Daß es losbrach und hitzig zuging, ließ sich wohl aus der Ferne bemerken, und daß mancher wackere Mann nicht zurückkehren würde, war vorauszusehen.
Indessen verkündigte der Morgen, die Sache sei gelungen, man habe die Schanze erobert, geschleift und sich ihr gegenüber gleich so festgesetzt, daß ihre Wiederherstellung dem Feinde wohl unmöglich bleiben sollte.
Freund Oppen kehrte glücklich zurück; die Vermißten gingen mich so nah nicht an; nur bedauerten wir den Prinzen Ludwig, der als kühner Anführer eine, wo nicht gefährliche, doch beschwerliche Wunde davontrug und in einem solchen Augenblick den Kriegsschauplatz sehr ungern verließ.
Den 17. Juli ward nun derselbe zu Schiffe nach Mannheim gebracht; der Herzog von Weimar bezog dessen Quartier im Chauseehause; es war kein anmutigerer Aufenthalt zu denken.
Nach herkömmlicher Ordnungs- und Reinlichkeitsliebe ließ ich den schönen Platz davor kehren und reinigen, der bei dem schnellen Quartierwechsel mit Stroh und Spänen und allerlei Abwürflingen eines eilig verlassenen Kantonnements übersäet war.
Den 18. Juli nachmittags auf große, fast unerträgliche Hitze Donnerwetter, Sturm und Regenguß, dem Allgemeinen erquicklich, den Eingegrabenen als solchen freilich sehr lästig.
Der Kommandant tut Vergleichsvorschläge, welche zurückgewiesen werden.
Den 19. Juli.
Das Bombardement geht fort, die Rheinmühlen werden beschädigt und unbrauchbar gemacht.
Den 20. Juli.
Der Kommandant General d'Oyre überschickt eine Punktation, worüber verhandelt wird.
Nachts vom 21sten auf den 22sten Juli.
Heftiges Bombardement, die Dominikanerkirche geht in Flammen auf, dagegen fliegt ein preußisches Laboratorium in die Luft.
Den 22. Juli.
Als man vernahm, der Stillstand sei wirklich geschlossen, eilte man nach dem Hauptquartier, um die Ankunft des französischen Kommandanten d'Oyre zu erwarten.
Er kam; ein großer wohlgebauter, schlanker Mann von mittlern Jahren, sehr natürlich in seiner Haltung und Betragen.
Indessen die Unterhaltung im Innern vorging, waren wir alle aufmerksam und hoffnungsvoll; da es aber ausgesprochen ward, daß man einig geworden und die Stadt den folgenden Tag übergeben werden sollte, da entstand in mehreren das wunderbare Gefühl einer schnellen Entledigung von bisherigen Lasten, von Druck und Bangigkeit, daß einige Freunde sich nicht erwehren konnten, aufzusitzen und gegen Mainz zu reiten.
Unterwegs holten wir Sömmerring ein, der gleichfalls mit einem Gesellen nach Mainz eilte, freilich auf stärkere Veranlassung als wir, aber doch auch die Gefahr einer solchen Unternehmung nicht achtend.
Wir sahen den Schlagbaum des äußersten Tores von fern und hinter demselben eine große Masse Menschen, die sich dort auflehnten und andrängten.
Nun sahen wir Wolfsgruben vor uns, allein unsere Pferde, dergleichen schon gewohnt, brachten uns glücklich zwischen durch.
Wir ritten unmittelbar bis vor den Schlagbaum; man rief uns zu: was wir brächten?
Unter der Menge fanden sich wenig Soldaten, alles Bürger, Männer und Frauen; unsere Antwort, daß wir Stillstand und wahrscheinlich morgen Freiheit und Öffnung versprächen, wurde mit lautem Beifall aufgenommen.
Wir gaben einander wechselsweise so viel Aufklärung, als einem jeden beliebte, und als wir eben von Segenswünschen begleitet wieder umkehren wollten, traf Sömmering ein, der sein Gespräch an das unsrige knüpfte, bekannte Gesichter fand, sich vertraulicher unterhielt und zuletzt verschwand, ehe wir's uns versahen; wir aber hielten für Zeit, umzukehren.
