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69.

Unnachahmlich. — Es giebt eine ungeheure Spannung und Spannweite zwischen Neid und Freundschaft, zwischen Selbstverachtung und Stolz: in der ersten lebte der Grieche, in der zweiten der Christ.

70.

Wozu ein grober Intellect nütze ist. — Die christliche Kirche ist eine Encyklopädie von vorzeitlichen Culten und Anschauungen der verschiedensten Abkunft und desshalb so missionsfähig: sie mochte ehemals, sie mag jetzt kommen, wohin sie will, sie fand und findet etwas Ähnliches vor, dem sie sich anpassen und dem sie allmählich ihren Sinn unterschieben kann. Nicht das Christliche an ihr, sondern das Universal-Heidnische ihrer Gebräuche ist der Grund für die Ausbreitung dieser Weltreligion; ihre Gedanken, die zugleich im Jüdischen und im Hellenischen wurzeln, haben von Anbeginn an über die nationalen und rassemässigen Absonderungen und Feinheiten, gleich als über Vorurtheile, sich zu erheben gewusst. Mag man diese Kraft, das Verschiedenste in einander wachsen zu lassen, immerhin bewundern: nur vergesse man auch die verächtliche Eigenschaft dieser Kraft nicht, — die erstaunliche Grobheit und Genügsamkeit ihres Intellectes in der Zeit der Kirchenbildung, um dergestalt mit jeder Kost fürlieb zu nehmen und Gegensätze wie Kieselsteine zu verdauen.

71.

Die christliche Rache an Rom. — Nichts ermüdet vielleicht so sehr als der Anblick eines beständigen Siegers, — man hatte Rom zweihundert Jahre lang ein Volk nach dem andern sich unterwerfen sehen, der Kreis war umspannt, alle Zukunft schien am Ende, alle Dinge wurden auf einen ewigen Zustand eingerichtet, — ja wenn das Reich baute, so baute man mit dem Hintergedanken des» aere perennius«; — wir, die wir nur die» Melancholie der Ruinen «kennen, können kaum jene ganz andersartige Melancholie der ewigen Bauten verstehen, gegen welche man sich zu retten suchen musste, wie es gehen wollte, — zum Beispiel mit dem Leichtsinne Horazens. Andere suchten andere Trostmittel gegen die an Verzweiflung gränzende Müdigkeit, gegen das tödtende Bewusstsein, dass alle Gedanken- und Herzensgänge nunmehr ohne Hoffnung seien, dass überall die grosse Spinne sitze, dass sie unerbittlich alles Blut trinken werde, wo es auch noch quelle. — Dieser jahrhundertalte wortlose Hass der ermüdeten Zuschauer gegen Rom, so weit nur Rom herrschte, entlud sich endlich im Christenthume, indem es Rom, die» Welt «und die» Sünde «in Eine Empfindung zusammenfasste: man rächte sich an ihm, indem man den plötzlichen Untergang der Welt sich in der Nähe dachte: man rächte sich an ihm, indem man wieder eine Zukunft vor sich stellte — Rom hatte Alles zu seiner Vorgeschichte und Gegenwart zu machen gewusst — und eine Zukunft, in Vergleich zu welcher Rom nicht mehr als das Wichtigste erschien; man rächte sich an ihm, indem man vom letzten Gericht träumte, — und der gekreuzigte Jude als Symbol des Heils war der tiefste Spott auf die prachtvollen römischen Prätoren in der Provinz, denn nun erschienen sie als die Symbole des Unheils und der zum Untergange reifen» Welt«. —

72.

