Also ist das Licht eurer Tugend noch unterwegs, auch wenn das Werk gethan ist. Mag es nun vergessen und todt sein: sein Strahl von Licht lebt noch und wandert.
Dass eure Tugend euer Selbst sei und nicht ein Fremdes, eine Haut, eine Bemäntelung: das ist die Wahrheit aus dem Grunde eurer Seele, ihr Tugendhaften!
Aber wohl giebt es Solche, denen Tugend der Krampf unter einer Peitsche heisst: und ihr habt mir zuviel auf deren Geschrei gehört!
Und Andre giebt es, die heissen Tugend das Faulwerden ihrer Laster; und wenn ihr Hass und ihre Eifersucht einmal die Glieder strecken, wird ihre» Gerechtigkeit «munter und reibt sich die verschlafenen Augen.
Und Andre giebt es, die werden abwärts gezogen: ihre Teufel ziehn sie. Aber je mehr sie sinken, um so glühender leuchtet ihr Auge und die Begierde nach ihrem Gotte.
Ach, auch deren Geschrei drang zu euren Ohren, ihr Tugendhaften: was ich nicht bin, das, das ist mir Gott und Tugend!
Und Andre giebt es, die kommen schwer und knarrend daher, gleich Wägen, die Steine abwärts fahren: die reden viel von Würde und Tugend, — ihren Hemmschuh heissen sie Tugend!
Und Andre giebt es, die sind gleich Alltags-Uhren, die aufgezogen wurden; sie machen ihr Tiktak und wollen, dass man Tiktak — Tugend heisse.
Wahrlich, an Diesen habe ich meine Lust: wo ich solche Uhren finde, werde ich sie mit meinem Spotte aufziehn; und sie sollen mir dabei noch schnurren!
Und Andre sind stolz über ihre Handvoll Gerechtigkeit und begehen um ihrerwillen Frevel an allen Dingen: also dass die Welt in ihrer Ungerechtigkeit ertränkt wird.
Ach, wie übel ihnen das Wort» Tugend «aus dem Munde läuft! Und wenn sie sagen:»ich bin gerecht, «so klingt es immer gleich wie:»ich bin gerächt!»
Mit ihrer Tugend wollen sie ihren Feinden die Augen auskratzen; und sie erheben sich nur, um Andre zu erniedrigen.
Und wiederum giebt es Solche, die sitzen in ihrem Sumpfe und reden also heraus aus dem Schilfrohr:»Tugend — das ist still im Sumpfe sitzen.
Wir beissen Niemanden und gehen Dem aus dem Wege, der beissen will; und in Allem haben wir die Meinung, die man uns giebt.»
Und wiederum giebt es Solche, die lieben Gebärden und denken: Tugend ist eine Art Gebärde.
Ihre Kniee beten immer an, und ihre Hände sind Lobpreisungen der Tugend, aber ihr Herz weiss Nichts davon.
Und wiederum giebt es Solche, die halten es für Tugend, zu sagen:»Tugend ist nothwendig«; aber sie glauben im Grunde nur daran, dass Polizei nothwendig ist.
Und Mancher, der das Hohe an den Menschen nicht sehen kann, nennt es Tugend, dass er ihr Niedriges allzunahe sieht: also heisst er seinen bösen Blick Tugend.
Und Einige wollen erbaut und aufgerichtet sein und heissen es Tugend; und Andre wollen umgeworfen sein — und heissen es auch Tugend.
Und derart glauben fast Alle daran, Antheil zu haben an der Tugend; und zum Mindesten will ein jeder Kenner sein über» gut «und» böse».
Aber nicht dazu kam Zarathustra, allen diesen Lügnern und Narren zu sagen:»was wisst ihr von Tugend! Was könntet ihr von Tugend wissen!»
Sondern, dass ihr, meine Freunde, der alten Worte müde würdet, welche ihr von den Narren und Lügnern gelernt habt:
Müde würdet der Worte» Lohn,«»Vergeltung,«»Strafe,«»Rache in der Gerechtigkeit»
Müde würdet zu sagen:»dass eine Handlung gut ist, das macht, sie ist selbstlos.»
Ach, meine Freunde! Dass euer Selbst in der Handlung sei, wie die Mutter im Kinde ist: das sei mir euer Wort von Tugend!
