Irgendwann bemerkten das nicht nur die Schlossbewohner, sondern auch das gemeine Volk, und es kamen Gerüchte auf, dass bei dem Prinzen wohl irgendetwas nicht in Ordnung sei, wenn er noch immer keine Braut gefunden hätte. Dieses Gerede kam schließlich auch dem König und der Königin zu Ohren und löste bei ihnen großen Unmut aus. Sie beschlossen, mit ihrem Sohn zu reden, um herauszufinden, wo das Problem lag.
„Mein lieber Sohn“, sprach die Königin, „es ist an der Zeit, dass du heiratest. Gibt es ein Mädchen, das dir lieb ist, das du vielleicht ins Herz geschlossen hast?“
„Ich bin doch noch viel zu jung zum Heiraten, Mutter“, entgegnete Donatus. „Ich möchte noch eine Zeitlang mein freies Leben genießen. Und bisher bin ich noch keiner Frau begegnet, die mein Herz höher schlagen ließe.“
„Du solltest aber nicht nur an die Liebe denken, sondern auch an deine Aufgabe, für einen Thronfolger zu sorgen“, ermahnte ihn der Vater. „Wir sind schon ziemlich alt, und wir möchten gern noch Enkelkinder sehen und sie ein bisschen verwöhnen. Außerdem muss das Königreich gesichert werden, es gibt überall Neider, die nur danach trachten, unser Land zu erobern. Solange ich gesund bin, sitzen sie still wie Mäuschen in ihren Löchern, bin ich aber einmal alt und krank, werden sie wie die Raben geflogen kommen. Deswegen darfst du deine Heirat nicht auf die lange Bank schieben.“
Prinz Donatus war trotzdem nicht gewillt zu heiraten. Doch seine Eltern blieben hartnäckig. Jeden Monat gaben sie einen Ball, zu dem Prinzessinnen aus nah und fern eingeladen wurden. Schließlich aber hatten sich alle Prinzessinnen am Hof vorgestellt und die Eltern verloren die Hoffnung, dass irgendwann einmal eine auftauchen würde, die Donatus gefiele. Da überlegten sie, was sie mit dem ungehorsamen Prinzen tun könnten. Sie liebten ihren Sohn, aber sie durften auch die Interessen des Königreichs nicht außer Acht lassen. Schließlich griffen sie zu verzweifelten Mitteln. Eines Tages riefen sie Donatus in den Thronsaal und sprachen zu ihm:
„Nun hast du alle Prinzessinnen gesehen, die Du zur Braut nehmen könntest, aber du hast keine erwählt. Wir wollen und können nicht länger darauf warten, dass du endlich zur Vernunft kommst. Darum geben wir dir ein Jahr Zeit, auszuziehen und selbst eine Braut zu finden. Pack deine Sachen, mach dich auf den Weg und such eine, der du dein Herz schenken kannst. Und komm nicht ohne eine Braut nach Hause.“
Sie hatten Tränen in den Augen bei diesen Worten, denn der Gedanke, dass sie ihren geliebten Sohn ein ganzes Jahr lang nicht sehen würden, machte sie sehr traurig.
Donatus war auf solche harten Reden gar nicht gefasst. Überrascht und traurig stand er vor seinen Eltern und wusste nicht, was er antworten sollte. Er hatte keine Lust, sein Elternhaus zu verlassen, und er wusste auch nicht, wo er eine Braut suchen sollte. Aber als er etwas dagegen einzuwenden suchte, wollten die Eltern nichts hören. Sie waren auch nicht bereit, ihre königliche Entscheidung zu ändern.
„Mach dich unverzüglich auf den Weg. Je schneller du fortgehst, desto eher bist du zurück.“
Donatus blieb nichts anderes übrig, als sich dem Willen seiner Eltern zu beugen. Er packte Kleidung und Proviant und etwas Geld ein und nahm Pfeil und Bogen mit, um jagen zu können. Dann verbeugte er sich vor dem König und der Königin und sprach:
„Ich werde mein Bestes tun, um Euren Willen zu erfüllen, und begebe mich auf die Suche nach einer Braut, wie ihr es mir gebietet. Sollte ich aber in einem Jahr nicht zurück sein, seid mir nicht böse. Dann war es mir bestimmt, unverheiratet zu sterben!“
Nach diesen Worten umarmte er Mutter und Vater und ging fort, ohne sich noch einmal umzudrehen, denn er wollte ihre Tränen nicht sehen und suchte seine eigenen zu verbergen.
Viele Monate war der Prinz unterwegs. Irgendwann waren seine Kleider verschlissen, und er hatte drei Paar Stiefel abgetragen. Er hatte gelernt, sich neue Pfeile zu machen, um nicht zu verhungern. Sein Geld war fast aufgebraucht, nur noch drei goldene Taler waren ihm geblieben. Da sie ihn an sein Elternhaus erinnerten, hütete er sie wie seinen Augapfel und wollte sie nur in größter Not ausgeben.
