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Die persönlichsten Fragen der Wahrheit. — »Was ist Das eigentlich, was ich thue? Und was will gerade ich damit?«— das ist die Frage der Wahrheit, welche bei unserer jetzigen Art Bildung nicht gelehrt und folglich nicht gefragt wird, für sie giebt es keine Zeit. Dagegen mit Kindern von Possen zu reden und nicht von der Wahrheit, mit Frauen, die später Mütter werden sollen, Artigkeiten zu reden und nicht von der Wahrheit, mit Jünglingen von ihrer Zukunft und ihrem Vergnügen zu reden und nicht von der Wahrheit, — dafür ist immer Zeit und Lust da! — Aber was sind auch siebenzig Jahre! — das läuft hin und ist bald zu Ende; es liegt so Wenig daran, dass die Welle wisse, wie und wohin sie laufe! Ja, es könnte Klugheit sein, es nicht zu wissen. — »Zugegeben: aber stolz ist es nicht, auch nicht einmal darnach zu fragen; unsere Bildung macht die Menschen nicht stolz.«— Um so besser! — »Wirklich?»
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Die Feindschaft der Deutschen gegen die Aufklärung. — Man überschlage den Beitrag, den die Deutschen der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts mit ihrer geistigen Arbeit der allgemeinen Cultur gebracht haben und nehme erstens die deutschen Philosophen: sie sind auf die erste und älteste Stufe der Speculation zurückgegangen, denn sie fanden in Begriffen ihr Genüge, anstatt in Erklärungen, gleich den Denkern träumerischer Zeitalter, — eine vorwissenschaftliche Art der Philosophie wurde durch sie wieder lebendig gemacht. Zweitens die deutschen Historiker und Romantiker: ihre allgemeine Bemühung gieng dahin, ältere, primitive Empfindungen und namentlich das Christenthum, die Volksseele, Volkssage, Volkssprache, die Mittelalterlichkeit, die orientalische Asketik, das Inderthum zu Ehren zu bringen. Drittens die Naturforscher: sie kämpften gegen Newton's und Voltaire's Geist und suchten, gleich Goethe und Schopenhauer, den Gedanken einer vergöttlichten oder verteufelten Natur und ihrer durchgängigen ethischen und symbolischen Bedeutsamkeit wieder aufrecht zu stellen. Der ganze grosse Hang der Deutschen gieng gegen die Aufklärung, und gegen die Revolution der Gesellschaft, welche mit grobem Missverständniss als deren Folge galt: die Pietät gegen alles noch Bestehende suchte sich in Pietät gegen Alles, was bestanden hat, umzusetzen, nur damit Herz und Geist wieder einmal voll würden und keinen Raum mehr für zukünftige und neuernde Ziele hätten. Der Cultus des Gefühls wurde aufgerichtet an Stelle des Cultus' der Vernunft, und die deutschen Musiker, als die Künstler des Unsichtbaren, Schwärmerischen, Märchenhaften, Sehnsüchtigen, bauten an dem neuen Tempel erfolgreicher, als alle Künstler des Wortes und der Gedanken. Bringen wir in Anrechnung, dass unzähliges Gute im Einzelnen gesagt und erforscht worden ist und Manches seitdem billiger beurtheilt wird, als jemals: so bleibt doch übrig, vom Ganzen zu sagen, dass es keine geringe allgemeine Gefahr war, unter dem Anscheine der voll- und endgültigsten Erkenntniss des Vergangenen die Erkenntniss überhaupt unter das Gefühl hinabzudrücken und — um mit Kant zu reden, der so seine eigene Aufgabe bestimmte — »dem Glauben wieder Bahn zu machen, indem man dem Wissen seine Gränzen wies. «Athmen wir wieder freie Luft: die Stunde dieser Gefahr ist vorübergegangen! Und seltsam: gerade die Geister, welche von den Deutschen so beredt beschworen wurden, sind auf die Dauer den Absichten ihrer Beschwörer am schädlichsten geworden, — die Historie, das Verständniss des Ursprungs und der Entwickelung, die Mitempfindung für das Vergangene, die neu erregte Leidenschaft des Gefühls und der Erkenntniss, nachdem sie alle eine Zeit lang hülfreiche Gesellen des verdunkelnden, schwärmenden, zurückbildenden Geistes schienen, haben eines Tages eine andere Natur angenommen und fliegen nun mit den breitesten Flügeln an ihren alten Beschwörern vorüber und hinauf, als neue und stärkere Genien eben jener Aufklärung, wider welche sie beschworen waren. Diese Aufklärung haben wir jetzt weiterzuführen, — unbekümmert darum, dass es eine» grosse Revolution «und wiederum eine» grosse Reaction «gegen dieselbe gegeben hat, ja dass es Beides noch giebt: es sind doch nur Wellenspiele, im Vergleiche mit der wahrhaft grossen Fluth, in welcher wir treiben und treiben wollen!