Gleiche Begierde, gleiches Bestreben fühlten eine Anzahl Ausgewanderte, welche, mit Viktualien versehen, erst in die Außenwerke, dann in die Festung selbst einzudringen verstanden, um die Zurückgelassenen wieder zu umarmen und zu erquicken.
Wir begegneten mehreren solcher leidenschaftlichen Wanderer, und es mochte dieser Zustand so heftig werden, daß endlich, nach verdoppelten Posten, das strengste Verbot ausging, den Wällen sich zu nähern; die Kommunikation war auf einmal unterbrochen.
Am 23. Juli.
Dieser Tag ging hin unter Besetzung der Außenwerke sowohl von Mainz als von Kastel.
In einer leichten Chaise machte ich eine Spazierfahrt in einem so engen Kreis um die Stadt, als es die ausgesetzten Wachen erlauben wollten.
Man besuchte die Trancheen und besah sich die nach erreichtem Zweck verlassene unnütze Erdarbeit.
Als ich zurückfuhr, rief mich ein Mann mittleren Alters an und bat mich, seinen Knaben von ungefähr acht Jahren, den er an der Hand mit fortschleppte, zu mir zu nehmen.
Er war ein ausgewanderter Mainzer, welcher, mit großer Hast und Lust seinen bisherigen Aufenthalt verlassend, herbeilief, den Auszug der Feinde triumphierend anzusehen, sodann aber den zurückgelassenen Klubisten Tod und Verderben zu bringen schwor.
Ich redete ihm begütigende Worte zu und stellte ihm vor: daß die Rückkehr in einen friedlichen und häuslichen Zustand nicht mit neuem bürgerlichen Krieg, Haß und Rache müsse verunreinigt werden, weil sich das Unglück ja sonst verewige.
Die Bestrafung solcher schuldigen Menschen müsse man den hohen Alliierten und dem wahren Landesherrn nach seiner Rückkehr überlassen, und was ich sonst noch Besänftigendes und Ernstliches anführte; wozu ich ein Recht hatte, indem ich das Kind in den Wagen nahm und beide mit einem Trunk guten Weins und Bretzeln erquickte.
An einem abgeredeten Ort setzt' ich den Knaben nieder, da sich denn der Vater schon von weitem zeigte und mit dem Hut mir tausend Dank und Segen zuwinkte.
Den 24. Juli.
Der Morgen ging ziemlich ruhig hin, der Ausmarsch verzögerte sich, es sollten Geldangelegenheiten sein, die man so bald nicht abtun könne.
Endlich zu Mittag, als alles bei Tisch und Topf beschäftigt und eine große Stille im Lager sowie auf der Chaussee war, fuhren mehrere dreispännige Wagen, in einiger Ferne voneinander, sehr schnell vorbei, ohne daß man sich's versah und darüber nachsann; doch bald verbreitete sich das Gerücht: auf diese kühne und kluge Weise hätten mehrere Klubisten sich gerettet.
Leidenschaftliche Personen behaupteten, man müsse nachsetzen, andere ließen es beim Verdruß bewenden, wieder andere wollten sich verwundern: daß auf dem ganzen Wege keine Spur von Wache, noch Pikett, noch Aufsicht erscheine; woraus erhelle, sagten sie, daß man von oben herein durch die Finger zu sehen und alles, was sich ereignen könnte, dem Zufall zu überlassen geneigt sei.
Diese Betrachtungen jedoch wurden durch den wirklichen Auszug unterbrochen und umgestimmt.
Auch hier kamen mir und Freunden die Fenster des Chausseehauses zustatten.
Den Zug sahen wir in aller seiner Feierlichkeit herankommen.
Angeführt durch preußische Reiterei, folgte zuerst die französische Garnison.
Seltsamer war nichts, als wie sich dieser Zug ankündigte; eine Kolonne Marseiller, klein, schwarz, buntscheckig, lumpig gekleidet, trappelten heran, als habe der König Edwin seinen Berg aufgetan und das muntere Zwergenheer ausgesendet.
