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Grabstein aus Basalt das Haus Clovis.

Plötzlich hörte Rod ein stolperndes, scharrendes Geräusch hinter sich. Sofort duckte er sich und zog den Dolch. Tom kam mit etwas um den Arm gewunden schweratmend die Wendeltreppe hoch. Als er Rod sah, leuchtete sein Gesicht auf.

„O Herr, es ist Euch nichts passiert!“ rief er erleichtert.

„Was sollte mir schon passiert sein?“ entgegnete Rod und schob den Dolch in die Scheide zurück. „Was machst du denn hier?“

Der Riese blieb stehen. Er schaute verlegen zu Boden. „Ich -

ich hörte, Meister, daß…“ Dann blickte er hoch und die Worte überschlugen sich fast: „Ihr dürft Euch nicht mit dem Gespenst anlegen, Herr! Doch wenn Ihr es tut, sollt Ihr es nicht allein!“

Rod musterte das Gesicht des Giganten und fragte sich, wie er diese tiefe Verehrung verdient hatte, dann lächelte er weich.

„Deine Knie sind zu Gummi geworden, allein bei dem Gedanken an das Gespenst, und trotzdem hast du den Mut, mich zu begleiten.“

Tom grinste verlegen und starrte wieder auf den Boden. Rod konnte sich im Mondlicht nicht sicher sein, aber ihm war, als hätte eine schwache Röte das Gesicht des Riesen überzogen. Er machte sich in Richtung auf den Ostturm auf den Weg. Tom stapfte neben ihm her. Plötzlich warf er ihm seinen Umhang, den er um den Arm gewunden gehabt hatte, über die Schultern.

„Damit Ihr nicht friert, Herr“, brummte er.

Rod war von dieser Geste gerührt, doch gleichzeitig wurde ihm klar, daß der Umhang ihn in einem eventuellen Kampf behindern würde — und genauso klar wurde ihm, daß das auch Tom bewußt war.

„Habt Ihr denn keine Angst vor dem Gespenst, Meister?“

Rod dachte nach. „Nein, warum auch? Diese Art von Gespenstern hat noch nie jemandem etwas angetan, es ist nur so eine Art Todesbote, verstehst du?“

„Trotzdem ist es ein Wunder, daß Ihr keine Angst habt. Wollt

Ihr nicht lieber in den Schatten des Zinnengangs gehen, Meister? Ihr seid dort sicherer. In der Mitte, wo Ihr Euch befindet, könnt Ihr von beiden Seiten angegriffen werden.“

„Ich ziehe die Mitte vor“, erklärte ihm Rod. „Wenn die Straße richtig gebaut ist, ist sie in der Mitte am höchsten, und der Wanderer sieht, was von links und rechts kommt. Die Seiten dagegen können trügerisch sein. Natürlich ist man dort der Sicht am ehesten ausgesetzt, und deshalb haben die wenigsten den Mut, dort dahinzuschreiten.“ Ohne Übergang fragte er: „Hast du schon einmal etwas von dialektischem Materialismus gehört, Tom?“

„Wie kommt Ihr…“ Aber Tom fing sich schnell und murmelte: „Nein, Meister, nie!“

Aha, dachte Rod, hab' ich dich überrascht. Laut sagte er: „Es ist eine terranische Philosophie. Ihre Ursprünge liegen im Dunklen Zeitalter, aber manche Menschen richten sich noch danach.“

„Was ist terranisch?“ fragte der Riese.

„Ein Traum.“ Rod seufzte. „Und ein Mythos.“

„Lebt Ihr danach, Meister?“

Rod schaute verblüfft hoch. „Nach dem Traum von Terra?“

„Nein, nach diesem dialek… Mit welchem Zauber Ihr es auch benennt…“

„Was? Den dialektischen Materialismus?“ Rod grinste. „Nein, aber einige seiner Konzepte sind manchmal recht praktisch, wie beispielsweise die Idee der Synthese. Weißt du was das ist, Tom?“

„Nein, Meister.“ Tom schüttelte energisch den Kopf.

Na, ja, sein Staunen war vermutlich echt, denn das letzte, was Tom erwartete, war sicherlich, daß Rod eine totalitäre Philosophie zitierte. „Es ist der Weg in der Mitte“, erklärte Rod. „Rechts des Weges ist die These und links die Antithese.

Zusammengenommen ergeben sie die Synthese.“

„Oja.“ Tom nickte.

Ziemlich schnelle Auffassungsgabe für einen Bauerntölpel, dachte Rod spöttisch. „Sowohl These als auch Antithese sind teilweise falsch. Also wirft man die falschen Teile zur Seite, gibt die richtigen zusammen — das heißt, man nimmt das Beste davon —, nennt das Ergebnis Synthese, und man hat die Wahrheit. Verstehst du?“

Toms Augen nahmen einen wachsamen Ausdruck an. Er wußte nun, worauf Rod hinauswollte.

„Und da die Synthese der Weg in der Mitte ist, ist er natürlich unbequem“, fuhr Rod fort. „Doch genug der Philosophiererei.

Wir wollen uns an die Arbeit machen.“

Plötzlich hörten sie ein Scharren im Schatten. Tom sprang zurück und zog seinen Dolch. „Das Gespenst!“ brüllte er. Auch Rod umklammerte den Dolchgriff, doch da huschte eine riesige Ratte an ihm vorbei.

„Gott sei Dank, nur eine Ratte“, seufzte der große Tom erleichtert. „Es gibt hier so viele von ihnen.“

„Ja, aber ich sah noch etwas, als sie an mir vorbeirannte.“ Rod kniete sich neben die Außenmauer und tastete über den Stein.

