— Man hat mich verstanden. Der Anfang der Bibel enthält die ganze Psychologie des Priesters. — Der Priester kennt nur Eine grosse Gefahr: das ist die Wissenschaft — der gesunde Begriff von Ursache und Wirkung. Aber die Wissenschaft gedeiht im Ganzen nur unter glücklichen Verhältnissen, — man muss Zeit, man muss Geist überflüssig haben, um zu» erkennen«…»Folglich muss man den Menschen unglücklich machen«, — dies war zu jeder Zeit die Logik des Priesters. — Man erräth bereits, was, dieser Logik gemäss, damit erst in die Welt gekommen ist: — die» Sünde«… Der Schuld- und Strafbegriff, die ganze» sittliche Weltordnung «ist erfunden gegen die Wissenschaft, — gegen die Ablösung des Menschen vom Priester… Der Mensch soll nicht hinaus, er soll in sich hinein sehn; er soll nicht klug und vorsichtig, als Lernender, in die Dinge sehn, er soll überhaupt gar nicht sehn: er soll leiden… Und er soll so leiden, dass er jeder Zeit den Priester nöthig hat. — Weg mit den Ärzten! Man hat einen Heiland nöthig.- Der Schuld- und Strafbegriff, eingerechnet die Lehre von der» Gnade«, von der» Erlösung«, von der» Vergebung«— Lügen durch und durch und ohne jede psychologische Realität — sind erfunden, um den Ursachen-Sinn des Menschen zu zerstören: sie sind das Attentat gegen den Begriff Ursache und Wirkung! — Und nicht ein Attentat mit der Faust, mit dem Messer, mit der Ehrlichkeit in Hass und Liebe! Sondern aus den feigsten, listigsten, niedrigsten Instinkten heraus! Ein Priester-Attentat! Ein Parasiten-Attentat! Ein Vampyrismus bleicher unterirdischer Blutsauger!… Wenn die natürlichen Folgen einer That nicht mehr» natürlich «sind, sondern durch Begriffs-Gespenster des Aberglaubens, durch» Gott«, durch» Geister«, durch» Seelen «bewirkt gedacht werden, als bloss» moralische «Consequenzen, als Lohn, Strafe, Wink, Erziehungsmittel, so ist die Voraussetzung zur Erkenntniss zerstört, — so hat man das grösste Verbrechen an der Menschheit begangen. — Die Sünde, nochmals gesagt, diese Selbstschändungs-Form des Menschen par excellence, ist erfunden, um Wissenschaft, um Cultur, um jede Erhöhung und Vornehmheit des Menschen unmöglich zu machen; der Priester herrscht durch die Erfindung der Sünde. -
— Ich erlasse mir an dieser Stelle eine Psychologie des» Glaubens«, der» Gläubigen «nicht, zum Nutzen, wie billig, gerade der» Gläubigen«. Wenn es heute noch an solchen nicht fehlt, die es nicht wissen, inwiefern es unanständig ist,»gläubig «zu sein — oder ein Abzeichen von décadence, von gebrochnem Willen zum Leben — , morgen schon werden sie es wissen. Meine Stimme erreicht auch die Harthörigen. — Es scheint, wenn anders ich mich nicht verhört habe, dass es unter Christen eine Art Criterium der Wahrheit giebt, das man» den Beweis der Kraft «nennt.»Der Glaube macht selig: also ist er wahr.«— Man dürfte hier zunächst einwenden, dass gerade das Seligmachen nicht bewiesen, sondern nur versprochen ist: die Seligkeit an die Bedingung des» Glaubens «geknüpft, — man soll selig werden, weil man glaubt… Aber dass thatsächlich eintritt, was der Priester dem Gläubigen für das jeder Controle unzugängliche» Jenseits «verspricht, womit bewiese sich das? — Der angebliche» Beweis der Kraft «ist also im Grunde wieder nur ein Glaube daran, dass die Wirkung nicht ausbleibt, welche man sich vom Glauben verspricht. In Formel:»ich glaube, dass der Glaube selig macht; — folglich ist er wahr.«— Aber damit sind wir schon am Ende. Dies» folglich «wäre das absurdum selbst als Criterium der Wahrheit. — Setzen wir aber, mit einiger Nachgiebigkeit, dass das Seligmachen durch den Glauben bewiesen sei — nicht nur gewünscht, nicht nur durch den etwas verdächtigen Mund eines Priesters versprochen: wäre Seligkeit, — technischer geredet, Lust jemals ein Beweis der Wahrheit?
