So kam Nico auf die Erde…
Erster Freund
Als der unglücklich Verbannte zur Besinnung kam, wurde er als Verbrecher aus dem Schloss vertrieben. Ihm wurde nur die Richtung gezeigt in die er gehen sollte.
Lange ging der kleine Nico, über sein unseliges Schicksal nachdenkend, ziellos vor sich hin. Sicher, was hätte er auch anderes erwarten sollen? Er hatte doch immer Pech. Wieso sollte er jetzt Glück haben, wo er das einzige Wesen der Welt getroffen hatte, das zu ihm freundlich war?
Vor den Augen des Drachens erschien wieder das Bild des kleinen Drachenmädchens, aber Nico wusste, dass er sie wohl nie wieder sehen würde, genauso wie seine Eltern… Seine Gedanken wanderten zum Elternhaus: ob seine Verwandten Bescheid wussten was mit ihm geschehen war, ob sie sich um ihn Sorgen machten oder wäre ihnen sein Schicksal vollkommen egal? Wussten sie, dass ihr Sohn nach Kitur verbannt wurde?
Der kleine Verstoßene kehrte in die Wirklichkeit zurück – was erwartete ihn hier, auf diesem fremden Planeten? Unwillkürlich schluchzte er… danach seufzte er tief, schaute sich um und schleppte sich weiter.
* * *
…Tag und Nacht stapfte Nico erst durch schneebedeckte Gipfel, dann erreichte er Hügel und endlich befand er sich in einem Wald. Als er einen Fluß erreichte war er so erschöpft, dass er nicht mehr in der Lage war seine Pfoten fortzubewegen. Nico hatte so einen riesigen Hunger, dass er bereit war Moos von der Erde zu essen, um nur bloß kein Knurren mehr im Bauch zu haben. Da bemerkte er Frösche, versteckte sich in einem Busch, sprang nach ihnen und… fiel bewusstlos zu Boden. Offenbar eine Auswirkung des Hungers.
Die Frösche sprangen ins Wasser und Nico lag bewusstlos am Ufer des Flusses mit seiner Schnauze im Wasser. Zum Glück war zumindestens seine Nase über der Oberfläche, sonst hätte er sein abenteuerliches Leben am Ufer dieses kleinen Flusses beendete. Durch die Nase sog er Luft ein, aber er atmete sie ins Wasser aus, deswegen sprudelte alles um seine Schnauze herum.
So lag der Arme, bis zu dem Fluss ein prächtiger Planwagen kam in dem sich eine adelige Familie befand. Sie machten Halt, um Mittag zu essen. Während die Erwachsenen sich auf einer Wiese aufstellten, lief ein kleines Mädchen, etwa sieben Jahre alt, am Flussufer herum um Blumen zu pflücken. Plötzlich sah sie ein Wesen, das am ehesten wie ein Hund oder eine riesige Katze aussah. Das Mädchen hatte keine Angst und zog dieses Wesen, den Schwanz greifend, vom Wasser weg. Daraufhin lief sie zum Planwagen, nahm sich ein Stück getrocknetes Fleisch und kam zurück. Das Mädchen schwenkte das Fleisch vor Nicos Nase und der Drache begann zur Besinnung zu kommen. Erst dachte der Arme, dass es bloß ein Traum war in dem er, in einer Art Nebel versuchte fliegende Fleischstücke zu fangen. Aber dann, als er ein Stück erhaschte und zwischen den Zähnen hielt, spürte der kleine Drache den echten Geschmack des Fleisches und kam wieder zu Bewusstsein.
„Wer bist du?“, fragte ihn das kleine Mädchen.
Das Fleisch fest in den Pfoten haltend, starrte Nico ohne zu blinzeln auf das Kind. Er hatte nicht erwartet, die Menschen verstehen zu können.
„Nico“, sagte der kleine Drache endlich und betrachtete mit Neugier das Menschenkind.
Zum ersten Mal in seinem Leben sah er einen echten Bewohner des Planeten Kitur und ihre blonden Locken, die mit Schleifen geschmückt waren, ließen sie einer Puppe ähneln mit der Nicos Schwestern gespielt hatten.
„Du bist ein Drache, oder?“, fragte die Retterin, das seltsame Wesen beäugend.
„Ja“, sagte Nico, dabei aß er schnell mehr Fleisch und leckte sich die Finger ab.
„Und wieso hast du im Wasser geschlafen?“
„Ich habe nicht geschlafen, ich lag auf der Lauer“, log der kleine Drache verlegen.
Das Mädchen schnaubte. Sie wusste, dass der Drache niemandem aufgelauert hatte.
„Schon gut.“, sagte sie. „Wo wohnst du?“
„Ich… ich…“
„Du hast kein Zuhause?“, fragte sogleich das Mädchen.
Nico senkte die Augen.
„Nein.“
„Wenn Du willst nehme ich dich mit! Ich habe ein großes Zimmer.“
Der Arme schaute das Mädchen mit solcher Hoffnung an, dass darin alles gesagt war.
