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Junge Orange ließ widerwillig ab. Die Kontrahenten standen auf und betrachteten einander argwöhnisch. Junge Grün, der sich bemühte, nonchalant zu wirken, drehte sich um und ging in den Laden. Nur sein rascher Blick über die Schulter, ob sein Gegner ihm auch nicht folgte, verdarb die Wirkung.

Die Zuschauer folgten Junge Grün entweder in den Laden, um ihre Süßigkeiten nach dem Training zu kaufen, oder scharten sich um Junge Orange und gratulierten ihm. Über ihnen brach der unsichtbare purpurrote Pilz auseinander wie eine Wolkenbank bei starkem Wind. Stücke rissen ab, lösten sich und verschwanden.

Die Straße ist ein Karneval der Energie, dachte Ralph. Der Saft, den die beiden Jungs in den neunzig Sekunden ihres Kampfs abgegeben haben, hätte ausgereicht, Derry eine Woche zu beleuchten, und wenn jemand die Energie hätte anzapfen können, die die Zuschauer erzeugt hatten - die Energie in der Pilzwolke -, hätte man wahrscheinlich den ganzen Staat Maine eine Woche lang beleuchten können. Kannst du dir vorstellen, wie es sein muß, an Silvester zwei Minuten vor Mitternacht auf dem Times Square in die Welt der Auren überzuwechseln?

Er konnte es nicht, und er wollte es nicht. Er vermutete, daß er die Ausläufer einer so gewaltigen und vitalen Kraft gesehen hatte, daß sämtliche seit 1945 gebauten Atomwaffen dagegen etwa so wirkungsvoll wie der Pfropfen eines Kindergewehrs schienen, der in eine leere Konservendose geschossen wurde. Ausreichend Energie, um das Universum zu zerstören… oder ein neues zu schaffen.

Ralph ging nach oben, kippte eine Dose Bohnen in einen Topf und ein Paar Hot Dogs in einen anderen, dann ging er ungeduldig durch die Wohnung, schnippte mit den Fingern und strich sich ab und zu mit ihnen durchs Haar, während er darauf wartete, daß sein improvisiertes Junggessellenmahl warm wurde. Die bodenlose Müdigkeit, die seit Mittsommer wie unsichtbare Bleigewichte an ihm hing, war zumindest vorübergehend vollkommen verschwunden; er fühlte sich von einer manischen, wahnsinnigen Energie erfüllt, randvoll davon. Er vermutete, daß manche Leute deshalb Benzedrin oder Kokain mochten, hatte aber das Gefühl, als wäre dies ein weitaus besserer Rausch, weil er sich nicht verbraucht und mißhandelt fühlen würde, wenn er zu Ende ging, mehr benutzt von der Droge als ihr Benutzer.

Ralph Roberts, der nicht bemerkte, daß das Haar, durch das seine Finger strichen, dichter geworden war und man zum erstenmal seit fünf Jahren schwarze Strähnen darin sehen konnte, tänzelte auf den Ballen durch sein Apartment, summte zuerst und sang dann einen alten Rock-andRoll Song aus den sechziger Jahren: »Hey, pretty bay-bee, you can’t sit down… ya gotta hop-bop hip-hop slip-slop all around…«

Die Bohnen blubberten im einen Topf, die Würstchen im anderen-aber für Ralph sah es aus, als würden sie tanzen, den Bristol Stomp zur alten Melodie der Dovells. Ralph, der immer noch aus vollem Hals sang (»When you hear the hippy with the backbeat, you can’t sit down«), schnitt die Würstchen in die Bohnen, kippte eine halbe Flasche Ketchup hinein, fügte etwas Chilisoße hinzu, rührte alles heftig um und ging zur Tür. Sein Essen trug er im Topf in einer Hand. Er lief so behende wie ein Kind die Treppe hinunter, das sich am ersten Schultag verspätet hat. Er zog eine ausgebeulte alte Weste gehörte McGovern, aber wen interessierte das? - aus dem Schrank in der Diele und ging wieder hinaus auf die Veranda.

Die Auren waren verschwunden, aber das enttäuschte Ralph nicht; im Augenblick interessierte ihn der Duft des Essens mehr. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zum letztenmal so hungrig gewesen war wie in diesem Augenblick. Er saß auf der obersten Stufe, streckte die langen Schenkel und knochigen Knie auf beiden Seiten von sich aus, wodurch er große Ähnlichkeit mit Ichabod Crane bekam, und begann zu essen. An den ersten Bissen verbrannte er sich Lippen und Zunge, aber statt sich abschrecken zu lassen, aß Ralph nur noch schneller, er schlang beinahe.

