186.
Geschäftsleute. — Euer Geschäft — das ist euer grösstes Vorurtheil, es bindet euch an euren Ort, an eure Gesellschaft, an eure Neigungen. Im Geschäft fleissig, — aber im Geiste faul, mit eurer Dürftigkeit zufrieden und die Schürze der Pflicht über diese Zufriedenheit gehängt: so lebt ihr, so wollt ihr eure Kinder!
187.
Aus einer möglichen Zukunft. — Ist ein Zustand undenkbar, wo der Übelthäter sich selber zur Anzeige bringt, sich selber seine Strafe öffentlich dictirt, im stolzen Gefühle, dass er so das Gesetz ehrt, das er selber gemacht hat, dass er seine Macht ausübt, indem er sich straft, die Macht des Gesetzgebers? Er kann sich einmal vergehen, aber er erhebt sich durch die freiwillige Strafe über sein Vergehen, er wischt das Vergehen durch Freimüthigkeit, Grösse und Ruhe nicht nur aus: er thut eine öffentliche Wohlthat hinzu. — Diess wäre der Verbrecher einer möglichen Zukunft, welcher freilich auch eine Gesetzgebung der Zukunft voraussetzt, des Grundgedankens:»ich beuge mich nur dem Gesetze, welches ich selber gegeben habe, im Kleinen und Grossen. «Es müssen so viele Versuche noch gemacht werden! Es muss so manche Zukunft noch an's Licht kommen!
188.
Rausch und Ernährung. — Die Völker werden so sehr betrogen, weil sie immer einen Betrüger suchen, nämlich einen aufregenden Wein für ihre Sinne. Wenn sie nur den haben können, dann nehmen sie wohl mit schlechtem Brode fürlieb. Der Rausch gilt ihnen mehr, als die Nahrung, — hier ist der Köder, an dem sie immer anbeissen werden! Was sind ihnen Männer, aus ihrer Mitte gewählt — und seien es die sachkundigsten Praktiker — gegen glänzende Eroberer, oder alte prunkhafte Fürstenhäuser! Mindestens muss der Volksmann ihnen Eroberungen und Prunk in Aussicht stellen: so findet er vielleicht Glauben. Sie gehorchen immer, und thun noch mehr, als gehorchen, vorausgesetzt, dass sie sich dabei berauschen können! Man darf ihnen selbst die Ruhe und das Vergnügen nicht anbieten, ohne den Lorberkranz und seine verrückt machende Kraft darin. Dieser pöbelhafte Geschmack, welcher den Rausch wichtiger nimmt, als die Ernährung, ist aber keineswegs in der Tiefe des Pöbels entstanden: er ist vielmehr dorthin getragen, dorthin verpflanzt und dort nur noch am meisten rückständig und üppig aufschiessend, während er von den höchsten Intelligenzen her seinen Ursprung nimmt und Jahrtausende lang in ihnen geblüht hat. Das Volk ist der letzte wilde Boden, auf dem dieses glänzende Unkraut noch gedeihen kann. — Wie! Und ihm gerade sollte man die Politik anvertrauen? Damit es sich aus ihr seinen täglichen Rausch mache?
189.
Von der grossen Politik. — Soviel auch der Nutzen und die Eitelkeit, von Einzelnen wie von Völkern, in der grossen Politik mitwirken mögen: das gewaltigste Wasser, das sie vorwärts treibt, ist das Bedürfniss des Machtgefühls, welches nicht nur in den Seelen der Fürsten und Mächtigen, sondern nicht zum geringsten Theil gerade in den niederen Schichten des Volkes aus unversieglichen Quellen von Zeit zu Zeit hervorstösst. Es kommt immer wieder die Stunde, wo die Masse ihr Leben, ihr Vermögen, ihr Gewissen, ihre Tugend daranzusetzen bereit ist, um jenen ihren höchsten Genuss sich zu schaffen und als siegreiche, tyrannisch willkürliche Nation über andere Nationen zu schalten (oder sich schaltend zu denken). Da quellen die verschwenderischen, aufopfernden, hoffenden, vertrauenden, überverwegenen, phantastischen Gefühle so reichlich herauf, dass der ehrgeizige oder klug vorsorgende Fürst einen Krieg vom Zaune brechen und das gute Gewissen des Volkes seinem Unrecht unterschieben kann. Die grossen Eroberer haben immer die pathetische Sprache der Tugend im Munde geführt: sie hatten immer Massen um sich, welche sich im Zustande der Erhebung befanden und nur die erhobenste Sprache hören wollten. Wunderliche Tollheit der moralischen Urtheile! Wenn der Mensch im Gefühle der Macht ist, so fühlt und nennt er sich gut: und gerade dann fühlen und nennen ihn die Anderen, an denen er seine Macht auslassen muss, böse! — Hesiod hat in der Fabel von den Menschenaltern das selbe Zeitalter, das der homerischen Helden, zweimal hinter einander gemalt und zwei aus einem gemacht: von Denen aus gesehen, welche unter dem ehernen, entsetzlichen Druck dieser abenteuernden Gewaltmenschen standen oder durch ihre Vorfahren davon wussten, erschien es böse: aber die Nachkommen dieser ritterlichen Geschlechter verehrten in ihm eine gute alte, selig-halb-selige Zeit. Da wusste sich der Dichter nicht anders zu helfen, als er gethan hat, — er hatte wohl Zuhörer beider Gattungen um sich!
190.
