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482.

Seinen Umgang suchen. — Suchen wir denn zu viel, wenn wir den Umgang von Männern suchen, welche mild, wohlschmeckend und nahrhaft geworden sind wie Kastanien, die man zur rechten Zeit in's Feuer gelegt und aus dem Feuer genommen hat? Welche Weniges vom Leben erwarten, und dieses lieber als geschenkt, und nicht als verdient, annehmen, wie als ob die Vögel und die Bienen es ihnen gebracht hätten? Welche zu stolz sind, um sich je belohnt fühlen zu können? Und zu ernst in ihrer Leidenschaft der Erkenntniss und der Redlichkeit, als dass sie noch Zeit und Gefälligkeit für den Ruhm hätten? — Solche Männer würden wir Philosophen nennen; und sie selber werden immer noch einen bescheideneren Namen finden.

483.

Überdruss am Menschen. — A: Erkenne! Ja! Aber immer als Mensch! Wie? Immer vor der gleichen Komödie sitzen, in der gleichen Komödie spielen? Niemals aus anderen, als aus diesen Augen in die Dinge sehen können? Und welche unzählbaren Arten von Wesen mag es geben, deren Organe besser zur Erkenntniss taugen! Was wird am Ende aller ihrer Erkenntniss die Menschheit erkannt haben? — ihre Organe! Und das heisst vielleicht: die Unmöglichkeit der Erkenntniss! Jammer und Ekel! — B: Das ist ein böser Anfall, — die Vernunft fällt dich an! Aber morgen wirst du wieder mitten im Erkennen sein und damit auch mitten in der Unvernunft, will sagen: in der Lust am Menschlichen. Gehen wir an's Meer! —

484.

Der eigene Weg. — Wenn wir den entscheidenden Schritt thun und den Weg antreten, welchen man den» eigenen Weg «nennt: so enthüllt sich uns plötzlich ein Geheimniss: wer auch alles mit uns freund und vertraut war, — Alle haben sich bisher eine Überlegenheit über uns eingebildet und sind beleidigt. Die Besten von ihnen sind nachsichtig und warten geduldig, dass wir den» rechten Weg«— sie wissen ihn ja! — schon wieder finden werden. Die Anderen spotten und thun, als sei man vorübergehend närrisch geworden oder bezeichnen hämisch einen Verführer. Die Böseren erklären uns für eitle Narren und suchen unsere Motive zu schwärzen, und der Schlimmste sieht in uns seinen schlimmsten Feind, einen, den nach Rache für eine lange Abhängigkeit dürstet, — und fürchtet sich vor uns. — Was also thun? Ich rathe: seine Souveränität damit anfangen, dass man für ein Jahr voraus allen uns Bekannten für Sünden jeder Art Amnestie zusichert.

485.

Ferne Perspectiven. — A: Aber warum diese Einsamkeit? — B: Ich zürne Niemandem. Aber allein scheine ich meine Freunde deutlicher und schöner zu sehen, als zusammen mit ihnen; und als ich die Musik am meisten liebte und empfand, lebte ich ferne von ihr. Es scheint, ich brauche die fernen Perspectiven, um gut von den Dingen zu denken.

486.

Gold und Hunger. — Hier und da giebt es einen Menschen, der Alles, was er berührt, in Gold verwandelt. Eines guten bösen Tages wird er entdecken, dass er selber dabei verhungern muss. Er hat Alles glänzend, herrlich, idealisch-unnahbar um sich, und nun sehnt er sich nach Dingen, welche in Gold zu verwandeln ihm durchaus unmöglich ist — und wie sehnt er sich! Wie ein Verhungernder nach Speise! — Wonach wird er greifen?

487.

Scham. — Da steht das schöne Ross und scharrt den Boden, es schnaubt, es verlangt nach einem Ritte und liebt Den, der es sonst reitet, — aber oh Scham! dieser kann sich heute nicht hinaufschwingen, er ist müde. — Diess ist die Scham des ermüdeten Denkers vor seiner eigenen Philosophie.

488.

Gegen die Verschwendung der Liebe. — Erröthen wir nicht, wenn wir uns auf einer heftigen Abneigung ertappen? Aber wir sollten es auch bei heftigen Zuneigungen thun, der Ungerechtigkeit wegen, die auch in ihnen liegt! Ja, noch mehr: es giebt Menschen, die sich wie eingeengt und geschnürten Herzens fühlen, wenn Jemand ihnen seine Zuneigung nur so zu Gute kommen lässt, dass er damit Anderen Etwas von Zuneigung entzieht. Wenn wir es der Stimme anhören, dass wir ausgewählt, vorgezogen werden! Ach, ich bin nicht dankbar für dieses Auswählen, ich merke, dass ich es Dem nachtrage, der mich so auszeichnen will: er soll mich nicht auf Unkosten der Anderen lieben! Will ich doch schon zusehen, mit mir mich selber zu ertragen! Und oft habe ich noch das Herz voll und Grund zu Übermuth, — einem Solchen, der Solches hat, soll man Nichts bringen, was Andere nöthig, bitter nöthig haben!

