Augenschein. — Schlimm! Schlimm! Was man am besten, am hartnäckigsten beweisen muss, das ist der Augenschein. Denn Allzuvielen fehlen die Augen, ihn zu sehen. Aber es ist so langweilig!
254.
Die Vorwegnehmenden. — Das Auszeichnende, aber auch Gefährliche in den dichterischen Naturen ist ihre erschöpfende Phantasie: die, welche Das, was wird und werden könnte, vorweg nimmt, vorweg geniesst, vorweg erleidet und im endlichen Augenblick des Geschehens und der That bereits müde ist. Lord Byron, der diess Alles zu gut kannte, schrieb in sein Tagebuch:»Wenn ich einen Sohn habe, so soll er etwas ganz Prosaisches werden — Jurist oder Seeräuber.»
255.
Gespräch über Musik. — A: Was sagen Sie zu dieser Musik? — B: Sie hat mich überwältigt, ich habe gar Nichts zu sagen. Horch! Da beginnt sie von Neuem! — A.- Um so besser! Sehen wir zu, dass wir sie diessmal überwältigen. Darf ich einige Worte zu dieser Musik machen? Und Ihnen auch ein Drama zeigen, welches Sie vielleicht beim ersten Hören nicht sehen wollten? — B: Wohlan! ich habe zwei Ohren und mehr, wenn es nöthig ist. Rücken Sie dicht an mich heran! — A: — Diess ist es noch nicht, was er uns sagen will, er verspricht bisher nur, dass er Etwas sagen werde, etwas Unerhörtes, wie er mit diesen Gebärden zu verstehen giebt. Denn Gebärden sind es. Wie er winkt! sich hoch aufrichtet! die Arme wirft! Und jetzt scheint ihm der höchste Augenblick der Spannung gekommen: noch zwei Fanfaren, und er führt sein Thema vor, prächtig und geputzt, wie klirrend von edlen Steinen. Ist es eine schöne Frau? Oder ein schönes Pferd? Genug, er sieht entzückt um sich, denn er hat Blicke des Entzückens zu sammeln, — jetzt erst gefällt ihm sein Thema ganz, jetzt wird er erfindsam, wagt neue und kühne Züge. Wie er sein Thema heraustreibt! Ah! Geben Sie Acht, — er versteht nicht nur, es zu schmücken, sondern auch zu schminken! Ja, er weiss, was Farbe der Gesundheit ist, er versteht sich darauf, sie erscheinen zu lassen, — er ist feiner in seiner Selbstkenntniss, als ich dachte. Und jetzt ist er überzeugt, dass er seine Hörer überzeugt hat, er giebt seine Einfälle, als seien es die wichtigsten Dinge unter der Sonne, er hat unverschämte Fingerzeige auf sein Thema, als sei es zu gut für diese Welt. — Ha, wie misstrauisch er ist! Dass wir nur nicht müde werden! So verschüttet er seine Melodien unter Süssigkeiten, — jetzt ruft er sogar unsere gröberen Sinne an, um uns aufzuregen und so wieder unter seine Gewalt zu bringen! Hören Sie, wie er das Elementarische stürmischer und donnernder Rhythmen beschwört! Und jetzt, da er merkt, dass diese uns fassen, würgen und beinahe zerdrücken, wagt er es, sein Thema wieder in's Spiel der Elemente zu mischen und uns Halbbetäubte und Erschütterte zu überreden, unsere Betäubung und Erschütterung sei die Wirkung seines Wunder-Thema's. Und fürderhin glauben es ihm die Zuhörer: sobald es erklingt, entsteht in ihnen eine Erinnerung an jene erschütternde Elementarwirkung, — diese Erinnerung kommt jetzt dem Thema zu Gute, — es ist nun» dämonisch «geworden! Was für ein Kenner der Seele er ist! Er gebietet mit den Künsten eines Volksredners über uns. — Aber die Musik verstummt! — B: Und gut, dass sie es thut! denn ich kann es nicht mehr ertragen, Sie zu hören! Zehnmal lieber will ich doch mich täuschen lassen, als Einmal in Ihrer Art die Wahrheit zu wissen! — A: Diess ist es, was ich von Ihnen hören wollte. So, wie Sie, sind die Besten jetzt: ihr seid zufrieden damit, euch täuschen zu lassen! Ihr kommt mit groben und lüsternen Ohren, ihr bringt das Gewissen der Kunst zum Hören nicht mit, ihr habt eure feinste Redlichkeit unterwegs weggeworfen! Und damit verderbt ihr die Kunst und die Künstler! Immer, wenn ihr klatscht und jubelt, habt ihr das Gewissen der Künstler in den Händen, — und wehe, wenn sie merken, dass ihr zwischen unschuldiger und schuldiger Musik nicht unterscheiden könnt! Ich meine wahrlich nicht» gute «und» schlechte «Musik, — von dieser und jener giebt es in beiden Arten! Aber ich nenne eine unschuldige Musik jene, welche ganz und gar nur an sich denkt, an sich glaubt, und über sich die Welt vergessen hat, — das Von-selber-Ertönen der tiefsten Einsamkeit, die über sich mit sich redet und nicht mehr weiss, dass es Hörer und Lauscher und Wirkungen und Missverständnisse und Misserfolge da draussen giebt. — Zuletzt: die Musik, welche wir eben hörten, ist gerade von dieser edlen und seltenen Art, und Alles, was ich von ihr sagte, war erlogen, — verzeihen Sie meine Bosheit, wenn Sie Lust haben! — B: Oh, Sie lieben also diese Musik auch? Dann sind Ihnen viele Sünden vergeben!
