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Grauenerfüllt, aber fasziniert schaute Catherine auf das Horn. Rod bückte sich und schaute unter das Bett. Auf dem Steinboden darunter stand eine dampfende Wärmpfanne. Er packte den langen Griff, zog sie hervor und hielt die Scheide über das Loch, aus dem der Dampf stieg. Soviel er sich erinnerte, hatten Wärmpfannen normalerweise außer dem normalen Verschluß keine Öffnungen. Das Horn färbte sich fast schwarz. Rod schaute zur Königin hoch. Sie hatte sich die Fingerknö chel einer Hand zwischen die Lippen geschoben, um nicht zu schreien.

Rod drehte sich um und streckte die Pfanne einem Posten entgegen. „Schnell, wirf es in den Burggraben!“ befahl er ihm. Dann wandte er sich erneut Catherine zu. „Wir haben das Gespenst wieder einmal hereingelegt, Eure Majestät!“ Catherines Hand zitterte, als sie sie vom Mund nahm. Ein wildes Licht glitzerte in ihren Augen. „Meister Gallowglass, bleibt bei mir. Ihr anderen, zieht euch zurück, sofort!“ Rod schluckte und seine Knie wurden weich. Sie war in diesem Augenblick die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Wachen und Leibmägde drängten sich zögernd durch die Tür.

Nur der Zwerg blieb. „Brom O'Berin“, befahl die Königin, „laß auch du uns allein!“

Empört wollte der Troll aufbegehren, doch dann schluckte er seinen Ärger und schloß die Tür hinter sich.

Catherine legte sich auf die weichen Seidenkissen zurück und griff mit einer Hand nach Rods. „Ihr habt mir nun zum zweitenmal das Leben gerettet, Meister Gallowglass.“ Sie drehte sich auf die Seite, daß die Samtrobe, in die sie sich gehüllt hatte, weit klaffte. Offenbar zog sie es vor, nackt zu schlafen.

Rod biß die Lippen zusammen. Du bist nicht hier, dich von einer Königin verführen zu lassen, Junge, mahnte er sich, sondern um für Demokratie zu sorgen.

Catherine spielte mit einem Anhänger um den Hals und betrachtete Rod wie eine Katze den Kanarienvogel. „Söldner haben einen bestimmten Ruf“, murmelte sie. Ihre Lippen glänzten feucht.

„So wie meine Königin ihr Land reformieren will, hoffe auch ich, den Beruf des Soldaten zu reformieren und so seinen Ruf zu bessern.“

Einen Augenblick mußte Catherines Herz ausgesetzt haben, so reglos lag sie. Dann verhärteten sich ihre Züge, und das Schweigen im Zimmer wurde angespannt. Sie zog die Samtrobe über dem Busen zusammen. „Euch gilt höchstes Lob, Meister Gallowglass“, sagte sie gepreßt. „Ich bin wahrhaft glücklich zu schätzen, solch getreue Männer um mich zu haben.“

Unter den gegebenen Umständen war sie für diese Worte zu bewundern, obgleich Rod ein wenig Spott aus ihrer Stimme zu hören glaubte. Sie schaute ihm in die Augen. „Nehmt den Dank der Königin entgegen“, fuhr sie fort.

Rod ließ sich auf ein Knie fallen.

„Ja, wahrhaftig bin ich glücklich zu schätzen“, wiederholte Catherine. „Ihr habt mir das Leben gerettet, und ich glaube, daß ich nicht so leicht in der Gegenwart eines anderen Soldaten so sicher wäre wie in Eurer.“

Rod wand sich innerlich.

Sie lächelte, und einen flüchtigen Moment glitzerten ihre Augen boshaft und zufrieden, doch dann senkte sie den Blick.

„Geht jetzt, ich habe morgen einen schweren Tag vor mir und muß ausgeruht sein.“

„Euer Wunsch ist mir Befehl!“ Rod drehte sich um und stapfte zur Tür hinaus. Doch länger konnte er sich nicht mehr beherrschen. Er hieb mit der Faust gegen die Wand.

„Nun, muß ich mich vor dir als dem nächsten König zu Boden werfen?“ knirschte Brom O'Berin zwischen den Zähnen hervor.

Rod hielt sich nur mühsam zurück. „Ich muß meine Zeit besser nutzen, als die königliche Wiege an mich zu reißen.“

Die Wut schwand aus Broms Augen. „Ich glaube dir“, murmelte er.

Rod preßte die Lider und Zähne zusammen und ballte hilflos die Fäuste. Viel länger konnte er sich nicht mehr beherrschen.

Wie aus weiter Ferne hörte er Brom sagen: „Er hat eine Botschaft aus dem Hexenturm für dich…“

Rod zwang sich, die Augen zu öffnen. Zu Broms Füßen saß im Schneidersitz ein Elf: Puck.