Eines Abends, als Donatus am Rand eines Waldes wanderte, meinte er hinter den Bäumen Licht zu sehen. Zuerst glaubte er sich geirrt zu haben. Er schaute angestrengt in diese Richtung – aber nein, er täuschte sich nicht, da war tatsächlich Licht. Der Prinz eilte darauf zu und entdeckte bald zwischen den Bäumen eine Hütte. Sie war halb verfallen und so vom Wald übergewachsen, dass man sie nur erkennen konnte, wenn man sehr genau hinsah. Der Prinz blieb vor der Tür stehen und überlegte, ob er zuerst klopfen oder einfach eintreten sollte. Als er den Arm hob, um anzuklopfen, öffnete sich plötzlich die Tür und auf der Schwelle erschien ein Greis. Weißes Haar hing ihm auf die Schultern herab, auch sein langer Bart war schneeweiß. Die beiden Männer standen sich gegenüber und betrachteten einander eine Weile schweigend. Schließlich begann der Alte als Erster zu sprechen:
„Na, mein Freund, was stehst du da wie angewurzelt und starrst mich an? Hast du etwa Angst? Keine Bange, ich bin ein friedlicher Mensch, und wenn du selbst keine bösen Absichten hast, sei herzlich willkommen. Ich koche uns Tee und du erzählst mir, was dich in meinen Wald führt.“
Donatus war froh, dass er die kommende Nacht nicht im Wald verbringen musste. Er verbeugte sich dankend vor dem alten Mann und betrat die Hütte. Wie versprochen stellte der Gastgeber den Teekessel auf und bereitete einen Tee, der nach Kräutern duftete. Dann schenkte er ihnen beiden ein, bot seinem Gast Brot und Honig an und sagte:
„Ich lebe hier seit vielen, vielen Jahren, aber lebende Menschen sehe ich in diesem Wald nicht sehr häufig. Ich werde dir von meinem Leben erzählen, davon, warum ich in diesem Wald geblieben bin. Und wenn du möchtest, dann erzählst du mir, was du hier suchst. Vielleicht kann ich dir helfen. Ich sehe ja, dass du kein böser Mensch bist, du strahlst Offenheit und Ehrlichkeit aus.“
Donatus dankte dem Greis für seine freundlichen Worte und wollte gern seine Geschichte hören.
„Meinen Namen habe ich so lange nicht gehört, dass ich ihn schon fast vergessen habe. Doch früher nannte man mich Hartlieb. Meine Mutter war Weißnäherin bei König August. Irgendwann wurde sie seine Geliebte. Die Ehe des Königs war damals noch kinderlos, und als meine Mutter ihm sagte, dass sie ein Kind von ihm trug, freute er sich sehr. Als die Königin dies erfuhr, wurde sie sehr zornig. Nach außen aber ließ sie sich nichts anmerken, denn sie war eine kluge Frau. Und so ging sie heimlich zu einer Kräuterfrau und klagte über ihre Kinderlosigkeit. Die kräuterkundige Frau braute ihr einen Trank, und diesen nahm sie über eine lange Zeit hinweg ein – so lange, dass sie schon an seiner Wirkung zu zweifeln begann. Währenddessen wuchs Hartlieb heran, und der König kam oft in das Haus seiner Geliebten und verbrachte viel Zeit mit seinem Sohn, sehr zum Ärger der Königin. Das Kräuterweib war jedoch keine Betrügerin. Nach vielen Jahren fand sich die Königin endlich in gesegneten Umständen und brachte schließlich Zwillinge zur Welt. Die Freude des Königs war natürlich groß. Bald schon hatte er mich, seinen unehelichen Sohn, vollkommen vergessen. Die Königin nutzte die Gelegenheit, meine Mutter endlich loszuwerden, indem sie sie vom Hof verbannte. Als das König August zu Ohren kam, wollte er sich dem nicht offen widersetzen, da er nicht mit der Königin streiten wollte, doch er bat einen Herzog, der sein Freund war, die königliche Weißnäherin und ihren Sohn in Dienst zu nehmen. Der Herzog entsprach dieser Bitte gern. Der Herzog hatte einen Sohn, der ungefähr in meinem Alter war. Wir wuchsen zusammen auf und wurden enge Freunde, und das blieben wir auch, als wir erwachsen waren und er heiratete und schließlich die Regentschaft über das Herzogtum übernahm. Leider fand unsere Freundschaft ein trauriges Ende: Als wir eines Tages zusammen auf der Jagd waren, scheuchten wir eine Bärenmutter auf, vor deren Tatzen ich ihn nicht retten konnte.