256.
Glück der Bösen. — Diese stillen, düsteren, bösen Menschen haben Etwas, das ihr ihnen nicht streitig machen könnt, einen seltenen und seltsamen Genuss im dolce far niente, eine Abend- und Sonnenuntergangs-Ruhe, wie sie nur ein Herz kennt, das allzu oft durch Affecte verzehrt, zerrissen, vergiftet worden ist.
257.
Worte in uns gegenwärtig. — Wir drücken unsere Gedanken immer mit den Worten aus, die uns zur Hand sind. Oder um meinen ganzen Verdacht auszudrücken: wir haben in jedem Momente eben nur den Gedanken, für welchen uns die Worte zur Hand sind, die ihn ungefähr auszudrücken vermögen.
258.
Dem Hunde schmeicheln. — Man muss diesem Hunde nur einmal das Fell streichen: sofort knistert er und sprüht Funken, wie jeder andere Schmeichler — und ist geistreich auf seine Art. Warum sollten wir ihn nicht so ertragen!
259.
Der ehemalige Lobredner. — »Er ist stumm über mich geworden, obwohl er die Wahrheit jetzt weiss und sie sagen könnte. Aber sie würde wie Rache klingen — und er achtet die Wahrheit so hoch, der Achtungswürdige!
260.
Amulet der Abhängigen. — Wer unvermeidlich von einem Gebieter abhängig ist, soll Etwas haben, wodurch er Furcht einflösst und den Gebieter im Zaume hält, zum Beispiel Rechtschaffenheit oder Aufrichtigkeit oder eine böse Zunge.
261.
Warum so erhaben! — Oh, ich kenne diess Gethier! Freilich gefällt es sich selber besser, wenn es auf zwei Beinen» wie ein Gott «daher schreitet, — aber wenn es wieder auf seine vier Füsse zurückgefallen ist, gefällt es mir besser: diess steht ihm so unvergleichlich natürlicher!
262.
Der Dämon der Macht. — Nicht die Nothdurft, nicht die Begierde, — nein, die Liebe zur Macht ist der Dämon der Menschen. Man gebe ihnen Alles, Gesundheit, Nahrung, Wohnung, Unterhaltung, — sie sind und bleiben unglücklich und grillig: denn der Dämon wartet und wartet und will befriedigt sein. Man nehme ihnen Alles und befriedige diesen: so sind sie beinahe glücklich, — so glücklich als eben Menschen und Dämonen sein können. Aber warum sage ich diess noch? Luther hat es schon gesagt, und besser als ich, in den Versen:»Nehmen sie uns den Leib, Gut, Ehr', Kind und Weib: lass fahren dahin, — das Reich muss uns doch bleiben!«Ja! Ja! Das» Reich«!
263.
Der Widerspruch leibhaft und beseelt. — Im sogenannten Genie ist ein physiologischer Widerspruch, es besitzt einmal viele wilde, unordentliche, unwillkürliche Bewegung und sodann wiederum viele höchste Zweckthätigkeit der Bewegung, — dabei ist ihm ein Spiegel zu eigen, der beide Bewegungen neben einander und in einander, aber auch oft genug wider einander zeigt. In Folge dieses Anblicks ist es oft unglücklich, und wenn es ihm am wohlsten wird, im Schaffen, so ist es, weil es vergisst, dass es gerade jetzt mit höchster Zweckthätigkeit etwas Phantastisches und Unvernünftiges thut (das ist alle Kunst) — thun muss.
264.
Sich irren wollen. — Neidische Menschen mit feinerer Witterung suchen ihren Rivalen nicht genauer kennen zu lernen, um sich ihm überlegen fühlen zu können.