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Knecht wehrte sich. »Mit Verlaub, Hochverehrter, warum soll mir daran nicht gelegen sein? Es handelt sich um meinen Ruf und Namen, um das Andenken, das ich hier zurücklasse. Es handelt sich damit auch um die Möglichkeit für mich, draußen für Kastalien zu wirken. Ich stehe nicht hier, um etwas für mich zu retten oder gar um die Billigung meines Schrittes durch die Behörde zu erreichen. Ich rechnete damit und ergebe mich darein, von meinen Kollegen künftig bezweifelt und als problematische Erscheinung angesehen zu werden. Als Verräter oder als Verrückter aber will ich nicht angesehen sein, es ist ein Urteil, das ich nicht annehmen kann. Ich habe etwas getan, was Ihr mißbilligen müsset, aber ich habe es getan, weil ich mußte, weil es mir aufgetragen ist, weil es meine Bestimmung ist, an die ich glaube und die ich mit gutem Willen auf mich nehme. Wenn Ihr mir auch dies nicht zugestehen könnet, dann bin ich unterlegen und habe umsonst zu Euch gesprochen.«

»Es geht immer um ein und dasselbe,« antwortete Alexander. »Ich soll zugestehen, daß unter Umständen der Wille eines Einzelnen das Recht haben soll, die Gesetze zu brechen, an die ich glaube und die ich zu vertreten habe. Ich kann aber nicht an unsre Ordnung und zugleich auch noch an Euer privates Recht zur Durchbrechung dieser Ordnung glauben. – Unterbrecht mich nicht, bitte. Ich kann Euch zugestehen, daß Ihr allem Anschein nach von Eurem Recht und dem Sinn Eures fatalen Schrittes überzeugt seid und an eine Berufung zu Eurem Vorhaben glaubet. Daß ich den Schritt selbst billige, erwartet Ihr ja gar nicht. Dagegen habt Ihr allerdings erreicht, daß ich auf meinen anfänglichen Gedanken, Euch zurückzugewinnen und Euren Entschluß zu ändern, verzichtet habe. Ich nehme Euren Austritt aus dem Orden an und übergebe der Behörde die Meldung von Eurem freiwilligen Ausscheiden aus dem Amt. Weiter kann ich Euch nicht entgegenkommen, Josef Knecht.«

Der Glasperlenspielmeister machte eine Gebärde der Ergebenheit. Dann sagte er still: »Ich danke Euch, Herr Vorstand. Das Kästchen habe ich Euch schon anvertraut. Ich übergebe Euch zu Händen der Behörde nun auch meine paar Aufzeichnungen über den Stand der Dinge in Waldzell, vor allem über die Repetentenschaft und jene paar Personen, von welchen ich glaube, daß sie als Nachfolger in meinem Amt vor allem in Betracht kommen.«

Er zog ein paar gefaltete Blätter aus der Tasche und legte sie auf den Tisch. Dann stand er auf, auch der Vorstand erhob sich. Knecht trat auf ihn zu, blickte ihm lang mit trauriger Freundlichkeit in die Augen, verneigte sich und sagte: »Ich hatte Euch bitten wollen, mir zum Abschied die Hand zu geben, darauf muß ich nun wohl verzichten. Ihr seid mir immer besonders teuer gewesen, auch der heutige Tag hat daran nichts geändert. Lebet wohl, mein Lieber und Verehrter.«

Alexander stand still, etwas bleich; einen Augenblick sah es aus, als wolle er die Hand erheben und sie dem Scheidenden reichen. Er fühlte, daß ihm die Augen feucht wurden; da neigte er den Kopf, erwiderte Knechts Verbeugung und ließ ihn gehen.

Als der Fortgehende die Tür hinter sich geschlossen hatte, blieb der Vorstand unbeweglich stehen und horchte auf die sich entfernenden Schritte, und als der letzte verklungen und nichts mehr zu hören war, ging er eine Weile quer durchs Zimmer auf und ab, bis draußen wieder Schritte tönten und leise an die Tür gepocht wurde. Der junge Diener trat ein und meldete einen Besucher, der ihn zu sprechen verlange.

»Sage ihm, daß ich ihn in einer Stunde empfangen kann und daß ich ihn bitte, sich kurz zu fassen, es liegt Dringliches vor. – Nein, warte noch! Geh auch in die Kanzlei und melde dem ersten Sekretär, er möge sofort und eilig die Gesamtbehörde auf übermorgen zu einer Sitzung einberufen, mit dem Vermerk, daß Vollzähligkeit notwendig sei und nur schwere Erkrankung als Entschuldigung für ein Ausbleiben gelte. Dann geh zum Hausmeister und sage ihm, morgen früh müsse ich nach Waldzell fahren, der Wagen habe um sieben bereit zu sein…«

»Mit Erlaubnis,« sagte der Jüngling, »es wäre der Wagen des Herrn Magister Ludi zur Verfügung.«