Als er den halben Topf Bohnen mit Würstchen verzehrt hatte, ließ er den Löffel sinken. Das Tier in seinem Magen hatte sich nicht wieder schlafen gelegt - noch nicht -, aber es war zumindest ein bißchen besänftigt. Ralph rülpste unbefangen und betrachtete die Harris Avenue mit einem Gefühl der Zufriedenheit, wie er es seit Jahren nicht mehr verspürt hatte. Unter den gegenwärtigen Umständen ergab dieses Gefühl überhaupt keinen Sinn, was aber nicht das Geringste daran änderte. Wann hatte er sich zum letztenmal so gut gefühlt? Möglicherweise nicht mehr seit dem Morgen, als er irgendwo zwischen Derry, Maine, und Poughkeepsie, New York, in jener Scheune erwacht war und die sich kreuzenden Lichtstrahlen -scheinbar Tausende - gesehen hatte, die den warmen, angenehm duftenden Unterschlupf durchdrangen, wo er sich befand.

Oder möglicherweise noch nie.

Ja, möglicherweise noch nie.

Er sah Mrs. Perrine die Straße entlangkommen, möglicherweise von A Safe Place, der Kombination aus Suppenküche und Obdachlosenasyl unten beim Kanal. Wieder faszinierte Ralph ihr seltsam gleitender Gang, den sie ohne Hilfe einer Krücke und scheinbar ohne Seitwärtsbewegung ihrer Hüften zustandebrachte. Ihr Haar, das immer noch eher schwarz als grau war, wurde jetzt von dem Haarnetz gehalten - vielleicht wäre gebändigt der zutreffendere Ausdruck gewesen -, das sie an der Essensausgabe trug. Dicke, baumwollfarbene Stützstrümpfe ragten aus ihren makellos weißen Krankenschwesterschuhen… nicht, daß Ralph viel von ihnen oder den Beinen sehen konnte, die sie bedeckten; heute abend trug Mrs. Perrine einen wollenen Herrenmantel, dessen Saum ihr fast bis zu den Knöcheln reichte. Sie schien sich beim Gehen fast ausschließlich auf die Oberschenkel zu verlassen -

Anzeichen eines chronischen Rückenleidens, vermutete Ralph -, und diese Art der Fortbewegung verlieh lone Perrine in Verbindung mit dem Mantel ein fast surrealistisches Aussehen, als sie näherkam. Sie sah wie die schwarze Dame auf dem Schachbrett aus, eine Spielfigur, die entweder von einer unsichtbaren Hand geführt wurde oder sich von ganz alleine bewegte.

Als sie sich der Stelle näherte, wo Ralph saß - er trug immer noch das zerrissene Hemd und aß obendrein seine Mahlzeit direkt aus dem Topf -, schlichen sich die Auren wieder in die Welt. Die Straßenlampen waren schon angegangen, und nun sah Ralph feine lavendelfarbene Bögen über jeder hängen. Außerdem konnte er einen roten Dunst über manchen Dächern erkennen, über anderen einen gelben, und wieder über anderen einen blaß kirschroten. Im Osten, wo die Nacht zu ihrem Sprung über den Himmel ansetzte, scharten sich dunkelgrüne Flecken am Horizont.

In unmittelbarer Nähe aber konnte er sehen, wie Mrs. Perrines Aura um sie herum zum Leben erwachte - das nüchterne Grau, das ihn an eine Kadettenuniform von West Point erinnerte. Einige dunklere Stellen, gleich geisterhaften Knöpfen, schwebten über ihrem Busen (Ralph vermutete, daß tatsächlich ein Busen irgendwo unter dem Mantel verborgen sein mußte). Er war nicht sicher, vermutete aber, daß dies Vorboten einer Krankheit sein konnten.

»Guten Abend, Mrs. Perrine«, sagte er höflich und sah, wie die Worte als Schneeflockenumrisse vor seinen Augen aufstiegen.

Sie betrachtete ihn mit einem raschen, vogelartigen Blick, musterte ihn mit den Augen und schien ihn gleichzeitig mit diesem einzigen Blick abzuschätzen und abzuurteilen. »Wie ich sehe, trägst du immer noch dasselbe Hemd, Roberts«, sagte sie.

Was sie nicht sagte - aber ganz bestimmt dachte, da war Ralph ganz sicher, war: Außerdem sehe ich, daß du da sitzt und Bohnen direkt aus dem Topf ißt wie ein zerlumpter Bettler von der Straße, der es nicht besser gelernt hat… und ich vergesse nicht, was ich sehe, Roberts.

»So ist es«, sagte Ralph. »Ich muß wohl vergessen haben, es zu wechseln.« »Hm«, sagte Mrs. Perrine, und er glaubte, daß sie sich nun Gedanken über seine Unterwäsche machte. Wann haben Sie zum letztenmal daran gedacht, die zu wechseln, Roberts? Mich schüttelt es, wenn ich nur daran denke.

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