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Man ertappt die Unheiligkeit der christlichen Mittel in flagranti, wenn man den christlichen Zweck einmal an dem Zweck des Manu-Gesetzbuchs misst, — wenn man diesen grössten Zweck-Gegensatz unter starkes Licht bringt. Es bleibt dem Kritiker des Christenthums nicht erspart, das Christenthum verächtlich zu machen. — Ein solches Gesetzbuch wie das des Manu entsteht, wie jedes gute Gesetzbuch: es resümirt die Erfahrung, Klugheit und Experimental-Moral von langen Jahrhunderten, es schliesst ab, es schafft Nichts mehr. Die Voraussetzung zu einer Codification seiner Art ist die Einsicht, dass die Mittel, einer langsam und kostspielig erworbenen Wahrheit Autorität zu schaffen, grundverschieden von denen sind, mit denen man sie beweisen würde. Ein Gesetzbuch erzählt niemals den Nutzen, die Gründe, die Casuistik in der Vorgeschichte eines Gesetzes: eben damit würde es den imperativischen Ton einbüssen, das» Du sollst«, die Voraussetzung dafür, dass gehorcht wird. Das Problem liegt genau hierin. — An einem gewissen Punkte der Entwicklung eines Volks erklärt die umsichtigste, das heisst zurück- und hinausblickendste Schicht desselben, die Erfahrung, nach der gelebt werden soll — das heisst kann — , für abgeschlossen. Ihr Ziel geht dahin, die Ernte möglichst reich und vollständig von den Zeiten des Experiments und der schlimmen Erfahrung heimzubringen. Was folglich vor allem jetzt zu verhüten ist, das ist das Noch-Fort-Experimentiren, die Fortdauer des flüssigen Zustands der Werthe, das Prüfen, Wählen, Kritik-Üben der Werthe in infinitum. Dem stellt man eine doppelte Mauer entgegen: einmal die Offenbarung, das ist die Behauptung, die Vernunft jener Gesetze sei nicht menschlicher Herkunft, nicht langsam und unter Fehlgriffen gesucht und gefunden, sondern, als — göttlichen Ursprungs, ganz, vollkommen, ohne Geschichte, ein Geschenk, ein Wunder, bloss mitgetheilt… Sodann die Tradition, das ist die Behauptung, dass das Gesetz bereits seit uralten Zeiten bestanden habe, dass es pietätlos, ein Verbrechen an den Vorfahren sei, es in Zweifel zu ziehn. Die Autorität des Gesetzes begründet sich mit den Thesen: Gott gab es, die Vorfahren lebten es. — Die höhere Vernunft einer solchen Prozedur liegt in der Absicht, das Bewusstsein Schritt für Schritt von dem als richtig erkannten (das heisst durch eine ungeheure und scharf durchgesiebte Erfahrung bewiesenen) Leben zurückzudrängen: so dass der vollkommne Automatismus des Instinkts erreicht wird, — diese Voraussetzung zu jeder Art Meisterschaft, zu jeder Art Vollkommenheit in der Kunst des Lebens. Ein Gesetzbuch nach Art des Manu aufstellen heisst einem Volke fürderhin zugestehn, Meister zu werden, vollkommen zu werden, — die höchste Kunst des Lebens zu ambitioniren. Dazu muss es unbewusst gemacht werden: dies der Zweck jeder heiligen Lüge. — Die Ordnung der Kasten, das oberste, das dominirende Gesetz, ist nur die Sanktion einer Natur-Ordnung, Natur-Gesetzlichkeit ersten Ranges, über die keine Willkür, keine» moderne Idee «Gewalt hat. Es treten in jeder gesunden Gesellschaft, sich gegenseitig bedingend, drei physiologisch verschieden-gravitirende Typen auseinander, von denen jeder seine eigne Hygiene, sein eignes Reich von Arbeit, seine eigne Art Vollkommenheits-Gefühl