»Wie denn?«

»Der Ehrwürdige ist gestern zu Wagen angekommen. Soeben hat er das Haus verlassen mit dem Bescheid, er gehe zu Fuß weiter und lasse den Wagen hier zur Verfügung der Behörde.«

»Es ist gut. So nehme ich morgen den Waldzeller Wagen. Wiederholen, bitte.«

Der Diener wiederholte: »Der Besucher wird in einer Stunde empfangen, er soll sich kurz fassen. Der erste Sekretär hat die Behörde auf übermorgen einzuberufen, Vollzähligkeit notwendig, nur schweres Kranksein entschuldigt. Morgen früh um sieben Abreise nach Waldzell mit dem Wagen des Herrn Magister Ludi.«

Meister Alexander atmete auf, als der junge Mensch wieder gegangen war. Er trat zu dem Tisch, an dem er mit Knecht gesessen war, und noch klangen die Schritte dieses Unbegreiflichen in ihm nach, den er vor allen andern geliebt und der ihm so großen Schmerz angetan hatte. Immer hatte er seit den Tagen, da er ihm Dienste geleistet, diesen Mann geliebt, und unter manchen andern Eigenschaften war es gerade auch Knechts Gang gewesen, den er gerngehabt hatte, ein bestimmter und taktfester, aber leichter, ja beinah schwebender Schritt, zwischen würdig und kindlich, zwischen priesterlich und tänzerisch, ein eigenartiger liebenswürdiger und vornehmer Schritt, der ausgezeichnet zu Knechts Gesicht und Stimme paßte. Er paßte nicht minder zu seiner so besonderen Art von Kastalier- und Magistertum, seiner Art von Herrentum und von Heiterkeit, welche manchmal ein wenig an die aristokratisch gemessene seines Vorgängers, des Meisters Thomas, manchmal auch an die einfache und herzgewinnende des Alt-Musikmeisters erinnerte. Nun war er also schon abgereist, der Eilige, zu Fuß, wer weiß wohin, und vermutlich würde er ihn niemals wiedersehen, nie mehr sein Lachen hören und seine schöne langfingrige Hand die Hieroglyphen eines Glasperlenspielsatzes hinmalen sehen. Er griff nach den Blättern, die auf dem Tische liegen geblieben waren, und begann sie zu lesen. Es war ein kurzes Vermächtnis, sehr knapp und sachlich, oft nur Stichworte, statt Sätze, und sollte dazu dienen, der Behörde die Arbeit bei der bevorstehenden Kontrolle des Spielerdorfes und der Neuwahl eines Magisters zu erleichtern. In kleinen hübschen Buchstaben standen die klugen Bemerkungen da, Worte und Handschrift ebenso vom einmaligen und unverwechselbaren Wesen dieses Josef Knecht geprägt wie sein Gesicht, seine Stimme, sein Gang. Schwerlich würde die Behörde einen Mann seines Ranges finden, um ihn zu seinem Nachfolger zu machen; die wirklichen Herren und wirklichen Persönlichkeiten waren eben doch selten, und jede solche Gestalt ein Glücksfall und Geschenk, auch hier in Kastalien, der Elite-Provinz.

Das Gehen machte Josef Knecht Freude, er war seit Jahren nicht mehr zu Fuß gereist. Ja, wenn er sich genauer zu besinnen suchte, wollte ihm scheinen, seine letzte richtige Fußwanderung sei jene gewesen, die ihn einst vom Stift Mariafels zurück nach Kastalien und zu jenem Jahresspiel nach Waldzell geführt hatte, das durch den Tod der »Exzellenz,« des Magisters Thomas von der Trave, so sehr belastet worden war und ihn selbst zu dessen Nachfolger hatte werden lassen. Sonst, wenn er an jene Zeiten und gar an die Studentenjahre und das Bambusgehölz zurückdachte, war es stets gewesen, als blicke er aus einer nüchtern kühlen Kammer in weite, fröhlich besonnte Gegenden hinaus, ins Unwiederbringliche, zum Erinnerungsparadies Gewordene; immer war solches Gedenken, auch wenn es ohne Wehmut geschah, eine Schau des sehr Fernen, Anderen, vom Heute und Alltag geheimnisvoll-festlich Verschiedenen gewesen. Jetzt aber, an diesem heitern lichten Septembernachmittag mit den kräftigen Farben der Nähe und den sanft behauchten, traumzarten, vom Blau ins Violett spielenden Tönen der Ferne, beim behaglichen Wandern und müßigen Schauen blickte jene vor so langer Zeit erlebte Fußreise nicht wie eine Ferne und ein Paradies in ein resigniertes Heute herein, sondern es war die heutige Reise der damaligen, der heutige Josef Knecht dem von damals brüderlich ähnlich, es war alles wieder neu, geheimnisvoll, vielversprechend, es konnte alles Gewesene wiederkehren und noch viel Neues dazu. So hatte der Tag und die Welt ihn lange nicht mehr angeblickt, so unbeschwert, schön und unschuldig. Das Glück der Freiheit und Selbstbestimmung durchflutete ihn wie ein starker Trank; wie lange hatte er diese Empfindung, diese holde und entzückende Illusion nicht mehr verspürt! Er sann nach und erinnerte sich der Stunde, in welcher einst dies köstliche Gefühl ihm angetastet und in Fesseln gelegt worden war, es war in einem Gespräch mit dem Magister Thomas, unter dessen freundlich-ironischem Blick, und wohl erinnerte er sich der unheimlichen Empfindung jener Stunde, in welcher er seine Freiheit verlor; sie war nicht eigentlich ein Schmerz, ein brennendes Leiden gewesen, sondern mehr eine Bangigkeit, ein leiser Schauder im Nacken, ein warnendes Organgefühl überm Zwerchfell, eine Änderung in der Temperatur und namentlich im Tempo des Lebensgefühls. Die so bange, zusammenziehende, von fern her mit Ersticken drohende Empfindung jener Schicksalsstunde wurde heute kompensiert oder geheilt.