Wahrlich, ich nahm euch wohl hundert Worte und eurer Tugend liebste Spielwerke; und nun zürnt ihr mir, wie Kinder zürnen.
Sie spielten am Meere, — da kam die Welle und riss ihnen ihr Spielwerk in die Tiefe: nun weinen sie.
Aber die selbe Welle soll ihnen neue Spielwerke bringen und neue bunte Muscheln vor sie hin ausschütten!
So werden sie getröstet sein; und gleich ihnen sollt auch ihr, meine Freunde, eure Tröstungen haben — und neue bunte Muscheln!
Also sprach Zarathustra.
Das Leben ist ein Born der Lust; aber wo das Gesindel mit trinkt, da sind alle Brunnen vergiftet.
Allem Reinlichen bin ich hold; aber ich mag die grinsenden Mäuler nicht sehn und den Durst der Unreinen.
Sie warfen ihr Auge hinab in den Brunnen: nun glänzt mir ihr widriges Lächeln herauf aus dem Brunnen.
Das heilige Wasser haben sie vergiftet mit ihrer Lüsternheit; und als sie ihre schmutzigen Träume Lust nannten, vergifteten sie auch noch die Worte.
Unwillig wird die Flamme, wenn sie ihre feuchten Herzen an's Feuer legen; der Geist selber brodelt und raucht, wo das Gesindel an's Feuer tritt.
Süsslich und übermürbe wird in ihrer Hand die Frucht: windfällig und wipfeldürr macht ihr Blick den Fruchtbaum.
Und Mancher, der sich vom Leben abkehrte, kehrte sich nur vom Gesindel ab: er wollte nicht Brunnen und Flamme und Frucht mit dem Gesindel theilen.
Und Mancher, der in die Wüste gieng und mit Raubthieren Durst litt, wollte nur nicht mit schmutzigen Kameeltreibern um die Cisterne sitzen.
Und Mancher, der wie ein Vernichter daher kam und wie ein Hagelschlag allen Fruchtfeldern, wollte nur seinen Fuss dem Gesindel in den Rachen setzen und also seinen Schlund stopfen.
Und nicht das ist der Bissen, an dem ich am meisten würgte, zu wissen, dass das Leben selber Feindschaft nöthig hat und Sterben und Marterkreuze:
Sondern ich fragte einst und erstickte fast an meiner Frage: wie? hat das Leben auch das Gesindel nöthig?
Sind vergiftete Brunnen nöthig und stinkende Feuer und beschmutzte Träume und Maden im Lebensbrode?
Nicht mein Hass, sondern mein Ekel frass mir hungrig am Leben! Ach, des Geistes wurde ich oft müde, als ich auch das Gesindel geistreich fand!
Und den Herrschenden wandt'ich den Rücken, als ich sah, was sie jetzt Herrschen nennen: schachern und markten um Macht — mit dem Gesindel!
Unter Völkern wohnte ich fremder Zunge, mit verschlossenen Ohren: dass mir ihres Schacherns Zunge fremd bliebe und ihr Markten um Macht.
Und die Nase mir haltend, gieng ich unmuthig durch alles Gestern und Heute: wahrlich, übel riecht alles Gestern und Heute nach dem schreibenden Gesindel!
Einem Krüppel gleich, der taub und blind und stumm wurde: also lebte ich lange, dass ich nicht mit Macht— und Schreib— und Lust-Gesindel lebte.
Mühsam stieg mein Geist Treppen, und vorsichtig; Almosen der Lust waren sein Labsal; am Stabe schlich dem Blinden das Leben.
Was geschah mir doch? Wie erlöste ich mich vom Ekel? Wer verjüngte mein Auge? Wie erflog ich die Höhe, wo kein Gesindel mehr am Brunnen sitzt?
Schuf mein Ekel selber mir Flügel und quellenahnende Kräfte? Wahrlich, in's Höchste musste ich fliegen, dass ich den Born der Lust wiederfände!
Oh, ich fand ihn, meine Brüder! Hier im Höchsten quillt mir der Born der Lust! Und es giebt ein Leben, an dem kein Gesindel mit trinkt!
Fast zu heftig strömst du mir, Quell der Lust! Und oft leerst du den Becher wieder, dadurch dass du ihn füllen willst!
