Der Griff des Blasters lag fest in Olegs Hand. Um zu überprüfen, ob die Waffe geladen war, richtete er sie auf die Wand und drückte ab — ein Blitz schoß heraus und versengte sie. Oleg blinzelte geblendet, noch eine Minute danach tanzten Funken vor seinen Augen. Dann trat er mit dem Blaster in der Hand auf den Korridor hinaus und war jetzt mehr als nur Herr des Schiffes. Er hatte die Möglichkeit erhalten, künftig nicht mehr bloß als Bittsteller mit dem Wald zu reden: Bitte rühr uns nicht an, bitte tu uns nichts … Im Korridor blieb Oleg zögernd stehen. Er hätte gern noch einen Blick in die Steuerzentrale oder in die Funkkabine geworfen, doch es war wohl sinnvoller, zum Vorratslager zurückzukehren, weil Dick und Marjana, sollten sie bereits dort sein, sich gewiß Sorgen machten.
Oleg strebte eilig dem Lager zu, traf aber niemanden an.
Da werde ich die beiden wohl wecken müssen, sagte er sich. Auch wollte er, selbst wenn er es, sich nicht eingestand, gern in der Uniform eines Raumfliegers vor ihnen aufkreuzen, wollte ihnen zurufen: „Ihr schlaft und schlaft, dabei wird es Zeit für uns, zu den Sternen aufzubrechen …“
Oleg löschte die Fackel auch im erhellten Korridor nicht. Diesmal durchquerte er den Hangar auf schnellstem Weg, und die Strecke kam ihm nun viel kürzer vor als gestern, denn er hatte sich bereits an das Schiff gewöhnt.
Tageslicht schlug ihm entgegen — die Außenluke war geöffnet. Sie hatten sie zu schließen vergessen. Freilich war das bedeutungslos: In diesen Schneehöhen gab es schwerlich Tiere, was hätten sie hier zu suchen?
Oleg blinzelte etwa eine Minute ins Licht, bis sich seine Augen an die Sonne gewöhnt hatten. Sie stand hoch am Himmel, die Nacht war längst vorüber. Oleg öffnete die Augen wieder und war furchtbar erschrocken: Keinerlei Zeichen von Dick und Marjana! Der Schnee, über Nacht gefallen, hatte sämtliche Spuren vom Vortag verweht und war völlig unberührt.
„Heeh!!“ rief er leise. Die Stille ringsum war so grenzenlos, daß man sich scheute, sie zu stören. Gleich darauf bemerkte Oleg, daß etwa zwanzig Meter vom Schiff entfernt etwas Weißes in Bewegung geriet. Auf einem kleinen, flachen Schneehügel entdeckte er ein Tier, das im Schnee kaum auszumachen war, ein Tier, wie er es noch nie gesehen hatte. Es besaß Ähnlichkeit mit einer Eidechse, war aber von einem flauschigen Fell bedeckt und etwa vier Meter lang. Vorsichtig, um seine Beute nicht aufzuschrecken, machte es sich an dem Hügel zu schaffen.
Oleg starrte wie gebannt auf das Tier, harrte der Dinge, die da kommen sollten; den weißen Hügel brachte er nicht im entferntesten mit Dicks und Marjanas Nachtquartier in Verbindung. Selbst als die Pfoten des Tieres den Schnee beiseite geschaufelt hatten und der dunkle Fleck der Zeltplane sichtbar wurde, stand er noch immer reglos da.
In diesem Moment jedoch erwachte Dick. Er hatte sogar im Schlaf das Tier über sich gehört, seiner Nase war der fremde, gefährliche Geruch des Lebewesens nicht entgangen. Er griff nach dem Messer und wollte unter der Zeltplane hervorschnellen, verhedderte sich aber in den Decken. Oleg sah nur, daß der Schneehügel mit einemmal zum Leben erwachte, daß eine Schneesäule hochstiebte, unter der, ins Freie drängend, ein Fellhaufen sichtbar wurde. Das Tier war deshalb kein bißchen erschrocken, es schnappte vielmehr, nun endgültig überzeugt, sich nicht geirrt zu haben, nach der Beute, zerrte mit den Krallen an dem Fellbündel. Es war bestrebt, das Opfer zu Boden zu drücken und zu würgen, wobei es in seiner Vorfreude laut brüllte.
Oleg der Waldbewohner tastete mit der Hand nach dem Messer am Gürtel und berechnete den Sprung, während seine Augen schon nach der verwundbarsten Stelle des Tieres Ausschau hielten, in die er das Messer würde stoßen müssen; Oleg der Schiffsbewohner aber und Sohn des Bordmechanikers griff statt des Messers den Blaster, schoß jedoch nicht von hier, aus der Höhe, sondern sprang in den Schnee und stürzte, die Waffe fest in der Hand, auf das Tier zu. Der Angreifer hob bei seinem Anblick den Kopf und stieß abermals ein wildes Gebrüll aus. Er wollte Oleg in die Flucht treiben, hielt ihn offenbar für einen Konkurrenten. Doch Oleg blieb stehen und jagte dem Tier — nunmehr sicher, nicht versehentlich Dick zu treffen — eine volle Ladung in den weit geöffneten Schlund.