Knecht hatte gestern auf seiner Fahrt nach Hirsland beschlossen: was immer dort geschehen möge, es unter keinen Umständen zu bereuen. Für heute nun verbot er sich, an die Einzelheiten seiner Gespräche mit Alexander zu denken, an seinen Kampf mit ihm, seinen Kampf um ihn. Er stand ganz dem Gefühl von Entspannung und Freiheit offen, das ihn erfüllte wie einen Bauer nach getanem Tagewerk das Feierabendgefühl, er wußte sich geborgen und zu nichts verpflichtet, wußte sich für einen Augenblick vollkommen entbehrlich und ausgeschaltet, zu keiner Arbeit, keinem Denken verpflichtet, und der lichte farbige Tag umgab ihn sanft strahlend, ganz Bild, ganz Gegenwart, ohne Forderung, ohne Gestern und Morgen. Zuweilen summte der Zufriedene im Gehen eines der Marschlieder vor sich hin, die sie einst als kleine Eliteschüler in Eschholz auf Ausflügen drei- und vierstimmig gesungen hatten, und es kamen ihm aus der heitern Morgenfrühe seines Lebens kleine helle Erinnerungen und Klänge herübergeflogen wie Vogelgezwitscher.

Unter einem Kirschbaume mit schon ins Purpurne spielendem Laube machte er halt und setzte sich ins Gras. Er griff in die Brusttasche seines Rockes und zog ein Ding hervor, das Meister Alexander nicht bei ihm vermutet hätte, eine kleine hölzerne Flöte nämlich, die er mit einer gewissen Zärtlichkeit betrachtete. Er besaß dieses naiv und kindlich aussehende Instrument noch nicht sehr lange, ein halbes Jahr etwa, und erinnerte sich mit Vergnügen des Tages, an dem es in seinen Besitz gelangt war. Er war damals nach Monteport gefahren, um mit Carlo Ferromonte einige musiktheoretische Fragen durchzusprechen; es war dabei die Rede auch auf die Holzblasinstrumente gewisser Zeitalter gekommen, und er hatte seinen Freund gebeten, ihm die Monteporter Instrumentensammlung zu zeigen. Nach dem genußreichen Gang durch einige Säle voll alter Orgeltische, Harfen, Lauten, Klaviere waren sie in ein Magazin gekommen, wo Instrumente für die Schulen aufbewahrt wurden. Dort hatte Knecht eine ganze Lade voll solcher kleiner Flötchen liegen sehen, hatte eines betrachtet und probiert und den Freund gefragt, ob er wohl eine dieser Flöten mitnehmen dürfe. Lachend hatte Carlo ihn gebeten, sich eine auszusuchen, hatte ihn lachend eine Quittung darüber unterschreiben lassen, ihm dann aber äußerst genau den Bau des Instrumentes, seine Handhabung und die Technik des Spieles auf ihm erklärt. Knecht hatte das hübsche Spielzeugchen mitgenommen und hatte, da er seit der Blockflöte seiner Eschholzer Knabenzeit nie mehr ein Blasinstrument gespielt und sich mehrmals schon vorgenommen hatte, wieder eines zu lernen, je und je darauf geübt. Nächst den Tonleitern hatte er dazu ein Heft mit alten Melodien benützt, das Ferromonte für Anfänger herausgegeben hatte, und je und je war aus dem Magistergarten oder aus seinem Schlafzimmer der sanfte süße Klang des Flötchens gedrungen. Längst war er noch kein Meister, aber eine Anzahl jener Choräle und Lieder hatte er spielen gelernt, er wußte sie auswendig, und von manchen auch die Texte. Eines dieser Lieder, zur Stunde wohl passend, kam ihm in den Sinn. Er sagte ein paar Verszeilen vor sich hin:

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