„Gut, aber so, dass meine Eltern dich nicht bemerken. Wir werden bald weiterziehen. Du bleibst in den Büschen und wenn wir losfahren springst Du hinten auf die Sitzbank.“
Nico nickte. Das Mädchen ging durch hohes Gras zu den Erwachsenen zurück, wendete sich noch einmal um und sagte:
„Ich heiße Arlen…“
Einige Zeit lang saß Nico, ohne die Augen von den Menschen abzuwenden zwischen den Büschen. Als sie fertig waren und sich der Planwagen in Bewegung setzte, sah er wie Arlen aus dem Fenster sah, den Kopf nach allen Seiten drehte und ihn suchte. Nico lief hinterher und schaffte es gerade noch rechtzeitig auf einen Sitz zu klettern, der an der hinteren Wand des Planwagens angebracht war und auf dem eine Kiste mit Vorräten stand…
* * *
Der Planwagen fuhr zu einem riesigen Schloss und blieb davor stehen. Der kleine Drache sprang vom Sitz und versteckte sich hinter einem Wagenrad. Während die Erwachsenen Sachen ausluden, schaute das Mädchen unter den Boden des Wagens und sagte, als sie den Drachen sah schnell:
„Warte auf mich auf der anderen Seite des Hauses…“
Als alle weg waren, fuhr der Kutscher den Wagen fort und Nico, der an einer Halterung an der Unterseite hing, erreichte so eine Wiese mit hohem Gras und von dort aus einige Johannisbeerbüsche. Durch die Grünanlage ging es weiter in den Gemüsegarten, wo er zwischen den Beeten entlang kroch, wie ein Kater auf der Lauer. Nur hatte er vergessen, auch seinen Schwanz zu verstecken.
In diesem Moment atmete eines der Dienstmädchen, das für den herrschaftlichen Tisch Gemüse sammelte kurz durch und streckte ihren Rücken. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass sich etwas zwischen den Salatbeeten bewegte und knisterte. Bei genauer Betrachtung erkannte sie irgendein seltsames Tier. Die ganze Nachbarschaft zusammenschreiend, ließ das Dienstmädchen ihr Gemüse fallen, raffte ihre Röcke und rannte im Galopp aus dem Gemüsegarten.
Vor Schreck sprang auch Nico auf und lief schreiend in Richtung Schloss. Zu seinem Glück, schaffte Arlen es rechtzeitig eine Tür zu öffnen und Nico schlüpfte im Nu ins rückseitige Haus. Die Bewohner des Hauses liefen auf den Schrei hin zusammen. Die Frauen standen abseits, während bewaffnete Männer, auf der Suche nach der Bestie die Beete durchwanderten. Als niemand gefunden wurde, gingen alle wieder ihren normalen Angelegenheiten nach. Währenddessen war Nico in Arlens Zimmer. Mit Interesse ging er die Regale entlang und betrachtete die verschiedenen Gegenstände. Puppen, Teddybären mit Knöpfen als Augen, Haarklammern und vieles mehr. Arlen saß auf einem Sofa und beobachtete den Drachen.
Nachdem er das ganze Zimmer des Kindes durchwandert und in alle Schubladen und Schränke gesehen hatte, fand Nico endlich einen Platz an dem er schlafen würde – unter Arlens riesigem Bett. Von dort bis zum Boden hing eine Decke und dem kleinen Drachen schien es für einen Moment, als ob er sich wieder in seiner Höhle befände. Dunkel und bequem, als würde es ihn beschützen. Er brachte unter das Bett einige Lammfelle und mehrere Kopfkissen aus dem Bett des Mädchens und richtete sich mit allem Komfort ein. Von diesem Tag an hatte Nico endlich einen kleinen Freund und das Mädchen einen ungewöhnlichen Kameraden und noch dazu ein Geheimnis.
Arlen belästigte die Hausangehörigen nicht mehr mit der Bitte, mit ihr zu spielen und verbrachte stattdessen die meiste Zeit mit dem Drachen in ihrem Zimmer. Während des Mittagessens und Abendbrotes schlich sich Nico in den Speisesaal, kroch unter den Tisch und erhielt von Arlen Stückchen der verschiedenen Speisen. Am liebsten mochte Nico gefüllte Teigtaschen, welche eine rundliche Köchin extra für ihren Liebling Arlen buk – mit Kirschen, Erdbeeren oder Rhabarber, je nach Saison. Das Mädchen brachte ihren neuen Freund heimlich, durch einen geheimen Ausgang aus dem Haus und sie gingen entlang eines Flusses spazieren. Nico liebte diese Spaziergänge. Mit jedem Tag wurde die Freundschaft zwischen ihm und Arlen enger und enger. Die Kleine schenkte ihm sogar ihre Mütze und den Schal mit Handschuhen, den ihr die Köchin zum fünften Geburtstag gestrickt hatte und der ihr zu klein geworden war. Nico erzählte Arlen vom Land der Drachen und sie ihm über das Leben auf der Erde. Natürlich nur über die Dinge, die sie selbst wusste.