Литмир - Электронная Библиотека

Doch als er auch mittags verschwunden blieb, atmete ich auf. Frage mich nicht weiter, Fridolin, ich habe dir die ganze Wahrheit gesagt. – Und auch du hast an jenem Strand irgend etwas erlebt, – ich weiß es.»

Fridolin stand auf, ging ein paarmal im Zimmer auf und ab. Dann sagte er: «Du hast recht.» Er stand am Fenster, das Antlitz im Dunkel. «Am Morgen», begann er mit verschleierter, etwas feindseliger Stimme. «Manchmal sehr früh noch, ehe du bist aufgestanden. Ich ging lang den Ufer entlang, über den Ort hinaus.

Und so früh war es war. Immer lag schon die Sonne hell und stark über dem Meer. Da draußen am Strand gab es kleine Landhäuser. Wie du weißt, die waren eine kleine Welt für sich. Manche waren mit umplankten Gärten. Manche waren auch nur von Wald umgeben. Und die Badehütten waren von den Häusern durch die Landstraße und einem Stück Strand getrennt. Kaum konnte ich in so früher Stunde Menschen begegnen. Und Badende konnte ich überhaupt niemals sehen. Eines Morgens aber sah ich ganz plötzlich einer weiblichen Gestalt. Sie war eben noch unsichtbar. Auf der schmalen Terrasse einer in den Sand gepfählten Badehütte[10], setzte die weibliche Gestalt einen Fuß vor den andern. Sie spreitete die Arme nach rückwärts an die Holzwand und bewegte sich vorsichtig weiter. Es war ein ganz junges, vielleicht fünfzehnjähriges Mädchen mit aufgelöstem blonden Haar. Es floß über die Schultern und auf der einen Seite über die zarte Brust herab.

Das Mädchen sah vor sich ins Wasser. Es ging langsam die Wand entlang mit gesenktem Auge weiter. Und plötzlich stand es mir gerade gegenüber. Mit den Armen griff sie weit hinter sich. Es wollte sich fester anklammern. Das Mädchen sah auf und erblickte mich plötzlich. Ein Zittern ging durch ihren Leib, als müßte sie sinken oder fliehen[11]. Doch konnte sie sich auf dem schmalen Brett nur ganz langsam weiterbewegen. So blieb sie da nun stehen. Zuerst mit einem erschrockenen, dann mit einem zornigen, endlich mit einem verlegenen Gesicht. Mit einem Mal aber lächelte sie, lächelte wunderbar. Es war ein Grüßen, ja ein Winken in ihren Augen und zugleich ein leiser Spott. Damit streifte sie ganz flüchtig zu ihren Füßen das Wasser, das mich von ihr trennte. Dann reckte sie den jungen schlanken Körper hoch, wie ihrer Schönheit froh[12]. Wie leicht zu merken war, war sie stolz und süß erregt durch den Glanz meines Blicks. So standen wir uns gegenüber. Vielleicht zehn Sekunden lang, mit halboffenen Lippen und flimmernden Augen. Unwillkürlich breitete ich meine Arme nach ihr aus. Hingebung und Freude waren in ihrem Blick. Mit einem Mal aber schüttelte sie heftig den Kopf, löste einen Arm von der Wand, deutete gebieterisch. Ich sollte mich entfernen. Und ich brachte es nicht gleich über mich zu gehorchen. Es kam ein solches Bitten, ein solches Flehen in ihre Kinderaugen. So blieb mir nichts anderes übrig, als mich abzuwenden[13]. So rasch als möglich setzte ich meinen Weg wieder fort. Ich sah mich kein einziges Mal nach ihr um. Nicht eigentlich aus Rücksicht, aus Gehorsam, aus Ritterlichkeit. Sondern darum, weil ich unter ihrem letzten Blick eine solche Bewegung verspürt habe. Ich habe mich eben ohnmächtig gefühlt.» Und er schwieg.

«Und wie oft», fragte Albertine, «bist du nachher noch denselben Weg gegangen?»

«Was ich dir erzählt habe», antwortete Fridolin, «geschah zufällig am letzten Tag unseres Aufenthalts in Dänemark. Auch ich weiß nicht, was unter anderen Umständen geschehen konnte. Frag, auch du nicht weiter, Albertine.»

Er stand immer noch am Fenster, unbeweglich. Albertine erhob sich. Sie trat auf ihn zu. Ihr Auge war feucht und dunkel. «Wir wollen einander solche Dinge künftighin immer gleich erzählen», sagte sie.

Er nickte stumm. «Versprich‘s mir.»

«Weißt du das nicht?» fragte er; aber seine Stimme klang immer noch hart.

Sie nahm seine Hände, streichelte sie und sah zu ihm auf. Er versuchte ihre Gedanken zu lesen. Jetzt dachte sie über seine Jünglingserlebnisse nach. Sie war in manchen eingeweiht. Er hat ihr den ersten Ehejahren Manches verraten. Da gab er ihrer eifersüchtigen Neugier willig nach. Es schien ihm, dass er für sich behalten wollte. In dieser Stunde drängte sich manche Erinnerung ihr mit Notwendigkeit auf. Wie ein Vorwurf, wie eine leise Drohung klang er ihm entgegen.

Er zog ihre Hände an seine Lippen.

«In jedem Wesen habe ich immer nur dich gesucht, das ich zu lieben meinte. Das weiß ich besser, als du es verstehen kannst[14], Albertine.»