Das» NachdemTode«. — Das Christenthum fand die Vorstellung von Höllenstrafen im ganzen römischen Reiche vor: über ihr haben die zahlreichen geheimen Culte mit besonderem Wohlgefallen gebrütet, als über dem fruchtbarsten Ei ihrer Macht. Epikur hatte für seines Gleichen nichts Grösseres zu thun geglaubt, als die Wurzeln dieses Glaubens auszureissen: sein Triumph, der am schönsten im Munde des düsteren und doch hell gewordenen Jüngers seiner Lehre, des Römers Lucretius, ausklingt, kam zu früh, — das Christenthum nahm den bereits verwelkenden Glauben an die unterirdischen Schrecknisse in seinen besonderen Schutz, und that klug daran! Wie hätte es ohne diesen kühnen Griff in's volle Heidenthum den Sieg über die Popularität der Mithras- und Isisculte davontragen können! So brachte es die Furchtsamen auf seine Seite, — die stärksten Anhänger eines neuen Glaubens! Die Juden, als ein Volk, welches am Leben hieng und hängt, gleich den Griechen und mehr als die Griechen, hatten jene Vorstellungen wenig angebaut: der endgültige Tod als die Strafe des Sünders und niemals wieder auferstehen, als äusserste Drohung, — das wirkte schon stark genug auf diese sonderbaren Menschen, welche ihren Leib nicht loswerden wollten, sondern ihn, mit ihrem verfeinerten Agypticismus, in alle Ewigkeit zu retten hofften. (Ein jüdischer Märtyrer, von dem im zweiten Buche der Makkabäer zu lesen ist, denkt nicht daran, auf seine herausgerissenen Eingeweide Verzicht zu leisten: bei der Auferstehung will er sie haben, — so ist es jüdisch!) Den ersten Christen lag der Gedanke an ewige Qualen ganz fern, sie dachten» vom Tode «erlöst zu sein und erwarteten von Tag zu Tage eine Verwandlung und nicht mehr ein Sterben. (Wie seltsam muss der erste Todesfall unter diesen Wartenden gewirkt haben! Wie mischten sich da Verwunderung, Frohlocken, Zweifel, Scham, Inbrunst! — wahrlich ein Vorwurf für grosse Künstler!) Paulus wusste nichts Besseres seinem Erlöser nachzusagen, als dass er den Zugang zur Unsterblichkeit für Jedermann eröffnet habe, — er glaubt noch nicht an die Auferstehung der Unerlösten, ja, in Folge seiner Lehre vom unerfüllbaren Gesetze und vom Tode als Folge der Sünde argwöhnt er, im Grunde sei bisher Niemand (oder sehr Wenige, und dann aus Gnade und ohne Verdienst) unsterblich geworden; jetzt erst beginne die Unsterblichkeit ihre Thore aufzuthun, — und zuletzt seien auch für sie sehr Wenige auserwählt: wie der Hochmuth des Auserwählten nicht unterlassen kann hinzuzufügen. — Anderwärts, wo der Trieb nach Leben nicht gleich gross war, wie unter Juden und Judenchristen, und die Aussicht auf Unsterblichkeit nicht ohne Weiteres werthvoller erschien, als die Aussicht auf einen endgültigen Tod, wurde jener heidnische und doch auch nicht ganz unjüdische Zusatz von der Hölle ein erwünschtes Werkzeug in der Hand der Missionäre: es erhob sich die neue Lehre, dass auch der Sünder und Unerlöste unsterblich sei, die Lehre vom Ewig-Verdammten, und sie war mächtiger, als der nunmehr ganz verbleichende Gedanke vom endgültigen Tode. Erst die Wissenschaft hat ihn sich wieder zurückerobern müssen, und zwar indem sie zugleich jede andere Vorstellung vom Tode und jedes jenseitige Leben ablehnte. Wir sind um Ein Interesse ärmer geworden: das» Nach-dem-Tode «geht uns Nichts mehr an! — eine unsägliche Wohlthat, welche nur noch zu jung ist, um als solche weit- und breithin empfunden zu werden. — Und von Neuem triumphirt Epikur!

73.

Für die «Wahrheit«! —»Für die Wahrheit des Christenthums sprach der tugendhafte Wandel der Christen, ihre Standhaftigkeit im Leiden, der feste Glaube und vor Allem die Verbreitung und das Wachsthum trotz aller Trübsal«, — so redet ihr auch heute noch! Es ist zum Erbarmen! So lernt doch, dass diess Alles nicht für und nicht gegen die Wahrheit spricht, dass die Wahrheit anders bewiesen wird, als die Wahrhaftigkeit, und dass letztere durchaus kein Argument für die erstere ist!

74.

Christlicher Hintergedanke. — Sollte diess nicht der gewöhnlichste Hintergedanke des Christen des ersten Jahrhunderts gewesen sein:»es ist besser, sich seine Schuld einzureden, als seine Unschuld, denn man weiss nicht genau, wie ein so mächtiger Richter gesinnt ist, — fürchten aber muss man, dass er lauter Schuldbewusste zu finden hofft! Bei seiner grossen Macht wird er leichter einen Schuldigen begnadigen, als zugestehen, dass einer vor ihm im Rechte sei.«— So empfanden die armen Leute in der Provinz vor dem römischen Prätor:»er ist zu stolz, als dass wir unschuldig sein dürften,«— wie sollte sich nicht gerade diese Empfindung bei der christlichen Vergegenwärtigung des höchsten Richters wieder eingestellt haben!

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Nicht europäisch und nicht vornehm. — Es ist etwas Orientalisches und etwas Weibliches im Christenthum: das verräth sich in dem Gedanken» wen Gott lieb hat, den züchtigt er;«denn die Frauen im Orient betrachten Züchtigungen und strenge Abschliessung ihrer Person gegen die Welt als ein Zeichen der Liebe ihres Mannes und beschweren sich, wenn diese Zeichen ausbleiben.

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