Gonzalo.
Schade für den schönen Mut, den glücklichen Humor des Jungens!
Sebastian.
So ging's freilich fort; je älter er ward, je toller. Statt nun das Zeug zu lassen, statt sich zu fügen, statt seine Kräfte zu Ehren der Familie und seinem Nutz zu verwenden, trieb er einen unsinnigen Streich nach dem andern; belog und betrog alle Mädchen und ging endlich gar auf und davon; begab sich, wie wir Nachricht haben, unter die schlechteste Gesellschaft, wo ich nicht begreife, wie er's aushält; denn er hatte immer einen Grund von Edelmut und Großheit im Herzen.
Gonzalo.
Glück zu, Bastian! und gib ihn seiner Familie zurück.
Sebastian.
Nicht eben das! Umsonst soll er uns nicht genarrt haben. Krieg ich ihn nur einmal beim Kragen, ich will schon in einem Kloster oder irgend einer Festung ein Plätzchen für ihn finden, und Pedro soll mir die Rechte des Erstgebornen genießen. Der König hat schon seine Gesinnung hierüber blicken lassen. Wenn's wahr ist, daß mein Mann sich in der Gegend aufhält, so müßt es arg zugehn, wenn ich ihn nicht, zu Ehren des Fests, heute noch packe. Wir können's vor Gott und der Welt nicht verantworten; der alte Vater würde sich im Grab umwenden!
Gonzalo.
Brav, Bastian! Du bist immer der alte, treue Bastian!
Sebastian.
Und eben deswegen — unter uns — sieh doch ein bißchen nach deiner Tochter!
Gonzalo.
Wie meinst du?
Sebastian.
Der Teufel ist ein Schelm; und Pedro und die Liebe sind auch nicht so da.
Gonzalo.
Auch immer der alte Bastian! Verzeih mir, du weißt keinen Unterschied zu machen. Das Mädchen, die Sorge meiner Seele, der Zweck all dieser achtzehnjährigen Erziehung, das feinste delikateste weibliche Geschöpf, das vor dem geringsten Gedanken — nicht Gedanken, vor der geringsten Ahndung eines Gefühls erzittert, das ihrer unwürdig wäre.
Sebastian.
Eben deswegen!
Gonzalo.
Ich setze mein Vermögen an sie, meinen Kopf.
Sebastian.
Da kommt sie eben die Allee herauf. Sie hat sich von der Menge losgewunden, sie ist allein; und sieh den Gang, sieh das Köpfchen, wie sie's hängt! Komm, komm ihr aus dem Wege; Sünde wär's, durch unsere kalte Gegenwart die angenehmen Träume zu verjagen, in deren Gesellschaft sie daherwandelt!
Beide ab.
Claudine mit Pedros Strauß.
Claudine.
Alle Freuden, alle Gaben,
Die mir heut gehuldigt haben,
Sind nicht dieser Blumen wert.
Ehr und Lieb von allen Seiten,
Kleider, Schmuck und Kostbarkeiten,
Alles, was mein Herz begehrt!
Aber alle diese Gaben
Sind nicht dieser Blumen wert.
Liebes Herz, ich wollte dich noch einmal so lieb haben, wenn du nur nicht immer so pochtest. Sei ruhig, ich bitte dich, sei ruhig!
Pedro von ferne.
Pedro? Auch der? Ach, da soll ich nun gar verbergen, daß ich empfinde!
Pedro kommt.
Pedro.
Fräulein!
Claudine.
Mein Herr!
Schweigen einige Augenblicke.
Pedro , auf sie schnell losgehend.
Ich bin der glücklichste Mensch unter der Sonne!
Claudine zurückweichend.
Wie ist Ihnen?
Pedro.
Wohl! wohl! als wie im Himmel in dieser englischen Gesellschaft! Ach! daß Sie meine armen Blumen so ehren, ihnen einen Platz an Ihrem Herzen gegönnt haben!
Claudine.
Weniger konnt ich nicht tun. Sie verwelken bis an den Abend, und jedes Geschenk hat mir heut eine Herzensfreude gemacht.
Pedro.
Jedes?
Claudine.
Wann reiten Sie weg?
Pedro.
Die Pferde sind gesattelt. Sebastian will mich mit aller Gewalt bei sich haben; er glaubt, mein Bruder sei in der Nähe, und denkt ihn noch heute zu fangen.
Claudine.
Der Bruder macht Ihnen viel Verdruß.
Pedro.
Er macht das Glück meines Lebens. Ohne ihn kennte ich Sie nicht. Ohne ihn —
Claudine.
Und wenn Sie ihn erwischen, ihn wieder durch Liebe und Beispiel dem rechten Weg zuführen, wenn Sie ihn seiner Familie zurückbringen, Pedro, wie werden Sie empfangen werden, mit welchen Freuden!
Pedro.
Nichts davon, um Gottes willen! Ich kenne mich selbst nicht; ich weiß nicht, wo ich bin; ich sehe kaum, wohin ich trete. Zurück nach Hause! zurück! Von Ihnen weg, mein Fräulein!
Claudine.
Der König, der Sie liebt, der so ein trefflicher Herr sein soll; der Hof, der Sie mit aller Herrlichkeit erwartet —
Pedro.