489.

Freunde in der Noth. — Mitunter merken wir, dass einer unserer Freunde mehr zu einem Andern, als zu uns gehört, dass sein Zartsinn sich bei dieser Entscheidung quält und seine Selbstsucht dieser Entscheidung nicht gewachsen ist: da müssen wir es ihm erleichtern und ihn von uns fortbeleidigen. — Diess ist ebenfalls da nöthig, wo wir in eine Art zu denken übergehen, welche ihm verderblich sein würde: unsere Liebe zu ihm muss uns treiben, durch ein Unrecht, das wir auf uns nehmen, ihm ein gutes Gewissen zu seiner Lossagung von uns zu schaffen.

490.

Diese kleinen Wahrheiten! — »Ihr kennt diess Alles, aber ihr habt es nie erlebt, — ich nehme euer Zeugniss nicht an. Diese kleinen Wahrheiten'! — sie dünken euch klein, weil ihr sie nicht mit eurem Blute bezahlt habt!«— Aber sind sie denn gross, desshalb, weil man Zuviel dafür bezahlt hat? Und Blut ist immer ein Zuviel! — »Glaubt ihr? Was ihr geizig mit Blute seid!»

491.

Auch desshalb Einsamkeit! — A: So willst du wieder in deine Wüste zurück?.- B: Ich bin nicht schnell, ich muss auf mich warten, — es wird spät, bis jedesmal das Wasser aus dem Brunnen meines Selbst an's Licht kommt, und oft muss ich länger Durst leiden, als ich Geduld habe. Desshalb gehe ich in die Einsamkeit, — um nicht aus den Cisternen für Jedermann zu trinken. Unter Vielen lebe ich wie Viele und denke nicht wie ich; nach einiger Zeit ist es mir dann immer, als wolle man mich aus mir verbannen und mir die Seele rauben — und ich werde böse auf Jedermann und fürchte Jedermann. Die Wüste thut mir dann noth, um wieder gut zu werden.

492.

Unter den Südwinden. — A: Ich verstehe mich nicht mehr! Gestern noch war es in mir so stürmisch und dabei so warm, so sonnig — und hell bis zum Äussersten. Und heute! Alles ist nun ruhig, weit, Schwermüthig, dunkel, wie die Lagune von Venedig: — ich will Nichts und athme tief auf dabei und doch bin ich mir insgeheim unwillig über diess Nichts-Wollen: — so plätschern die Wellen hin und her, im See meiner Melancholie. — B: Du beschreibst da eine kleine angenehme Krankheit. Der nächste Nordostwind wird sie von dir nehmen! — A: Warum doch!

493.

Auf dem eigenen Baume. — A:»Ich habe bei den Gedanken keines Denkers so viel Vergnügen, wie bei den eigenen: das sagt freilich Nichts über ihren Werth, aber ich müsste ein Narr sein, um die für mich schmackhaftesten Früchte zurückzusetzen, weil sie zufällig auf in einem Baume wachsen! — Und ich war einmal dieser Narr.«— B:»Andern geht es umgekehrt: und auch diess sagt Nichts über den Werth ihrer Gedanken, namentlich noch Nichts gegen ihren Werth.»

494.

Letztes Argument des Tapferen. — »In diesem Gebüsche sind Schlangen.«— Gut, ich werde in das Gebüsch gehen und sie tödten. — »Aber vielleicht wirst du dabei das Opfer, und sie werden nicht einmal das deine!«— Was liegt an mir!

495.

Unsere Lehrer. — In der Jugend nimmt man seine Lehrer und Wegweiser aus der Gegenwart und aus den Kreisen, auf welche wir gerade stossen: wir haben die gedankenlose Zuversicht, dass die Gegenwart Lehrer haben müsse, die für uns mehr, als für jeden Anderen taugen und dass wir sie finden müssen, ohne viel zu suchen. Für diese Kinderei muss man später hartes Lösegeld zahlen: man muss seine Lehrer an sich abbüssen. Dann geht man wohl nach den rechten Wegweisern suchen in der ganzen Welt herum, die Vorwelt eingerechnet, — aber es ist vielleicht zu spät. Und schlimmsten Falles entdecken wir, dass sie lebten, als wir jung waren — und dass wir uns damals vergriffen haben.

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