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„Wieso?“ fragte Rod.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Tuan bedrückt.

„Er und Durer wollen also den Sturz der Königin? Und die anderen Lords tun, was sie vorschlagen — wenn der alte Loguire erst tot ist. Das also ist ein Bein des Thrones. Und das andere?“

„Zweitens“, fuhr Tuan fort, „das Volk: die Bauern, Handwerker und Kaufleute. Sie alle lieben sie, weil sie ihnen das Leben erleichtert, aber sie fürchten sie auch, ihrer Hexen wegen.“

„Ah ja. Ihre — Hexen.“ Rod bemühte sich, wissend auszusehen, während sich in seinem Kopf alles drehte. Hexen als politisches Element!

„Seit Jahrhunderten“, erklärte Tuan, „wurden die Hexen Folterungen unterzogen, bis sie dem Teufel ent sagten, oder sie mußten die Wasserprobe erdulden. Und wenn alles versagte, Wurden sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt.“

Einen Augenblick empfand Rod ein ungeheures Mitleid mit ganzen Generationen von Espern, diesen Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten, die es hier also alles andere als leicht gehabt hatten.

„Aber die Königin beschützt sie jetzt, und man munkelt sogar, daß sie selbst eine Hexe ist.“

Es gelang Rod, seine geistige Benommenheit lange genug abzuschütteln, um zu krächzen: „Ich nehme an, daß diese Tatsache das Volk nicht gerade zu Begeisterungsstürmen und unerschütterlicher Loyalität veranlaßt?“

Tuan biß sich auf die Lippe. „Sagen wir, es ist unsicher…“

„Es hat die Hosen voll“, übersetzte Rod. „Aber mir ist aufgefallen, daß Ihr die Bettler nicht als Teil des Volkes gezählt habt.“

Tuan schüttelte den Kopf. „Nein, sie stehen abseits. Keiner sieht sie gern, alle schauen auf sie herab. Doch aus diesem

fehlerhaften Holz beabsichtige ich, ein drittes Bein für den Thron der Königin zu schreinern.“

Rod lehnte sich zurück. „Vielleicht habt Ihr da etwas, das die Königin in der Tat braucht.“ Er nahm einen tiefen Schluck Wein. „Ich nehme an, daß die Ratgeber alles tun, um die Furcht des Volkes noch zu schüren?“

Tuan schüttelte verwirrt den Kopf. „Nein, nichts dergleichen.

Man könnte fast glauben, sie wüßten überhaupt nicht, daß es das Volk gibt.“ Er spielte mit seinem Becher. „Aber es ist gar nicht nötig, das Volk darauf aufmerksam zu machen, daß es Grund zur Furcht hat, denn alle sehen, daß die Hexen nicht imstande sind, das Gespenst vom Burgdach zu vertreiben.“

Rod schaute ihn verwundert an. „Na, so soll es sich doch heiser schreien auf den Zinnen, wenn es ihm Spaß macht. Es tut ja niemandem etwas, oder?“

Tuan schüttelte erstaunt den Kopf. „Kennt Ihr denn die Bedeutung dieses Gespensts nicht, Rod Gallow-glass? Wenn sich eines dieser Art auf dem Dach zeigt, stirbt jemand im Haus. Und jedesmal, wenn das Gespenst über die Zinnen wandelte, ist die Königin dem Tod nur durch Haaresbreite entronnen.“

„Oh?“ Rod hob eine Braue. „Durch den Dolch? Einen fallenden Stein? Gift?“

„Gift.“

Rod rieb das Kinn. „Gift, die Waffe der Aristokraten. Die Armen können es sich nicht leisten. Wer unter den Hohen Lords haßt Catherine so sehr?“

„Keiner!“ rief Tuan entsetzt. „Nicht einer würde so tief sinken, es wäre ehrlos!“

„Aha, die Ehre gilt hier also noch etwas, hm? Vergessen wir also die Edlen. Doch es muß jemand sein, der auf ihrer Seite ist. Wie wäre es mit den Ratgebern? Aber was gewinnen sie durch ihren Tod? Außer, natürlich, einer legt es darauf an, seinen Herrn als Monarchen zu sehen und so selbst zum

Ratgeber des Königs aufzusteigen…“

Tuan nickte. „Das wünschen sie sich vielleicht alle, Freund Gallowglass.“

In Gramayre war eine außerplanetare Kraft am Werk mit einer höheren Technologie und sophistischer Politischer Philosophie. Die Edlen wurden allmählich gespalten und das Volk durch das Haus Clovis gegen die Aristokraten aufgewiegelt. Die zwölf Herzogtümer würden zu Baronien aufgeteilt werden und diese wiederum zu kleinen Gemeinden, bis echte Anarchie vorherrschte. Zweifellos waren die Ratgeber die Agenten dieser außerplanetaren Macht, und arbeiteten systematisch auf die Anarchie hin. Die Frage war nur, weshalb? Doch das Warum konnte warten. Von momentaner Bedeutung war, daß Schurkerei, die neben Lord Loguire saß und deren Name Durer war, am Werk war. Und Durers vorrangiges Ziel war Catherines Tod.