Ist das ein Leben? Und doch, sonst war mir's nicht ganz zuwider. Wenn ich meine Tage den Geschäften des Vaterlands gewidmet hatte, konnt' ich wohl meine Abende und Nächte in dem Schwarme zubringen, der um die Majestät wie Mücken ums Licht summt. Jetzt würde mir das eine Hölle sein! Ich weiß nicht, wo meine Arbeitsamkeit, meine Geschäftigkeit hin ist. Es ekelt mir, einen Brief zu schreiben, der ich sonst allein zwei, drei Sekretäre beschäftigen konnte. Ich gehe aus und ein, träumend und wähnend; aber selig, selig ist mein Herz!
Claudine
Ja, Pedro; je näher wir der Natur sind, je näher fühlen wir uns der Gottheit, und unser Herz fließt unaussprechlich in Freuden über.
Pedro.
Ach, diesen Morgen, als ich die Blümchen brach am Bach herauf, der hinter dem Wald herfließt, und die Morgennebel um mich dufteten, und die Spitze des Bergs drüben mir den Aufgang der Sonne verkündigte, und ich ihr entgegenrief: Das ist der Tag! — das ist ihr Tag! — Claudine! — Ich bin ein Tor, daß ich auszusprechen wage, was ich empfinde!
Claudine.
Ach ja, Pedro, ich wüßte nichts für mein Herz, so volle warme Fülle, als die Herrlichkeit der Natur um uns her.
Pedro.
O wer dafür keine Seele hätte, zu fühlen, wie um diese himmlische Güte, um diesen heiligen Reiz alles, alles schöner, herrlicher wird; wer nicht in dieser Gegend lieber sein Leben in einer stillen Hütte verbärge, um nur Zeuge sein zu dürfen!
Claudine.
So ganz ungleich Ihrem Bruder, den ich doch auch kennen möchte! Es muß ein wunderlicher Mensch sein, der allen Stand, Güter, Freund verläßt und in tollen Streichen, schwärmender Abwechselung seine schönsten Tage verdirbt.
Pedro.
Der Unglückliche! Ich erschrecke über seine Verhärtung. Nicht zu fühlen, daß das unstete flüchtige Leben ein Fluch ist, der auf dem Verbrecher ruht, verbannt er sich selbst aus der menschlichen Gesellschaft. Es ist unglaublich! Und dann — mit Zittern sag ich's — wie manche Träne von ihm verführter verlassener Mädchen hab ich fließen sehn! O, das war's, was uns am meisten aufbrachte, seiner Freiheit nachzustellen. Ich hätte mit den armen Geschöpfen vergehen mögen! Wie wird ihm sein, wenn er, von seiner Verblendung dereinst geheilt, mit Zittern sehn muß, daß er das innerste Heiligtum der Menschheit entweihte, da er Liebe und Treue so schändlich mit Füßen trat?
Claudine.
Liebe und Treue! Glauben Sie dran, Pedro?
Pedro.
Sie können scherzen und fragen?
Claudine.
Treue Herzen!
Männer scherzen
Über treue Liebe nur.
Pedro.
Drüber scherzen
Schlechte Herzen
Nur, verderbte Männer nur.
Claudine.
Aber sag, wo sind die Rechten,
Und wie kennt man sie von Schlechten?
Sieht man's 'en an den Augen an?
Pedro.
Zwar verstellen sich die Schlechten,
Blicken, seufzen wie die Rechten;
Doch das geht so lang nicht an.
Claudine.
Ach, des Betrugs ist viel;
Wir Arme sind ihr Spiel!
Pedro.
Wer findt ein treues Blut,
Findt drum ein edel Gut.
Claudine.
Ach, nur zu viel
Ein Sonntagsspiel!
Pedro.
Ein treues Blut
Ein edel Gut!
In dem Schluß des Duetts hört man schon von weitem singen Camillen und Sibyllen, die singend näher kommen.
Beide.
Vom hohen Sternenrund
Bis 'nunter in tiefen Erdengrund
Muß nichts so schön, so Liebes sein
Als nur mein Schätzel allein!
Sie treten herein.
Camille.
Er ist der Stärkst im ganzen Land,
Ist kühn und sittsam und gewandt,
Und bitten kann er, betteln, fein;
Es sag einmal eins: Nein!
Sibylle.
Guten Abend! Wie treffen wir einander hier? Allons, Chorus!
Alle Vier.
Vom hohen hohen Sternenrund
Bis 'nunter in tiefen Erdengrund
Muß nichts so schön, so Liebes sein
Als nur mein Schätzel allein!
Sibylle.
Und das, was über alles geht,
Ihn über Kön'g und Herrn erhöht:
Er ist und bleibet mein,
Er ist mein Schätzel allein.
Chorus!
Alle Vier.
Vom hohen hohen Sternenrund
Bis 'nunter in tiefen Erdengrund
Muß nichts so schön, so Liebes sein
Als nur mein Schätzel allein!
Claudine.
Habt ihr meinen Vater nicht gesehn? Ach, ich muß zu ihm; seit unserer Feierlichkeit hab ich ihn nicht allein gesprochen. Auch euch dank ich, lieben Kinder, daß ihr den Tag habt wollen verherrlichen helfen, an dem das Geschöpf zur Welt kam, das — Ihr kennt mich ja? Leben Sie wohl, Pedro!