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Seinem Volke den Rang geben. — Viele grosse innere Erfahrungen haben, und auf und über ihnen mit einem geistigen Auge ruhen, — das macht die Menschen der Cultur, welche ihrem Volke den Rang geben. In Frankreich und Italien that diess der Adel, in Deutschland, wo der Adel bisher im Ganzen zu den Armen im Geiste gehörte (vielleicht nicht mehr auf lange), thaten es Priester, Lehrer und deren Nachkommen.
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Wir sind vornehmer. — Treue, Grossmuth, die Scham des guten Rufs: diese Drei in Einer Gesinnung verbunden — das nennen wir adelig, vornehm, edel, und damit übertreffen wir die Griechen. Wir wollen es ja nicht preisgeben, aus dem Gefühle, dass die alten Gegenstände dieser Tugenden in der Achtung gesunken sind (und mit Recht), sondern behutsam diesem unserem köstlichen Erbtriebe neue Gegenstände unterschieben. — Um zu begreifen, dass die Gesinnung der vornehmsten Griechen inmitten unserer immer noch ritterlichen und feudalistischen Vornehmheit als gering und kaum anständig empfunden werden müsste, erinnere man sich jenes Trostspruches, den Odysseus in schmählichen Lagen im Munde führt:»Ertrag' es nur, mein liebes Herz! du hast schon Hundemässigeres ertragen!«Und dazu nehme man als Nutzanwendung des mythischen Vorbildes die Geschichte von jenem athenischen Officier, der, vor dem ganzen Generalstabe, von einem andern Officier mit dem Stocke bedroht, diese Schmach mit dem Worte von sich abschüttelte:»Schlag' mich nur! Nun aber höre mich auch!«(Diess that Themistokles, jener vielgewandte Odysseus des classischen Zeitalters, der recht der Mann dazu war, in diesem schmählichen Augenblick jenen Trost- und Nothvers an sein» liebes Herz «hinunterzuschicken.) Es lag den Griechen ferne, Leben und Tod einer Beschimpfung halber so leicht zu nehmen, wie wir es thun, unter dem Eindruck vererbter ritterlicher Abenteuerlichkeit und Opferlust; oder Gelegenheiten aufzusuchen, wo man Beides auf ein ehrenvolles Spiel setzen könne, wie wir bei Duellen; oder die Erhaltung des guten Namens (Ehre) höher zu achten, als die Eroberung des bösen Namens, wenn Letzteres mit Ruhm und Machtgefühl verträglich ist; oder den ständischen Vorurtheilen und Glaubensartikeln Treue zu halten, wenn sie verhindern könnten, ein Tyrann zu werden. Denn diess ist das unedle Geheimniss jedes guten griechischen Aristokraten: er hält aus tiefster Eifersucht jeden seiner Standesgenossen auf gleichem Fusse mit sich, ist aber jeden Augenblick wie ein Tiger bereit, auf seine Beute, die Gewaltherrschaft, loszustürzen: was ist ihm dabei Lüge, Mord, Verrath, Verkauf der Vaterstadt! Die Gerechtigkeit wurde dieser Art Menschen ausserordentlich schwer, sie galt beinahe für etwas Unglaubliches;»der Gerechte«— das klang unter Griechen wie» der Heilige «unter Christen. Wenn aber gar Sokrates sagte:»der Tugendhafte ist der Glücklichste«, so traute man seinen Ohren nicht, man glaubte etwas Verrücktes gehört zu haben. Denn bei dem Bilde des Glücklichsten dachte jeder Mann vornehmer Abkunft an die vollendete Rücksichtslosigkeit und Teufelei des Tyrannen, der seinem Übermuthe und seiner Lust Alles und Alle opfert. Unter Menschen, welche im Geheimen über ein solches Glück wild phantasirten, konnte freilich die Verehrung des Staates nicht tief genug gepflanzt werden, — aber ich meine: Menschen, deren Machtgelüst nicht mehr so blind wüthet, wie das jener vornehmen Griechen, haben auch jene Abgötterei des Staats-Begriffes nicht mehr nöthig, mit welcher damals jenes Gelüst im Zaume gehalten wurde.
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Armuth ertragen. — Der grosse Vorzug adeliger Abkunft ist, dass sie die Armuth besser ertragen lässt.