und Meisterschaft hat. Die Natur, nicht Manu, trennt die vorwiegend Geistigen, die vorwiegend Muskel- und Temperaments-Starken und die weder im Einen, noch im Andern ausgezeichneten Dritten, die Mittelmässigen, von einander ab, — die letzteren als die grosse Zahl, die ersteren als die Auswahl. Die oberste Kaste — ich nenne sie die Wenigsten — hat als die vollkommne auch die Vorrechte der Wenigsten: dazu gehört es, das Glück, die Schönheit, die Güte auf Erden darzustellen. Nur die geistigsten Menschen haben die Erlaubniss zur Schönheit, zu in Schönen: nur bei ihnen ist Güte nicht Schwäche. Pulchrum est paucorum hominum: das Gute ist ein Vorrecht. Nichts kann ihnen dagegen weniger zugestanden werden, als hässliche Manieren oder ein pessimistischer Blick, ein Auge, das verhässlicht — , oder gar eine Entrüstung über den Gesammt-Aspekt der Dinge. Die Entrüstung ist das Vorrecht der Tschandala; der Pessimismus desgleichen.»Die Welt ist vollkommen — so redet der Instinkt der Geistigsten, der Jasagende Instinkt: die Unvollkommenheit, das Unter-uns jeder Art, die Distanz, das Pathos der Distanz, der Tschandala selbst gehört noch zu dieser Vollkommenheit. «Die geistigsten Menschen, als die Stärksten, finden ihr Glück, worin Andre ihren Untergang finden würden: im Labyrinth, in der Härte gegen sich und Andre, im Versuch; ihre Lust ist die Selbstbezwingung: der Asketismus wird bei ihnen Natur, Bedürfniss, Instinkt. Die schwere Aufgabe gilt ihnen als Vorrecht, mit Lasten zu spielen, die Andre erdrücken, eine Erholung… Erkenntniss — eine Form des Asketismus. — Sie sind die ehrwürdigste Art Mensch: das schliesst nicht aus, dass sie die heiterste, die liebenswürdigste sind. Sie herrschen, nicht, weil sie wollen, sondern weil sie sind, es steht ihnen nicht frei, die Zweiten zu sein. — Die Zweiten: das sind die Wächter des Rechts, die Pfleger der Ordnung und der Sicherheit, das sind die vornehmen Krieger, das ist der König vor Allem als die höchste Formel von Krieger, Richter und Aufrechterhalter des Gesetzes. Die Zweiten sind die Exekutive der Geistigsten, das Nächste, was zu ihnen gehört, das, was ihnen alles Grobe in der Arbeit des Herrschens abnimmt — ihr Gefolge, ihre rechte Hand, ihre beste Schülerschaft. — In dem Allem, nochmals gesagt, ist Nichts von Willkür, Nichts» gemacht«; was anders ist, ist gemacht, — die Natur ist dann zu Schanden gemacht… Die Ordnung der Kasten, die Rangordnung, formulirt nur das oberste Gesetz des Lebens selbst, die Abscheidung der drei Typen ist nöthig zur Erhaltung der Gesellschaft, zur Ermöglichung höherer und höchster Typen, — die Ungleichheit der Rechte ist erst die Bedingung dafür, dass es überhaupt Rechte giebt. — Ein Recht ist ein Vorrecht. In seiner Art Sein hat jeder auch sein Vorrecht. Unterschätzen wir die Vorrechte der Mittelmässigen nicht. Das Leben nach der Höhe zu wird immer härter, — die Kälte nimmt zu, die Verantwortlichkeit nimmt zu. Eine hohe Cultur ist eine Pyramide: sie kann nur auf einem breiten Boden stehn, sie hat zuallererst eine stark und gesund consolidirte Mittelmässigkeit zur Voraussetzung. Das Handwerk, der Handel, der Ackerbau, die Wissenschaft, der grösste Theil der Kunst, der ganze Inbegriff der Berufsthätigkeit mit Einem Wort, verträgt sich durchaus nur mit einem Mittelmaass im Können und