Rod straffte die Schultern. Wenn die Hexen ihm eine Botschaft schickten, war sie zweifellos wichtig. Er mußte seiner Wut später Luft machen. „Also, heraus mit der Sprache“, forderte er den Troll auf. „Was lassen die Hexen mir sagen?“

Aber Puck schüttelte lediglich den Kopf und murmelte: „Großer Gott, welche Dummköpfe diese Menschen sind!“ Er sprang hastig zur Seite, ehe Rods Faust einen Sekundenbruchteil später gegen die Wand schlug, an die er sich gerade noch gelehnt hatte. Rod heulte vor Schmerz auf und wirbelte herum. Er sah Puck und holte erneut gegen ihn aus.

„Nicht so heftig“, murmelte Robin Goodfellow, und schon füllte ein riesiger, grell rosa und grüner Drache den ganzen Korridor.

Rod sperrte die Augen auf, dann grinste er und fletschte in wilder Freude die Zähne. Er duckte sich unter den Flammen und schoß unter dem Schädel des Ungeheuers hoch. Seine Finger legten sich um den Schuppenhals und die Daumen drückten in die Halsschlagader. Der Drache riß vor Schmerz heulend den Schädel hoch und schlug damit wie eine Peitsche um sich. Aber Rod ließ nicht locker, auch nicht, als der Drache seinen Kopf gegen die Wand hämmerte. Dann beugte er den mächtigen Hals, und die gewaltigen Krallen der Hinterbeine rissen Rods Seite vom Schlüsselbein bis zu der Hüfte auf. Blut spritzte heraus. Rod spürte, wie Schwärze ihn einzuhüllen drohte, aber er war entschlossen, den Drachen mit sich in den Tod zu nehmen.

Grimm erfüllte ihn, daß ihm ein Wutanfall, einer Frau wegen, das Leben kosten sollte. Da schwand die Schwärze wieder, die ihn schon fast übermannt hatte. Der Drache war verschwunden. Nur noch die brokat-behangenen Granitwände waren zu sehen. Blinzelnd starrte Rod an sich hinab. Sein Wams war unbeschädigt, von Blut oder auch nur der geringsten Verletzung keine Spur. Und plötzlich war sein Kopf wieder völlig klar und er schaute hinab auf den Elf. Puck erwiderte seinen Blick ernst. „Zauber?“ fragte Rod ihn.

Puck nickte. „Es war notwendig. Doch begleitet mich jetzt zu den Hexen. Sie beriefen eine Versammlung ein, und als Zauberer müßt Ihr daran teilnehmen.“

Rod war es leid, wieder einmal zu erklären, daß er keiner war. Als Versammlung konnte man diese Zusammenkunft der Hexen wohl nicht bezeichnen. Sie feierten noch ausgelassener als in der vergangenen Nacht. „Weshalb die neue Party?“ erkundigte sich Rod. „Wir feiern, weil unsere Königin lebt!“ brüllte Roby vergnügt.

„Und Ihr seid der Held! Ihr habt das Gespenst vertrieben!“

„Held…“ Rod griff nach dem angebotenen Krug, nahm einen tiefen Schluck und fing plötzlich heftig zu husten an.

„Was habt Ihr?“ erkundigte sich Toby besorgt und klopfte dem Älteren kräftig auf den Rücken.

„Hör auf!“ krächzte Rod. „Mir fehlt nichts. Mir ist bloß plötzlich etwas klar geworden: das Gespenst ist gar nicht echt!“

„Was sagt Ihr da?“ brüllte Toby durch den Lärm der Feiernden.

„Das Gespenst soll doch nur erscheinen, wenn jemand stirbt!“

brüllte Rod zurück. „Richtig?“

„Ja“, erwiderte Toby verwirrt.

„Wenn jemand stirbt!“ betonte Rod. „Nicht, wenn jemand in Gefahr ist. Also schließe ich, daß es kein echtes Gespenst ist — jemand läßt es erscheinen. Die Frage ist nur, wer?“

Tobys Kinn klappte hinunter. „Aldis!“ rief er. Und als Rod nickte, fuhr er fort: „Lausch auf Durers Gedanken!“

Das Mädchen nickte und schloß die Augen. Nach einer kurzen Weile öffnete sie sie wieder und starrte Rod verängstigt an.

„Sie sind sehr wütend, daß die Königin nicht starb, aber noch wütender, weil sie nicht wissen, wer heute nacht das Gespenst auf die Zinnen geschickt hat.“

Rod nickte und preßte die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Dann nahm er einen tiefen Schluck aus seinem Krug und schritt zur Treppe. Toby flog ihm nach und griff nach seinem Ärmel. „Wohin eilt Ihr?“

„Zu den Zinnen“, erwiderte Rod. „Wo sollte ich sonst nach dem Gespenst Ausschau halten?“

Der Nachtwind schnitt durch seine Kleider, als er hinaus auf die Zinnen trat. Ein Mond warf seinen Schatten vor ihm her und ließ die Zinnen wie lückenhafte Zähne aufleuchten. Rod entsann sich, daß das Gespenst bisher noch jedesmal unter dem Ostturm erschienen war. Er blickte hinunter auf die Stadt. Eine lange weiße Straße wand sich dort zur Zugbrücke hoch. Und genau in der Mitte der Stadt erhob sich wie ein riesiger

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