Hierauf folgten regelmäßigere Truppen, ernst und verdrießlich, nicht aber etwa niedergeschlagen oder beschämt.
Als die merkwürdigste Erscheinung dagegen mußte jedermann auffallen, wenn die Jäger zu Pferd heraufritten; sie waren ganz still bis gegen uns herangezogen, als ihre Musik den Marseiller Marsch anstimmte.
Dieses revolutionäre Te Deum hat ohnehin etwas Trauriges, Ahndungsvolles, wenn es auch noch so mutig vorgetragen wird; diesmal aber nahmen sie das Tempo ganz langsam, dem schleichenden Schritt gemäß, den sie ritten.
Es war ergreifend und durchtbar und ein ernster Anblick, als die Reitenden, lange hagere Männer, von gewissen Jahren, die Miene gleichfalls jenen Tönen gemäß, heranrückten; einzeln hätte man sie dem Don Quichote vergleichen können, in Masse erschienen sie höchst ehrwürdig. Bemerkenswert war nun ein einzelner Trupp, die französischen Kommissarien.
Merlin von Thionville in Husarentracht, durch wilden Bart und Blick sich auszeichnend, hatte eine andere Figur in gleichem Kostüm links neben sich; das Volk rief mit Wut den Namen eines Klubisten und bewegte sich zum Anfall.
Merlin hielt an, berief sich auf seine Würde eines französischen Repräsentanten, auf die Rache, die jeder Beleidigung folgen sollte: er wolle raten, sich zu mäßigen, denn es sei das letztemal nicht, daß man ihn hier sehe.
Die Menge stand betroffen, kein einzelner wagte sich vor.
Er hatte einige unserer dastehenden Offiziere angesprochen und sich auf das Wort des Königs berufen, und so wollte niemand weder Angriff noch Verteidigung wagen; der Zug ging unangetastet vorbei.
Den 25. Juli.
Am Morgen dieses Tags bemerkt' ich, daß leider abermals keine Anstalten auf der Chaussee und in deren Nähe gemacht waren, um Unordnungen zu verhüten.
Sie schienen heute um so nötiger, als die armen ausgewanderten, grenzenlos unglücklichen Mainzer, von entfernteren Orten her nunmehr angekommen, scharenweis die Chaussee umlagerten, mit Fluch- und Racheworten das gequälte und geängstigte Herz erleichternd.
Die gestrige Kriegslist der Entwischenden gelang daher nicht wieder.
Einzelne Reisewagen rannten abermals eilig die Straße hin, überall aber hatten sich die Mainzer Bürger in die Chausseegraben gelagert, und wie die Flüchtigen einem Hinterhalt entgingen fielen sie in die Hände des andern.
Der Wagen ward angehalten, fand man Franzosen oder Französinnen, so ließ man sie entkommen, wohlbekannte Klubisten keineswegs.
Ein sehr schöner dreispänniger Reisewagen rollt daher, eine freundliche junge Dame versäumt nicht, sich am Schlage sehen zu lassen und hüben und drüben zu grüßen; aber dem Postillion fällt man in die Zügel, der Schlag wird eröffnet, ein Erzklubist an ihrer Seite sogleich erkannt.
Zu verkennen war er freilich nicht, kurz gebaut, dicklich, breiten Angesichts, blatternarbig.
Schon ist er bei den Füßen herausgerissen; man schließt den Schlag und wünscht der Schönheit glückliche Reise.
Ihn aber schleppt man auf den nächsten Acker, zerstößt und zerprügelt ihn fürchterlich; alle Glieder seines Leibes sind zerschlagen, sein Gesicht unkenntlich.
Eine Wache nimmt sich endlich seiner an, man bringt ihn in ein Bauernhaus, wo er auf Stroh liegend zwar vor Tätlichkeiten seiner Stadtfeinde, aber nicht vor Schimpf, Schadenfreude und Schmähen geschützt war.
Doch auch damit ging es am Ende so weit, daß der Offizier niemand mehr hineinließ; auch mich, dem er es als einem Bekannten nicht abgeschlagen hätte, dringend bat: ich möchte diesem traurigsten und ekelhaftesten aller Schauspiele entsagen.