Begehren: dergleichen wäre deplacirt unter Ausnahmen, der dazu gehörige Instinkt widerspräche sowohl dem Aristokratismus als dem Anarchismus. Dass man ein öffentlicher Nutzen ist, ein Rad, eine Funktion, dazu giebt es eine Naturbestimmung: nicht die Gesellschaft, die Art Glück, deren die Allermeisten bloss fähig sind, macht aus ihnen intelligente Maschinen. Für den Mittelmässigen ist mittelmässig sein ein Glück; die Meisterschaft in Einem, die Spezialität ein natürlicher Instinkt. Es würde eines tieferen Geistes vollkommen unwürdig sein, in der Mittelmässikeit an sich schon einen Einwand zu sehn. Sie ist selbst die erste Nothwendigkeit dafür, dass es Ausnahmen geben darf: eine hohe Cultur ist durch sie bedingt. Wenn der Ausnahme-Mensch gerade die Mittelmässigen mit zarteren Fingern handhabt, als sich und seines Gleichen, so ist dies nicht bloss Höflichkeit des Herzens, — es ist einfach seine Pflicht… Wen hasse ich unter dem Gesindel von Heute am besten? Das Socialisten-Gesindel, die Tschandala-Apostel, die den Instinkt, die Lust, das Genügsamkeits-Gefühl des Arbeiters mit seinem kleinen Sein untergraben, — die ihn neidisch machen, die ihn Rache lehren… Das Unrecht liegt niemals in ungleichen Rechten, es liegt im Anspruch auf» gleiche «Rechte… Was ist schlecht? Aber ich sagte es schon: Alles, was aus Schwäche, aus Neid, aus Rache stammt. — Der Anarchist und der Christ sind Einer Herkunft…

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In der That, es macht einen Unterschied, zu welchem Zweck man lügt: ob man damit erhält oder zerstört. Man darf zwischen Christ und Anarchist eine vollkommne Gleichung aufstellen: ihr Zweck, ihr Instinkt geht nur auf Zerstörung. Den Beweis für diesen Satz hat man aus der Geschichte nur abzulesen: sie enthält ihn in entsetzlicher Deutlichkeit. Lernten wir eben eine religiöse Gesetzgebung kennen, deren Zweck war, die oberste Bedingung dafür, dass das Leben gedeiht, eine grosse Organisation der Gesellschaft zu» verewigen«, das Christenthum hat seine Mission darin gefunden, mit eben einer solchen Organisation, weil in ihr das Leben gedieh, ein Ende zu machen. Dort sollte der Vernunft-Ertrag von langen Zeiten des Experiments und der Unsicherheit zum fernsten Nutzen angelegt und die Ernte so gross, so reichlich, so vollständig wie möglich heimgebracht werden: hier wurde, umgekehrt, über Nacht die Ernte vergiftet… Das, was aere perennius dastand, das imperium Romanum, die grossartigste Organisations-Form unter schwierigen Bedingungen, die bisher erreicht worden ist, im Vergleich zu der alles Vorher, alles Nachher Stückwerk, Stümperei, Dilettantismus ist, — jene heiligen Anarchisten haben sich eine» Frömmigkeit «daraus gemacht,»die Welt«, das heisst das imperium Romanum zu zerstören, bis kein Stein auf dem andren blieb, — bis selbst Germanen und andre Rüpel darüber Herr werden konnten… Der Christ und der Anarchist: beide décadents, beide unfähig, anders als auflösend, vergiftend, verkümmernd, blutaussaugend zu wirken, beide der Instinkt des Todhasses gegen Alles, was steht, was gross dasteht, was Dauer hat, was dem Leben Zukunft verspricht… Das Christenthum war der Vampyr des imperium Romanum, — es hat die ungeheure That der Römer, den Boden für eine grosse Cultur zu gewinnen, die Zeit hat, über Nacht ungethan