So wenig, dass es beinahe den Gegenbeweis, jedenfalls den höchsten Argwohn gegen» Wahrheit «abgiebt, wenn Lustempfindungen über die Frage» was ist wahr «mitreden. Der Beweis der» Lust «ist ein Beweis für» Lust«, — nichts mehr; woher um Alles in der Welt stünde es fest, dass gerade wahre Urtheile mehr Vergnügen machten als falsche, und, gemäss einer prästabilirten Harmonie, angenehme Gefühle mit Nothwendigkeit hinter sich drein zögen? — Die Erfahrung aller strengen, aller tief gearteten Geister lehrt das Umgekehrte. Man hat jeden Schritt breit Wahrheit sich abringen müssen, man hat fast Alles dagegen preisgeben müssen, woran sonst das Herz, woran unsre Liebe, unser Vertrauen zum Leben hängt. Es bedarf Grösse der Seele dazu: der Dienst der Wahrheit ist der härteste Dienst. — Was heisst denn rechtschaffen sein in geistigen Dingen? Dass man streng gegen sein Herz ist, dass man die» Schönen Gefühle «verachtet, dass man sich aus jedem Ja und Nein ein Gewissen macht! — — Der Glaube macht selig: folglich lügt er…
Dass der Glaube unter Umständen selig macht, dass Seligkeit aus einer fixen Idee noch nicht eine wahre Idee macht, dass der Glaube keine Berge versetzt, wohl aber Berge hinsetzt, wo es keine giebt: ein flüchtiger Gang durch ein Irrenhaus klärt zur Genüge darüber auf. Nicht freilich einen Priester: denn der leugnet aus Instinkt, dass Krankheit Krankheit, dass Irrenhaus Irrenhaus ist. Das Christenthum hat die Krankheit nöthig, ungefähr wie das Griechenthum einen Überschuss von Gesundheit nöthig hat, — krank — machen ist die eigentliche Hinterabsicht des ganzen Heilsprozeduren-System's der Kirche. Und die Kirche selbst — ist sie nicht das katholische Irrenhaus als letztes Ideal? — Die Erde überhaupt als Irrenhaus? — Der religiöse Mensch, wie ihn die Kirche will, ist ein typischer décadent; der Zeitpunkt, wo eine religiöse Krisis über ein Volk Herr wird, ist jedes Mal durch Nerven-Epidemien gekennzeichnet; die» innere Welt «des religiösen Menschen sieht der» inneren Welt «der Überreizten und Erschöpften zum Verwechseln ähnlich; die» höchsten «Zustände, welche das Christenthum als Werth aller Werthe über der Menschheit aufgehängt hat, sind epileptoide Formen, — die Kirche hat nur Verrückte oder grosse Betrüger in majorem dei honorem heilig gesprochen… Ich habe mir einmal erlaubt, den ganzen christlichen Buss- und Erlösungstraining (den man heute am besten in England studirt) als eine methodisch erzeugte folie circulaire zu bezeichnen, wie billig, auf einem bereits dazu vorbereiteten, das heisst gründlich morbiden Boden. Es steht Niemandem frei, Christ zu werden: man wird nicht zum Christenthum» bekehrt«, — man muss krank genug dazu sein… Wir Anderen, die wir den Muth zur Gesundheit und auch zur Verachtung haben, wie dürfen wir eine Religion verachten, die den Leib missverstehn lehrte! die den Seelen-Aberglauben nicht loswerden will! die aus der unzureichenden Ernährung ein» Verdienst «macht! die in der Gesundheit eine Art Feind, Teufel, Versuchung bekämpft! die sich einredete, man könne eine» vollkommne Seele «in einem Cadaver von Leib herumtragen, und dazu nöthig hatte, einen neuen Begriff der» Vollkommenheit «sich zurecht zu machen, ein bleiches, krankhaftes, idiotisch-schwärmerisches Wesen, die sogenannte» Heiligkeit«, — Heiligkeit, selbst bloss eine Symptomen-Reihe des verarmten, entnervten, unheilbar verdorbenen Leibes!… Die christliche Bewegung, als eine europäische Bewegung, ist von vornherein eine Gesammt-Bewegung der Ausschuss- und Abfalls-Elemente aller Art: — diese will mit dem Christenthum zur Macht. Sie drückt nicht den Niedergang einer Rasse aus, sie ist eine Aggregat-Bildung sich zusammendrängender und sich suchender Décadence-Formen von überall. Es ist nicht, wie man glaubt, die Corruption des Alterthums selbst, des vornehmen Alterthums, was das Christenthum ermöglichte: man kann dem gelehrten Idiotismus, der auch heute noch so Etwas aufrecht erhält, nicht hart genug widersprechen. In der Zeit, wo die kranken, verdorbenen Tschandala-Schichten im ganzen imperium sich christianisirten, war gerade der Gegentypus, die Vornehmheit, in ihrer schönsten und reifsten Gestalt vorhanden. Die grosse Zahl wurde Herr; der Demokratismus der christlichen Instinkte siegte… Das Christenthum war nicht» national«, nicht