Während Dick und Marjana, nachdem sie gegessen und einen Rundgang durchs Schiff unternommen hatten, alles zum Ausgang schleppten, was sie mitzunehmen gedachten, begab sich Oleg in die obersten Räume, zur Navigationszentrale. Er forderte Dick auf mitzukommen, doch der weigerte sich — ihm genügte die Beute. Auch Marjana kam nicht. Oleg hatte ihr vorher die Krankenabteilung gezeigt, und sie suchte nun jene Instrumente und Medikamente zusammen, die Egli ihr beschrieben hatte. Das alles mußte in ziemlicher Hast geschehen, weil erneut Schneefall eingesetzt hatte und es merklich kälter geworden war. Noch ein Tag, und sie würden aus den Bergen nicht mehr herauskommen — der Schnee würde viele Tage lang niedergehn und der Frost fünfzig Grad erreichen.
Da stand Oleg also in der Steuerzentrale, verharrte mehrere Minuten, feierlich umringt von all den Apparaturen im Kopf des Schiffes, dessen Erschaffung eine unvorstellbare Leistung von Millionen Hirnen und tausend Jahren menschlicher Zivilisation verkörperte.
Doch Oleg spürte weder Erschrecken noch Hoffnungslosigkeit. Er wußte, daß die Siedlung von nun an zumindest für ihn, Oleg, nicht mehr Zentrum des Alls sein würde, sondern ein vorübergehender Zufluchtsort für jene Jahre, in denen das Schiff noch nicht ihr wahres Zuhause war. In denen sie es noch nicht so beherrschten, daß sie mit seiner Hilfe eine Möglichkeit fanden, der Erde Kenntnis von sich zu geben. Zu diesem Zweck aber mußten sie die Alten hatten das immer und immer wieder besprochen — den Notrufsender funktionstüchtig machen. Selbst wenn das erst in vielen Jahren möglich wurde, denn sie mußten ja alles neu lernen. Deshalb lenkte Oleg seine Schritte jetzt in die Funkzentrale: Der Alte hatte ihm beschrieben, wo er die Nachschlagewerke und Instruktionen über das Nachrichtenwesen finden würde, jene Bücher, deren Inhalt sie sich zueigen machen mußten, bevor der Alte und Sergejew starben. Denn sie waren die einzigen, die Oleg bei der Aneignung des Stoffes helfen konnten. Ihm und denen nach ihm.
In der Funkzentrale herrschte Halbdämmer, und so fand Oleg den Kasten mit den Instruktionen nicht gleich. Er nahm die Nachschlagewerke heraus, eine stattliche Anzahl, und er wußte nicht, welche wichtig waren. Er war aber entschlossen, eher die Hausschuhe der Mutter dazulassen als diese Bücher. Gar zu gern hätte er das eine und andere Instrument, irgendwelche Einzelteile mitgenommen, die ihnen von Nutzen sein konnten, sagte sich jedoch, daß sie das aufs nächste Mal verschieben mußten. Auf die Zeit, da sie in den Sinn all der Bildschirme und Schalttafeln hier eingedrungen waren.
Plötzlich erregte ein schwaches Flimmern in der Ecke einer Schalttafel, die halb verdeckt vom Funkersessel war, seine Aufmerksamkeit. Oleg näherte sich ihm vorsichtig, als ginge er auf ein wildes zu Tier zu.
Auf der Tafel flammte in regelmäßigen Abständen ein grünes Lämpchen auf. Oleg wollte einen Blick hinter das Pult werfen, um der Sache auf den Grund zu kommen, doch das gelang nicht. Er setzte sich in den Sessel und begann die verschiedenen Knöpfe zu drücken, freilich ohne jedes Ergebnis. Das Lämpchen flammte nach wie vor auf und erlosch. Was hatte das bloß zu bedeuten, wozu dieses grüne Licht? Wer hatte es installiert und zu welchem Zweck? Olegs Hand ertastete einen Hebel, der sofort nachgab und nach rechts rückte. Gleich darauf ertönte aus dem dünnen Netzgitter neben dem Lämpchen die ferne Stimme eines Menschen: „Hier spricht die Erde … Hier spricht die Erde …“ “
Danach ein Piepton im Takt zum Aufflammen des Lämpchens, und in diesem Piepen lag irgendein Sinn verborgen. Nach einer Minute wiederholte die Stimme: „Hier spricht die Erde … Hier spricht die Erde …“