gemacht. — Versteht man es immer noch nicht? Das imperium Romanum, das wir kennen, das uns die Geschichte der römischen Provinz immer besser kennen lehrt, dies bewunderungswürdigste Kunstwerk des grossen Stils, war ein Anfang, sein Bau war berechnet, sich mit Jahrtausenden zu beweisen, — es ist bis heute nie so gebaut, nie auch nur geträumt worden, in gleichem Maasse sub specie aeterni zu bauen! — Diese Organisation war fest genug, schlechte Kaiser auszuhalten: der Zufall von Personen darf nichts in solchen Dingen zu thun haben, — erstes Princip aller grossen Architektur. Aber sie war nicht fest genug gegen die corrupteste Art Corruption, gegen den Christen… Dies heimliche Gewürm, das sich in Nacht, Nebel und Zweideutigkeit an alle Einzelnen heranschlich und jedem Einzelnen den Ernst für wahre Dinge, den Instinkt überhaupt für Realitäten aussog, diese feige, femininische und zuckersüsse Bande hat Schritt für Schritt die» Seelen «diesem ungeheuren Bau entfremdet, — jene werthvollen, jene männlich-vornehmen Naturen, die in der Sache Rom's ihre eigne Sache, ihren eignen Ernst, ihren eignen Stolz empfanden. Die Mucker-Schleicherei, die Conventikel-Heimlichkeit, düstere Begriffe, wie Hölle, wie Opfer des Unschuldigen, wie unio mystica im Bluttrinken, vor Allem das langsam aufgeschürte Feuer der Rache, der Tschandala-Rache — das wurde Herr über Rom, dieselbe Art von Religion, der schon in ihrer Präexistenz-Form Epicur den Krieg gemacht hatte. Man lese Lucrez, um zu begreifen, was Epicur bekämpft hat, nicht das Heidenthum, sondern» das Christenthum«, will sagen die Verderbniss der Seelen durch den Schuld-, durch den Straf- und Unsterblichkeits-Begriff. — Er bekämpfte die unterirdischen Culte, das ganze latente Christenthum, — die Unsterblichkeit zu leugnen war damals schon eine wirkliche Erlösung. — Und Epicur hätte gesiegt, jeder achtbare Geist im römischen Reich war Epicureer: da erschien Paulus… Paulus, der Fleisch-, der Genie-gewordne Tschandala-Hass gegen Rom, gegen» die Welt«, der Jude, der ewige Jude par excellence… Was er errieth, das war, wie man mit Hülfe der kleinen sektirerischen Christen-Bewegung abseits des Judenthums einen» Weltbrand «entzünden könne, wie man mit dem Symbol» Gott am Kreuze «alles Unten-Liegende, alles Heimlich-Aufrührerische, die ganze Erbschaft anarchistischer Umtriebe im Reich, zu einer ungeheuren Macht aufsummiren könne.»Das Heil kommt von den Juden«. — Das Christenthum als Formel, um die unterirdischen Culte aller Art, die des Osiris, der grossen Mutter, des Mithras zum Beispiel, zu überbieten — und zu summiren: in dieser Einsicht besteht das Genie des Paulus. Sein Instinkt war darin so sicher, dass er die Vorstellungen, mit denen jene Tschandala-Religionen fascinirten, mit schonungsloser Gewaltthätigkeit an der Wahrheit dem» Heilande «seiner Erfindung in den Mund legte, und nicht nur in den Mund — dass er aus ihm Etwas machte, was auch ein Mithras-Priester verstehn konnte… Dies war sein Augenblick von Damaskus: er begriff, dass er den Unsterblidikeits-Glauben nöthig hatte, um» die Welt «zu entwerthen, dass der Begriff» Hölle«über Rom noch Herr wird, — dass man mit dem» Jenseits «das Leben tödtet… Nihilist und Christ: das reimt sich, das reimt sich nicht bloss…

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