auf die Karte.»Hier, dieser Hügel zum Beispiel. Von dem aus kann ein guter Mann meilenweit sehen.»
Keen wartete, denn er wußte, daß das noch nicht alles war.
Bolitho rieb sich das Kinn.»Ich würde ihn mir gern selbst ansehen. Wenn Sie sich um diesen Schoner gekümmert haben, rufen Sie Supreme zum Flaggschiff. Ich beabsichtige, an Bord zu gehen und mit ihr vorauszufahren. «Er sah Keens Unbehagen und fügte hinzu:»Keine Sorge, Val, ich habe nicht vor, mich ein zweites Mal gefangennehmen zu lassen.»
Keen sollte sich inzwischen an Bolithos unorthodoxe Methoden gewöhnt haben, aber dem Admiral fiel immer wie — der etwas Neues ein. Auf jeden Fall würde sein Auftauchen der kleinen Besatzung des Kutters Beine machen.
Bolitho zupfte sich das Hemd von der feuchten Haut.»Wie sieht's hinten aus, Val?»
«Es geht ihr gut, Sir«, erwiderte Keen.»Wenn man ihr nur Mut machen könnte. «Er zuckte hilflos die Achseln.»Aber wir wissen selbst nicht mal…»
Es klopfte, und nach kurzem Zögern schaute Midshipman Sheaffe in die Kajüte.
«Empfehlung von Mr. Paget, Sir. Der Schoner hat beigedreht.»
«Wir müssen ihn vor Sonnenuntergang erreicht haben«, sagte Bolitho.»Er darf uns nicht entwischen.»
Bolitho sah Sheaffes aufmerksamen Blick und fragte sich, was der Junge wohl sagen würde, wenn er wüßte, was Nelson von seinem Vater hielt. In einer Beziehung war Sheaffe seinem Vater sehr ähnlich: er hatte keine Freundschaften geschlossen und ging engen Kontakten aus dem Weg, was auf einem überfüllten Kriegsschiff nicht einfach war.
Bolitho sagte:»Mr. Sheaffe kommt mit mir. Da kann er Erfahrungen sammeln.»
«Danke, Sir Richard. «Entweder war Sheaffe alles gleichgültig, oder er hatte an der Tür gelauscht.
Sobald die anderen gegangen waren, protestierte Allday:»Sie können aber nicht ohne mich gehen, Sir!»
«Benimm dich nicht wie ein altes Weib, Allday. «Er lächelte.»Ich habe keine Lust, die gute Arbeit des Arztes an dir zunichte zu machen, indem ich dich einen Berg hochschleppe. «Bei Alldays trotzigem Blick fügte er hinzu:»Außerdem finde ich, daß mein Zweiter Bootsführer auch mal eine Chance bekommen sollte.»
Allday nickte langsam, blieb aber mißtrauisch.»Wenn Sie meinen, Sir?»
Bolitho hatte richtig geschätzt. Es dämmerte schon, als sie den schäbigen Schoner in ihrem Lee erreichten, und als Keen von ihm zurückkehrte, hatte er nur wenig zu berichten.»Der spanische Kapitän sagt, er habe vor vier Tagen eine Fregatte gesichtet, könnte ein Franzose gewesen sein. Er hielt sich aber nicht lange auf und ist jetzt unterwegs nach Lissabon.»
«In dieser Nußschale?«Bolitho schüttelte den Kopf. Nicht nur Kriegsschiffe hatten ihre Probleme.
Von einer einsamen Fregatte mußte angenommen werden, daß sie feindlich war. Denn Nelson hatte lediglich zwei, und ansonsten gab es nur Barracouta. Oder ein neutraler Spanier? Unwahrscheinlich, daß er in diesen umstrittenen Gewässern ohne Begleitung segelte. Bolitho trug die Position, die Keen vom Kapitän des Schoners erfahren hatte, auf der Karte ein. War die Fregatte aus Toulon gekommen, oder hatte sie versucht, in diesen Hafen zurück zu gelangen?
Er faßte einen Entschluß.»Ich gehe noch vor Einbruch der Nacht auf die Supreme. Treffen Sie die entsprechenden Vorkehrungen, Val.»
Keen kam ohne ihn sehr gut zurecht, und Inch war durchaus in der Lage, für den Rest des Geschwaders zu sorgen, falls etwas passierte.