Die ehemalige deutsche Bildung. — Als die Deutschen den anderen Völkern Europa's anfiengen interessant zu werden — es ist nicht zu lange her — , geschah es vermöge einer Bildung, die sie jetzt nicht mehr besitzen, ja die sie mit einem blinden Eifer abgeschüttelt haben, wie als ob sie eine Krankheit gewesen sei: und doch wussten sie nichts Besseres dagegen einzutauschen, als den politischen und nationalen Wahnsinn. Freilich haben sie mit ihm erreicht, dass sie den anderen Völkern noch weit interessanter geworden sind, als sie es damals durch ihre Bildung waren: und so mögen sie ihre Zufriedenheit haben! Inzwischen ist nicht zu leugnen, dass jene deutsche Bildung die Europäer genarrt hat und dass sie eines solchen Interesses, ja einer solchen Nachahmung und wetteifernden Aneignung nicht werth war. Man sehe sich heute einmal nach Schiller, Wilhelm von Humboldt, Schleiermacher, Hegel, Schelling um, man lese ihre Briefwechsel und führe sich in den grossen Kreis ihrer Anhänger ein: was ist ihnen gemeinsam, was an ihnen wirkt auf uns, wie wir jetzt sind, bald so unausstehlich, bald so rührend und bemitleidenswerth? Einmal die Sucht, um jeden Preis moralisch erregt zu erscheinen; sodann das Verlangen nach glänzenden knochenlosen Allgemeinheiten, nebst der Absicht auf ein Schöner-sehen-wollen in Bezug auf Alles (Charaktere, Leidenschaften, Zeiten, Sitten), — leider» schön «nach einem schlechten verschwommenen Geschmack, der sich nichtsdestoweniger griechischer Abkunft rühmte. Es ist ein weicher, gutartiger, silbern glitzernder Idealismus, welcher vor Allem edel verstellte Gebärden und edel verstellte Stimmen haben will, ein Ding, ebenso anmaasslich als harmlos, beseelt vom herzlichsten Widerwillen gegen die» kalte «oder» trockene «Wirklichkeit, gegen die Anatomie, gegen die vollständigen Leidenschaften, gegen jede Art philosophischer Enthaltsamkeit und Skepsis, zumal aber gegen die Naturerkenntniss, sofern sie sich nicht zu einer religiösen Symbolik gebrauchen liess. Diesem Treiben der deutschen Bildung sah Goethe zu, in seiner Art: danebenstehend, mild widerstrebend, schweigsam, sich auf seinem eignen, besseren Wege immer mehr bestärkend. Dem sah etwas später auch Schopenhauer zu, — ihm war viel wirkliche Welt und Teufelei der Welt wieder sichtbar geworden, und er sprach davon ebenso grob als begeistert: denn diese Teufelei hat ihre Schönheit! — Und was verführte im Grunde die Ausländer, dass sie dem nicht so zusahen, wie Goethe und Schopenhauer, oder einfach davon absahen? Es war jener matte Glanz, jenes räthselhafte Milchstrassen-Licht, welches um diese Bildung leuchtete: dabei sagte sich der Ausländer» Das ist uns sehr, sehr ferne, da hört für uns Sehen, Hören, Verstehen, Geniessen, Abschätzen auf; trotzdem könnten es Sterne sein! Sollten die Deutschen in aller Stille eine Ecke des Himmels entdeckt und sich dort niedergelassen haben? Man muss suchen, den Deutschen näher zu kommen. «Und man kam ihnen näher: während kaum viel später die selben Deutschen sich zu bemühen anfiengen, den Milchstrassen Glanz von sich abzustreifen; sie wussten zu gut, dass sie nicht im Himmel gewesen waren, — sondern in einer Wolke!
191.
Bessere Menschen! — Man sagt mir, unsere Kunst wende sich an die gierigen, unersättlichen, ungebändigten, verekelten, zerquälten Menschen der Gegenwart und zeige ihnen ein Bild von Seligkeit, Höhe und Entweltlichung neben dem Bilde ihrer Wüstheit: sodass sie einmal vergessen und aufathmen können, ja vielleicht den Antrieb zur Flucht und Umkehr mit aus jenem Vergessen zurückbringen. Arme Künstler, mit einem solchen Publicum! Mit solchen halb priesterlichen, halb irrenärztlichen Hintergedanken! Um wie viel glücklicher war Corneille — »unser grosser Corneille«, wie Frau von Sévigné, mit einem Accent des Weibes vor einem ganzen Manne, ausruft, — um wie viel höher seine Zuhörerschaft, welcher er mit den Bildern ritterlicher Tugenden, strenger Pflicht, grossmüthiger Aufopferung, heldenhafter Bändigung seiner selber wohlthun konnte! Wie anders liebten er und sie das Dasein, nicht aus einem blinden wüsten» Willen «heraus, den man verflucht, weil man ihn nicht zu tödten vermag, sondern als einen Ort, auf dem Grösse und Humanität mitsammen möglich sind und wo selbst der strengste Zwang der Formen, die Unterwerfung unter eine fürstliche und geistliche Willkür weder den Stolz, noch die Ritterlichkeit, noch die Anmuth, noch den Geist aller Einzelnen unterdrücken können, vielmehr als ein Reiz und Sporn des Gegensatzes zur angeborenen Selbstherrlichkeit und Vornehmheit, zur ererbten Macht des Wollens und der Leidenschaft empfunden werden!