Dienst Im Anfang herrschten jene frommen Fürsten, Feld, Korn und Pflug zu weihen und das Recht Der Opfer und der Maße im Geschlecht Der Sterblichen zu üben, welche dürsten Nach der Unsichtbaren gerechtem Walten, Das Sonn« und Mond im Gleichgewichte hält, Und deren ewig strahlende Gestalten Des Leids nicht kennen und des Todes Welt. Längst ist der Göttersöhne heilige Reihe Erloschen, und die Menschheit blieb allein, In Lust und Leides Taumel, fern vom Sein, Ein ewiges Werden ohne Maß und Weihe. Doch niemals starb des wahren Lebens Ahnung, Und unser ist das Amt, im Niedergang Durch Zeichenspiel, durch Gleichnis und Gesang Fortzubewahren heiliger Ehrfurcht Mahnung. Vielleicht, daß einst das Dunkel sich verliert, Vielleicht, daß einmal sich die Zeiten wenden, Daß Sonne wieder uns als Gott regiert Und Opfergaben nimmt von unsern Händen. Seifenblasen Es destilliert aus Studien und Gedanken Vielvieler Jahre spät ein alter Mann Sein Alterswerk, in dessen krause Ranken Er spielend manche süße Weisheit spann. Hinstürmt voll Glut ein eifriger Student, Der sich in Büchereien und Archiven Viel umgetan und den der Ehrgeiz brennt, Ein Jugendwerk voll genialischer Tiefen. Es sitzt und bläst ein Knabe in den Halm, Er füllt mit Atem farbige Seifenblasen, Und jede prunkt und lobpreist wie ein Psalm, All seine Seele gibt er hin im Blasen. Und alle drei, Greis, Knabe und Student Erschaffen aus dem Maya-Schaum der Welten Zaubrische Träume, die an sich nichts gelten, In welchen aber lächelnd sich erkennt Das ewige Licht, und freudiger entbrennt. Nach dem Lesen in der Summa contra Gentiles Einst war, so scheint es uns, das Leben wahrer, Die Welt geordneter, die Geister klarer, Weisheit und Wissenschaft noch nicht gespalten. Sie lebten voller, heitrer, jene Alten, Von denen wir bei Plato, den Chinesen Und überall so Wunderbares lesen – Ach, und sooft wir in des Aquinaten Wohl abgemeßnen Summentempel traten, So schien uns eine Welt der reifen, süßen, Der lautern Wahrheit ferneher zu grüßen: Alles schien dort so licht, Natur von Geist durchwaltet, Von Gott her zu Gott hin der Mensch gestaltet, Gesetz und Ordnung formelschön verkündet, Zum Ganzen alles ohne Bruch gerundet. Statt dessen scheint uns Späteren, wir seien Zum Kampf verdammt, zum Zug durch Wüsteneien, Zu Zweifeln nur und bittern Ironien, Nichts sei als Drang und Sehnsucht uns verliehen. Doch mag es unsern Enkeln einmal gehen Wie uns: sie werden uns verklärend sehen, Als Selige und Weise, denn sie hören Von unsres Lebens klagend wirren Chören Nur noch harmonischen Nachklang, der verglühten Nöte und Kämpfe schön erzählte Mythen. Und wer von uns am wenigsten sich traut, Am meisten fragt und zweifelt, wird vielleicht Es sein, des Wirkung in die Zeiten reicht, An dessen Vorbild Jugend sich erbaut; Und der am Zweifel an sich selber leidet, Wird einst vielleicht als Seliger beneidet, Dem keine Not und keine Furcht bewußt war, In dessen Zeit zu leben eine Lust war Und dessen Glück dem Glück der Kinder glich. Denn auch in uns lebt Geist vom ewigen Geist, Der aller Zeiten Geister Brüder heißt: Er überlebt das Heut, nicht Du und Ich. Stufen Wie jede Blüte welkt und jede Jugend Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe, Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern. Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe Bereit zum Abschied sein und Neubeginne, Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern In andre, neue Bindungen zu geben. Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben. Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, An keinem wie an einer Heimat hängen, Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, Er will uns Stuf um Stufe heben, weiten. Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen, Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen. Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde Uns neuen Räumen jung entgegensenden, Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden … Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde! Das Glasperlenspiel Musik des Weltalls und Musik der Meister Sind wir bereit in Ehrfurcht anzuhören, Zu reiner Feier die verehrten Geister Begnadeter Zeiten zu beschwören. Wir lassen vom Geheimnis uns erheben Der magischen Formelschrift, in deren Bann Das Uferlose, Stürmende, das Leben, Zu klaren Gleichnissen gerann. Sternbildern gleich ertönen sie kristallen, In ihrem Dienst ward unserm Leben Sinn, Und keiner kann aus ihren Kreisen fallen, Als nach der heiligen Mitte hin. Es war vor manchen tausend Jahren, und die Frauen waren an der Herrschaft: in Stamm und Familie waren es die Mutter und Großmutter, welchen Ehrfurcht und Gehorsam erwiesen wurde, bei Geburten galt ein Mädchen sehr viel mehr als ein Knabe. Im Dorf war eine Ahnfrau, wohl hundert oder mehr Jahre alt, von allen wie eine Königin verehrt und gefürchtet, obwohl sie schon seit Menschengedenken nur selten noch einen Finger rührte oder ein Wort sprach. An vielen Tagen saß sie vor dem Eingang ihrer Hütte, ein Gefolge von dienenden Verwandten um sie, und es kamen die Frauen des Dorfes, ihr Ehrfurcht zu erweisen, ihr ihre Angelegenheiten zu erzählen, ihre Kinder zu zeigen und zum Segnen zu bringen; es kamen die Schwangeren und baten, sie möge ihren Leib berühren und ihnen den Namen für das Erwartete geben. Die Ahnmutter legte manchmal die Hand auf, manchmal nickte sie nur oder schüttelte den Kopf oder blieb auch regungslos. Worte sagte sie selten; sie war nur da; sie war da, saß und regierte, saß und trug das weißgelbe Haar in dünnen Strähnen um das lederne, weitsichtige Adlergesicht, saß und empfing Verehrung, Geschenke, Bitten, Nachrichten, Berichte, Anklagen, saß und war allen bekannt als die Mutter von sieben Töchtern, als die Großmutter und Urahne von vielen Enkeln und Urenkeln, saß und trug auf den scharfgefalteten Zügen und hinter der braunen Stirn die Weisheit, die Überlieferung, das Recht, die Sitte und Ehre des Dorfes. Es war ein Abend im Frühling, bewölkt und früh dunkelnd. Vor der Lehmhütte der Urahne saß nicht sie selbst, aber ihre Tochter, die war kaum weniger weiß und würdig und auch nicht sehr viel weniger alt als die Urahne. Sie saß und ruhte, ihr Sitz war die Türschwelle, ein flacher Feldstein, bei kaltem Wetter mit einem Fell belegt, und weiter außen im Halbkreise hockten am Boden, im Sand oder Gras, ein paar Kinder und ein paar Weiber und Buben; die hockten hier an jedem Abend, an dem es nicht regnete oder fror, denn sie wollten die Tochter der Urahne erzählen hören, Geschichten erzählen oder Sprüche singen. Früher hatte dies die Urahne selbst getan, jetzt war sie allzu alt und nicht mehr mitteilsam, und an ihrer Stelle kauerte und erzählte die Tochter, und wie sie die Geschichten und Sprüche alle von der Urgroßmutter hatte, so hatte sie von ihr auch die Stimme, die Gestalt, die stille Würde der Haltung, der Bewegungen und des Sprechens, und die Jüngeren unter den Zuhörern kannten sie viel besser als ihre Mutter und wußten schon beinahe nichts mehr davon, daß sie an Stelle einer anderen saß und die Geschichten und Weistümer des Stammes mitteilte. Von ihrem Munde floß an den Abenden der Quell des Wissens, sie verwahrte den Schatz des Stammes unter ihrem weißen Haar, hinter ihrer sanft gefurchten alten Stirn wohnte die Erinnerung und der Geist der Siedlung. Wenn einer wissend war und Sprüche oder Geschichten kannte, so hatte er sie von ihr. Außer ihr und der Uralten gab es nur noch einen Wissenden im Stamm, der aber verborgen blieb, einen geheimnisvollen und sehr schweigsamen Mann, den Wetter- oder Regenmacher. Unter den Zuhörenden kauerte auch der Knabe Knecht und neben ihm ein kleines Mädchen, das hieß Ada. Dieses Mädchen hatte er gern und begleitete und beschützte es oft, nicht aus Liebe eigentlich, davon wußte er noch nichts, er war selber noch ein Kind, sondern weil sie die Tochter des Regenmachers war. Ihn, den Regenmacher, verehrte und bewunderte Knecht sehr, nächst der Urahne und ihrer Tochter niemand so wie ihn. Aber sie waren Frauen. Sie konnte man verehren und fürchten, doch konnte man nicht den Gedanken fassen und den Wunsch in sich hegen, zu werden, was sie waren. Der Wettermacher nun war ein ziemlich unnahbarer Mann, es war für einen Knaben nicht leicht, sich in seiner Nähe zu halten; man mußte Umwege gehen, und einer der Umwege zum Wettermacher war Knechts Sorge um dessen Kind. Er holte es so oft wie möglich in des Wettermachers etwas abgelegener Hütte ab, um am Abend vor der Hütte der Alten zu sitzen und sie erzählen zu hören, und brachte sie dann wieder heim. So hatte er auch heute getan und hockte nun neben ihr in der dunklen Schar und hörte zu. |