rassebedingt, — es wendete sich an jede Art von Enterbten des Lebens, es hatte seine Verbündeten überall. Das Christenthum hat die rancune der Kranken auf dem Grunde, den Instinkt gegen die Gesunden, gegen die Gesundheit gerichtet. Alles Wohlgerathene, Stolze, Übermüthige, die Schönheit vor Allem thut ihm in Ohren und Augen weh. Nochmals erinnre ich an das unschätzbare Wort des Paulus.»Was schwach ist vor der Welt, was thöricht ist vor der Welt, das Unedle und Verachtete vor der Welt hat Gott erwählt«: das war die Formel, in hoc signo siegte die décadence. — Gott am Kreuze — versteht man immer noch die furchtbare Hintergedanklichkeit dieses Symbols nicht? — Alles, was leidet, Alles, was am Kreuze hängt, ist göttlich… Wir Alle hängen am Kreuze, folglich sind wir göttlich… Wir allein sind göttlich… Das Christenthum war ein Sieg, eine vornehmere Gesinnung gieng an ihm zu Grunde, — das Christenthum war bisher das grösste Unglück der Menschheit. -
Das Christenthum steht auch im Gegensatz zu aller geistigen Wohlgerathenheit, — es kann nur die kranke Vernunft als christliche Vernunft brauchen, es nimmt die Partei alles Idiotischen, es spricht den Fluch aus gegen den» Geist«, gegen die superbia des gesunden Geistes. Weil die Krankheit zum Wesen des Christenthums gehört, muss auch der typisch christliche Zustand,»der Glaube«, eine Krankheitsform sein, müssen alle geraden, rechtschaffnen, wissenschaftlichen Wege zur Erkenntniss von der Kirche als verbotene Wege abgelehnt werden. Der Zweifel bereits ist eine Sünde… Der vollkommne Mangel an psychologischer Reinlichkeit beim Priester — im Blick sich verrathend — ist eine Folge erscheinung der décadence, — man hat die hysterischen Frauenzimmer, andrerseits rhachitisch angelegte Kinder darauf hin zu beobachten, wie regelmässig Falschheit aus Instinkt, Lust zu lügen, um zu lügen, Unfähigkeit zu geraden Blicken und Schritten der Ausdruck von décadence ist.»Glaube «heisst Nicht-wissen-wollen, was wahr ist. Der Pietist, der Priester beiderlei Geschlechts, ist falsch, weil er krank ist: sein Instinkt verlangt, dass die Wahrheit an keinem Punkt zu Rechte kommt.»Was krank macht, ist gut; was aus der Fülle, aus dem Überfluss, aus der Macht kommt, ist böse «so empfindet der Gläubige. Die Unfreiheit zur Lüge daran errathe ich jeden vorherbestimmten Theologen. — Ein andres Abzeichen des Theologen ist sein Unvermögen zur Philologie. Unter Philologie soll hier, in einem sehr allgemeinen Sinne, die Kunst, gut zu lesen, verstanden werden, — Thatsachen ablesen können, ohne sie durch Interpretation zu fälschen, ohne im Verlangen nach Verständniss die Vorsicht, die Geduld, die Feinheit zu verlieren. Philologie als Ephexis in der Interpretation: handle es sich nun um Bücher, um Zeitungs-Neuigkeiten, um Schicksale oder Wetter-Thatsachen, — nicht zu reden vom» Heil der Seele«… Die Art, wie ein Theolog, gleichgültig ob in Berlin oder in Rom, ein» Schriftwort «auslegt oder ein Erlebniss, einen Sieg des vaterländischen Heers zum Beispiel unter der höheren Beleuchtung der Psalmen Davids, ist immer dergestalt kühn, dass ein Philolog dabei an allen Wänden emporläuft. Und was soll er gar anfangen, wenn Pietisten und andre Kühe aus dem Schwabenlande den armseligen Alltag und Stubenrauch ihres Daseins mit dem» Finger Gottes «zu einem Wunder von» Gnade«, von» Vorsehung«, von» Heilserfahrungen «zurechtmachen! Der bescheidenste Aufwand von Geist, um nicht zu sagen von Anstand, müsste diese Interpreten doch dazu bringen, sich des vollkommen Kindischen und Unwürdigen eines solchen Missbrauchs der göttlichen Fingerfertigkeit zu überführen. Mit einem noch so kleinen Maasse von Frömmigkeit im Leibe sollte uns ein Gott, der zur rechten Zeit vom Schnupfen kurirt oder der uns in einem Augenblick in die Kutsche steigen heisst, wo gerade ein grosser Regen losbricht, ein so absurder Gott sein, dass man ihn abschaffen müsste, selbst wenn er existirte. Ein Gott als Dienstbote, als Briefträger, als Kalendermann, — im Grunde ein Wort für die dümmste Art aller Zufälle… Die» göttliche Vorsehung«, wie sie heute noch ungefähr jeder dritte Mensch im» gebildeten Deutschland «glaubt, wäre ein Einwand gegen Gott, wie er stärker gar nicht gedacht werden könnte. Und in jedem Fall ist er ein Einwand gegen Deutsche!…