Sie lächelte trüb. «Und wenn es auch mir beliebt war, zuerst auf die Suche zu gehen?» sagte sie. Ihr Blick veränderte sich, wurde kühl. Er ließ ihre Hände aus den seinen gleiten. Aber sie sagte: «Ach, wenn ihr wusstet», und wieder schwieg sie.

«Wenn wir wussten —? Was willst du sagen?»

Mit seltsamer Härte antwortete sie: «Ungefähr, was du dir denkst, mein Lieber.»

«Albertine, so gibt es etwas, was du mir verschwiegen hast?»

Sie nickte und blickte mit einem sonderbaren Lächeln.

Unfaßbare Zweifel wachten in ihm auf.

«Ich verstehe nicht recht», sagte er. «Du warst kaum siebzehn, als wir uns verlobten.»

«Sechzehn vorbei, ja, Fridolin. Und es lag nicht an mir, dass ich noch jungfräulich deine Gattin wurde.»

«Albertine —!»

Und sie erzählte: «Es war am Wörthersee, ganz kurz vor unserer Verlobung, Fridolin. Da stand an einem schönen Sommerabend ein sehr hübscher, junger Mensch an meinem Fenster. Das Fenster war groß und hatte einen Blick auf eine weite Wiese. Wir plauderten miteinander. Und ich dachte im Laufe dieser Unterhaltung… Ja, höre nur, was ich dachte: Was ist das doch für ein lieber, entzückender, junger Mensch! Er musste jetzt nur ein Wort sprechen. Das musste ein richtige Wort sein. So konnte ich zu ihm auf die Wiese kommen und mit ihm spazieren. In den Wald vielleicht. Oder schöner noch konnte es sein: wir führen zusammen in den See mit dem Boot. Er konnte von mir in dieser Nacht alles haben, was er nur wollte. Ja, das dachte ich mir. – Aber er sagte kein Wort. Er küsste nur zart meine Hand. Und am Morgen fragte er mich: Wollte ich seine Frau werden? Und ich sagte ja.»

Fridolin ließ unmutig ihre Hand los. «Und wenn an jenem Abend», sagte er dann, «zufällig ein anderer an deinem Fenster stehen konnte. Ihm konnte das richtige Wort einfallen. Zum Beispiel —», er dachte nach, welchen Namen er nennen sollte.

«Ein anderer. Er hätte sagen können, was er wollte – es hätte ihm wenig geholfen[15]. Und wenn es nicht du gewesen bist, der vor dem Fenster stand» – sie lächelte zu ihm auf —, «dann konnte wohl auch der Sommerabend nicht so schön sein.»

Er verzog spöttisch den Mund. «So sagst du in diesem Augenblick, so glaubst du vielleicht in diesem Augenblick. Aber —» Es klopfte. Das Dienstmädchen trat ein. Sie meldete, die Hausbesorgerin aus der Schreyvogelgasse war da, den Herrn Doktor zum Hofrat zu holen. Ihm ging wieder sehr schlecht. Fridolin ging ins Vorzimmer. Er erfuhr von der Botin, dass der Hofrat einen Herzanfall erlitten. Er fühlte sich sehr übel.

«Du willst fort —?» fragte ihn Albertine. Fridolin antwortete, beinahe verwundert: «Ich muss wohl.» Sie seufzte leicht.

«Es ist hoffentlich nicht so schlimm», sagte Fridolin, «bisher haben ihm drei Centi Morphin immer noch über den Anfall geholfen.» Das Stubenmädchen hat den Pelz gebracht. Fridolin küsste Albertine ziemlich zerstreut. Er eilte sich.

Zweites Kapitel

Auf der Straße musste er den Pelz öffnen. Es war plötzlich Tauwetter. In der Luft wehte ein Hauch des Frühlings. Von Fridolins Wohnung in der Josefstadt war es kaum eine Viertelstunde in die Schreyvogelgasse. Da war das Allgemeine Krankenhaus. So stieg Fridolin bald die Treppe des alten Hauses in das zweite Stockwerk. Er zog an der Glocke. Doch merkte er: Die Tür war nur leicht zugemacht. Er ging durch den Vorraum in das Wohnzimmer. Er sah sofort, dass er zu spät kam. Die grün verhängte Petroleumlampe warf einen matten Schein über die Bettdecke. Darunter lag regungslos ein schmaler Körper. Das Antlitz des Toten war überschattet. Doch Fridolin kannte es so gut. Er konnte es ganz deutlich sehen: Hager, runzlig, mit dem weißen, kurzen Vollbart, den häßlichen weißbehaarten Ohren.

вернуться

10

Auf der schmalen Terrasse einer in den Sand gepfählten Badehütte – по узкой тераасе купалне, установленной в песке…

вернуться

11

als müßte sie sinken oder fliehen. – словно она была близка к обмороку или бегству.

вернуться

12

wie ihrer Schönheit froh. – словно радуясь своей красоте.

вернуться

13

So blieb mir nichts anderes übrig, als mich abzuwenden – мне не оставалось ничего иного, как отвернуться.

вернуться

14

Das weiß ich besser, als du es verstehen kannst, … – Я знаю это лучше, чем ты можешь понять…

вернуться

15

Er hätte sagen können, was er wollte – es hätte ihm wenig geholfen. Он бы мог сказать, что хотел – но ему бы это мало чем помогло.

2
{"b":"805174","o":1}