Er hörte die schrillen Pfiffe und das Klappern der Flaschenzüge über den Booten.
Allday tat ihm leid, aber es war sinnlos, ihn zu überbeanspruchen. Die grauenhafte Wunde war verheilt, doch nicht verschwunden.
Er wartete, während Ozzard sich umständlich mit seinem Seemantel und dem Hut mit der stumpfen Stickerei befaßte.
«Barkasse liegt längsseits, Sir Richard.»
Ein letzter Blick in die Runde. Die Kajüte schien ihn zu beobachten, vielleicht auf die Rückkehr ihres Herrn zu warten. Bolitho ließ sich von Allday den alten Degen an den Gürtel haken. Jobert wieder hier? Nie im Leben, dachte er. Dann lockerte er die Klinge in der Scheide und dachte an die Vergangenheit.
Laut sagte er:»Nur über meine Leiche.»
An der Schanzkleidpforte, wo die Ehrenwache angetreten war, nahm Bolitho Keen beiseite und sagte leise:»Wir sehen uns am Treffpunkt. «Er schaute zum Himmel.»Es kommt Sturm auf. Sorgen Sie dafür, daß Icarus in der Nähe bleibt.»
Keen wollte etwas sagen, überlegte es sich aber anders. Die Brise drückte die gerefften Marssegel des beigedrehten Schiffes kaum gegen die Wanten, und abgesehen von einigen Altocumulus-Wolken sah der Himmel so leer aus wie bisher. Woher nahm Bolitho sein Wissen?
Fallowfield, der alte Master, trat zu seinem Rudergänger. Selbst er war beeindruckt. Er starrte den Midshipman, der den Vizeadmiral mit offenem Mund angaffte, finster an und grollte:»Warten Sie nur, bis auch Sie das Wetter so gut vorhersagen können, Mr. Penton, aber da habe ich wenig Hoffnung!»
Keen legte die Hand an den Hut.»Aye, Sir. Ich schicke Ihnen notfalls Rapid hinterher.»
Bolitho schaute auf zu seiner Flagge.»Dies wäre Ihr Schiff, wenn ich mich nicht an Bord befände, Val. Benutzen Sie während meiner Abwesenheit mein Quartier. «Er drückte den Hut fester auf den Kopf und kletterte über Bord, während die Bootsmannsgehilfen Salut pfiffen. Gut, daß Keen Gelegenheit zu ein wenig Freiheit bekam. Was er mit ihr anfing, war seine Angelegenheit.
Als das Morgenlicht auf die benachbarte Insel fiel, trat Bolitho mit im Wind flatterndem Hemd auf das schräge Deck des Kutters. Es war schwer, hier noch einen Stehplatz zu finden, dachte er, denn das Deck der Supreme schien vor geschäftigen Menschen und Tauwerk zu wimmeln. Der Toppsegelkutter war nur einundzwanzig Meter lang, hatte aber eine sechzigköpfige Besatzung. Als Midshipman hatte Bolitho einmal vorübergehend auf einem solchen Schiff gedient, das von seinem Bruder Hugh befehligt worden war. Trotzdem konnte er sich nur schwer vorstellen, wie alle diese eifrigen Matrosen unter Supremes glattem Deck genug Platz zum Essen und Schlafen finden sollten.
Der von Bolitho vorhergesagte Sturm war nach Einbruch der Dunkelheit aufgekommen, und die schwereren Schiffe, die er zurückgelassen hatte, taten ihm leid. Supreme hingegen flog vor dem Wind dahin; ihr gewaltiges Großsegel mit Baum, ihr Klüver- und Focksegel blähten sich, und sie schien über die Wellen zu springen.
Ein Kriegskutter verfügte vergleichsweise über mehr Manövrierfähigkeit und Segelfläche als jedes andere Kriegsschiff und konnte bis auf fünf Strich am Wind segeln.
Er sah, wie Hallowes seinem Ersten Offizier, einem rundlichen, rotgesichtigen Mann, der dem Alter nach sein Vater hätte sein können, etwas zurief. Leutnant Okes war aus dem Mannschaftsstand befördert worden und hatte zuletzt als Gehilfe eines Masters auf den Planken gestanden. Hallowes hatte zwar bei der Eroberung der Argonaute Mut und Geschick bewiesen, doch Supreme bedurfte jener Seemannschaft, die nur auf langer Erfahrung beruhte.