Ein Schatten am Burgtor klammerte eine Hand um Rods Schienbein.

„Halt, Rod Gallowglass, Ihr müßt sofort zur Königin als Nachtwache“, brummte Brom O'Berin.

Rod fragte sich immer noch, wie Brom gewußt haben konnte, woher er gerade kam, als sie zum Audienzsaal der Königin gelangten. Natürlich hatte er seine Spitzel im Haus Clovis, aber wie konnten sie ihn vor ihm erreicht haben? Rod folgte Brom in den prächtigen Saal. Zwei schwere, geschnitzte Sessel standen zu jeder Seite des Kamins, zwei weitere am Tisch. Catherine saß in einem der letzteren, mit dem Kopf über ein ledergebundenes Buch gebeugt. Etwa ein halbes Dutzend ähnliche lagen aufgeschlagen daneben. Catherine hob den Kopf und sah Rod an. „Willkommen“, sagte sie. Ohne die schwere Krone, die sie auf dem Tisch abgelegt hatte, wirkte sie irgendwie kleiner. „Wart Ihr im Haus Clovis?“ erkundigte sie sich.

Rod nickte bejahend mit leicht spöttischem Lächeln.

„Genau wie Ihr sagtet, meine Königin.“ Broms Stimme klang grimmig. „Aber woher wußtet Ihr…“

„Darüber solltet Ihr Euch nicht den Kopf zerbrechen, Brom O'Berin.“

„Woher?“ echote Rod. „Durch Spitzel, natürlich. Ein ausgezeichnetes Informantennetz muß es sein, daß sie so schnell davon erfuhr.“

„Nein“, versicherte ihm Brom selbst verwirrt. „Wir haben nur sehr wenige Spione, denn Loyalität ist etwas Seltenes in diesem dunklen Zeitalter, und wir haben überhaupt keine Spitzel im Haus Clovis.“

„Nein“, bestätigte Catherine, „und doch weiß ich, daß Ihr heute von Tuan von den Bettlern hörtet.“ Ihre Stimme klang fast sanft, als sie den Zwerg anschaute. „Brom…?“

Der Troll lächelte, verbeugte sich und verließ den Raum.

Catherine schritt zum Kamin und starrte in das Feuer. Ihre Schultern hingen herab, und sie wirkte einen Augenblick so zerbrechlich und einsam — und so wunderschön im Schein der Flammen, daß es Rods Kehle zuschnürte. Doch dann straffte sie die Schultern, und ihr Kopf drehte sich ihm scharf zu. „Ihr seid nicht, was Ihr zu sein vortäuscht, Rod Gallowglass. Sagt mir, was Ihr seid!“

Rod zuckte hilflos die Schultern und versuchte, so unschuldig wie nur möglich auszuschauen. „Ein Söldner, nicht mehr und nicht weniger, Eure Majestät.“

„Aber nur als Nebenberuf, und weil es Euch Spaß macht. Und nun verratet mir, was Eure wirkliche Profession ist!“

Rods Gedanken überschlugen sich. Er überlegte sich mehrere Lügen, doch dann entschloß er sich zu der simpelsten Antwort: „Meine Profession ist, Euer Leben zu schützen, Majestät.“

„Tatsächlich!“ Catherines Augen wirkten spöttisch. „Und wer hat Euch dazu ausgebildet? Wer hält so viel von mir, daß er Euch geschickt hat?“

Plötzlich sah Rod durch den Spott und die äußere Härte. Es war alles nur eine Maske, ein Schild, hinter dem sich ein sehr verängstigtes, sehr einsames kleines Mädchen verbarg, das sich nichts mehr wünschte, als jemandem vertrauen zu können. Aber sie hatte zu viele schlechte Erfahrungen gemacht, als daß sie es wagte, überhaupt noch jemandem zu trauen.

Er schaute ihr in die Augen mit seinem sanftesten, ehrlichsten Blick und sagte: „Ich habe keinen Herrn über mir, meine Königin. Ich selbst habe mich geschickt, aus Liebe zu Catherine, der Königin, und Loyalität gegenüber dem Land Gramayre.“

Etwas wie Verzweiflung flackerte in ihren Augen. Ihre Hände verkrampften sich in der Sessellehne. „Liebe!“ murmelte sie, doch schon glitzerte wieder der Spott aus ihrer Miene. „Ja, Liebe — für Catherine, die Königin.“ Sie schaute ins Feuer.

„Doch sei es, wie es mag. Ich glaube ehrlich, daß Ihr ein Freund seid, doch ich kann nicht sagen, wieso ich es weiß. Was führte Euch heute abend ins Haus Clovis?“

Stimmt, auch das hatte sie gewußt. Ob sie Gedanken lesen konnte? Er konzentrierte sich darauf, Gekab zu rufen und kratzte sich am Kinn, denn so würde das Mikrophon den Laut aufnehmen. „Ja, Rod?“ fragte eine außerhalb seines Kopfes unhörbare Stimme.

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