„Hier!“ Er nahm die Hand des Riesen, der ihm besorgt den Knoblauchatem ins Gesicht blies, und drückte sie an seine Entdeckung.

Tom holte erschrocken Luft und riß seine Hand zurück. „Es ist kalt.“ Seine Stimme zitterte. „Kalt und rechteckig, und — es hat mich gebissen!“

„Dich gebissen?“ fragte Rod stirnrunzelnd, während er über die metallene Box tastete. Er spürte einen leichten elektrischen Schlag und zuckte ebenfalls zurück. Wer immer dieses Ding hier angebracht hatte, mußte ein blutiger Amateur sein. Es war nicht einmal richtig geerdet — oder vielleicht war es Absicht, um denen, die zufällig darüber stolperten, einen Schrecken einzujagen? Rod zog den Dolch und war froh über die Isolierung, die der lederne Griff bot. Vorsichtig schraubte er den Deckel der Metallbox auf. Er sah den scheinbaren

Wirrwarr der silbrigen Schaltkreise, die jedoch insgesamt nicht mehr Raum einnahmen als sein Daumennagel. Seine Kopfhaut prickelte. Wer immer dieses Ding angefertigt hatte, verstand mehr von molekularen Schaltkreisen als die Techniker seiner Heimat. Aber weshalb eine so große Box für eine so winzige Einheit?

Der Rest der Box war mit einer Apparatur ausgefüllt, die Rod völlig unverständlich war. Er betrachtete die Oberfläche der Box. In der Mitte befand sich ein durchsichtiger Kreis. Rod runzelte die Stirn. So etwas hatte er noch nie gesehen. Seiner Schätzung nach war der Schaltkreis Teil einer Fernbedienung.

Aber was war der Rest der Apparatur?

„Herr, was ist das?“

„Ich weiß es nicht“, murmelte Rod, „aber ich glaube fast, daß es etwas mit dem Gespenst zu tun hat.“ Er tastete mit der Dolchspitze in dem Ding herum. Natürlich mußte er äußerst vorsichtig sein, denn wie leicht mochte es mit einem Selbstzerstörungsmechanismus versehen sein, der bei einer falschen Berührung ringsum alles in die Luft sprengte. Da drückte die Dolchspitze auf etwas. Die Maschine klickte und begann leise zu summen.

„Weg, Herr!“ brüllte Tom. Aber Rod kümmerte sich nicht darum. Er starrte auf die wolkenartige Substanz, die aus dem durchsichtigen Kreis hochstieg. Und eine Sekunde später klickte eine zweite Maschine irgendwo vor Rod, und ein Lichtstrahl schoß von der Außenmauer über Rods Kopf in die Wolke und breitete sich fächerförmig aus.

„Das Gespenst!“ heulte Tom auf. „Flieht um Euer Leben, Herr!“

Tatsächlich bewegte das Gespenst sich etwa drei Meter über Rod. Ganz deutlich konnte er die üppige Frauengestalt mit dem Kaninchenkopf sehen. Ein verborgener Lautsprecher fing zu summen an, und als der erste Heulton sich erheben wollte, zog Rod die Dolchspitze um etwa einen Zentimeter zurück. Der

Lichtfächer erlosch, das Zischen des mechanischen Rauchtopfs erstarb. Rod drückte den Deckel wieder auf den Apparat. „Was war das, Meister?“ wisperte Tom.

„Ein Zauber. Und das Gespenst ist nichts als Schwindel. Komm, Tom, du mußt mich am Fußgelenk festhalten.“ Er legte sich in eine Zinnenöffnung, mit den Knien unmittelbar über dem Rauchtopf. Brummelnd griff Tom nach seinen Knöcheln. Rod schob sich vorwärts, bis sein Kopf hinausragte. Fast direkt unter seinem Kinn befand sich eine kleine Box mit herausragender Linse: ein Miniaturprojektor, der das Gespensterbild auf die Rauchwolke warf und so die Illusion einer dreidimensionalen Gestalt hervorrief. Und das Ganze wurde mit Fernsteuerung bedient. Von wo aus? „Halt mich ganz fest“, befahl er Tom und kroch fast ganz nach vorn. Er konnte nur hoffen, daß er sich in dem Riesen nicht täuschte und der ihn losließ, denn den Sturz in die Tiefe würde er nicht überleben. Aber er konnte jetzt nicht mehr zurück. Er starrte an der Mauer hinunter. Und da entdeckte er auch die Antenne. Nun mußte er nur noch den Sender finden. Und so gut er sich auch der Architektur anpaßte, seine scharfen Augen erspähten den Fremdkörper — auf dem Haus Clovis! Einen Augenblick überschlugen sich seine Gedanken. Also waren es tatsächlich nicht nur die Ratgeber, die allerdings auch, denn er hatte Durer ja selbst ertappt. Aber die umfunktionierte Wärmpfanne hatte sich bestimmt durch einen Dienstboten leichter unterschieben lassen als durch einen Ratgeber. Das Zittern von Toms Händen riß ihn aus seinen Überlegungen. So schwer bin ich doch auch wieder nicht, dachte er, aber er kroch eilig zurück und glaubte, Tom einen Seufzer der Erleichterung ausstoßen zu hören, als er wieder in Sicherheit war. Er drehte sich zu ihm um. Dicker Schweiß strömte über des Riesen Gesicht, und seine Unterlippe zitterte. Schweigend blickte er ihm in die Augen, dann murmelte er: „Danke, Tom.“

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