Und noch muss ich lernen, bescheidener dir zu nahen: allzuheftig strömt dir noch mein Herz entgegen:
Mein Herz, auf dem mein Sommer brennt, der kurze, heisse, schwermüthige, überselige: wie verlangt mein Sommer-Herz nach deiner Kühle!
Vorbei die zögernde Trübsal meines Frühlings! Vorüber die Bosheit meiner Schneeflocken im Juni! Sommer wurde ich ganz und Sommer-Mittag!
Ein Sommer im Höchsten mit kalten Quellen und seliger Stille: oh kommt, meine Freunde, dass die Stille noch seliger werde! Denn diess ist unsre Höhe und unsre Heimat: zu hoch und steil wohnen wir hier allen Unreinen und ihrem Durste. Werft nur eure reinen Augen in den Born meiner Lust, ihr Freunde! Wie sollte er darob trübe werden! Entgegenlachen soll er euch mit seiner Reinheit.
Auf dem Baume Zukunft bauen wir unser Nest; Adler sollen uns Einsamen Speise bringen in ihren Schnäbeln!
Wahrlich, keine Speise, an der Unsaubere mitessen dürften! Feuer würden sie zu fressen wähnen und sich die Mäuler verbrennen!
Wahrlich, keine Heimstätten halten wir hier bereit für Unsaubere! Eishöhle würde ihren Leibern unser Glück heissen und ihren Geistern!
Und wie starke Winde wollen wir über ihnen leben, Nachbarn den Adlern, Nachbarn dem Schnee, Nachbarn der Sonne: also leben starke Winde.
Und einem Winde gleich will ich einst noch zwischen sie blasen und mit meinem Geiste ihrem Geiste den Athem nehmen: so will es meine Zukunft.
Wahrlich, ein starker Wind ist Zarathustra allen Niederungen; und solchen Rath räth er seinen Feinden und Allem, was spuckt und speit: hütet euch gegen den Wind zu speien!"
Also sprach Zarathustra.
Siehe, das ist der Tarantel Höhle! Willst du sie selber sehn? Hier hängt ihr Netz: rühre daran, dass es erzittert.
Da kommt sie willig: willkommen, Tarantel! Schwarz sitzt auf deinem Rücken dein Dreieck und Wahrzeichen; und ich weiss auch, was in deiner Seele sitzt.
Rache sitzt in deiner Seele: wohin du beissest, da wächst schwarzer Schorf; mit Rache macht dein Gift die Seele drehend!
Also rede ich zu euch im Gleichniss, die ihr die Seelen drehend macht, ihr Prediger der Gleichheit! Taranteln seid ihr mir und versteckte Rachsüchtige!
Aber ich will eure Verstecke schon an's Licht bringen: darum lache ich euch in's Antlitz mein Gelächter der Höhe.
Darum reisse ich an eurem Netze, dass eure Wuth euch aus eurer Lügen-Höhle locke, und eure Rache hervorspringe hinter eurem Wort» Gerechtigkeit.»
Denn dass der Mensch erlöst werde von der Rache: das ist mir die Brücke zur höchsten Hoffnung und ein Regenbogen nach langen Unwettern.
Aber anders wollen es freilich die Taranteln.»Das gerade heisse uns Gerechtigkeit, dass die Welt voll werde von den Unwettern unsrer Rache«— also reden sie mit einander.
«Rache wollen wir üben und Beschimpfung an Allen, die uns nicht gleich sind«— so geloben sich die Tarantel-Herzen.
Und» Wille zur Gleichheit«— das selber soll fürderhin der Name für Tugend werden; und gegen Alles, was Macht hat, wollen wir unser Geschrei erheben!»
Ihr Prediger der Gleichheit, der Tyrannen-Wahnsinn der Ohnmacht schreit also aus euch nach» Gleichheit«: eure heimlichsten Tyrannen-Gelüste vermummen sich also in Tugend-Worte!
Vergrämter Dünkel, verhaltener Neid, vielleicht eurer Väter Dünkel und Neid: aus euch bricht's als Flamme heraus und Wahnsinn der Rache.
Was der Vater schwieg, das kommt im Sohne zum Reden; und oft fand ich den Sohn als des Vaters entblösstes Geheimniss.
Den Begeisterten gleichen sie: aber nicht das Herz ist es, was sie begeistert, — sondern die Rache. Und wenn sie fein und kalt werden, ist's nicht der Geist, sondern der Neid, der sie fein und kalt macht.