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Ralph, es tut mir leid, daß ich Dich heute morgen so vor den Kopf gestoßen habe. Du bist zu mir gekommen, weil Du Hilfe wolltest, und ich hätte Dir fast die Augen ausgekratzt. Ich kann als Entschuldigung nur sagen, daß ich wegen der Sache mit Bob völlig mit den Nerven runter bin. Okay? Ich glaube, ich schulde Dir ein Abendessen… das heißt, wenn du noch mit jemandem wie mir zusammen essen willst.

Faye, bitte, bitte, BITTE hör auf, mich wegen Deinem verfluchten Schachturnier zu nerven. Ich habe Dir versprochen, daß ich spielen werde, und ich halte meine Versprechen.

Lebwohl, grausame Welt

Ralph richtete sich mit einem Gefühl der Dankbarkeit und Erleichterung auf. Wenn sich nur alles, was ihm in letzter Zeit widerfahren war, so leicht aus der Welt schaffen ließe wie das hier!

Er ging nach oben, schüttelte den Teekessel und füllte ihn gerade an der Spüle, als das Telefon läutete. Es war John Leydecker. »Mann, bin ich froh, daß ich Sie endlich erwischt habe«, sagte er. »Ich hatte mir schon langsam Sorgen gemacht, alter Freund.«

»Warum?« fragte Ralph. »Was ist denn los?« »Vielleicht nichts, vielleicht doch etwas. Charlie Pickering ist nun doch auf Kaution freigekommen.« »Sie haben mir gesagt, das würde nicht passieren.« »Ich habe mich geirrt, okay?« sagte Leydecker hörbar gereizt. »Und nicht nur in der Beziehung habe ich mich geirrt. Ich habe Ihnen gesagt, der Richter würde die Kaution wahrscheinlich so bei vierzigtausend Dollar festsetzen, wußte aber nicht, daß Pickering Richter Steadman vorgeführt werden würde, der behauptet, daß er nicht einmal an so etwas wie Irrsinn glaubt. Steadman hat die Kaution auf achtzig Riesen festgesetzt. Pickerings Pflichtverteidiger hat geheult wie ein Hund bei Vollmond, aber das konnte nichts ändern.« Ralph sah nach unten und stellte fest, daß er den Teekessel immer noch in der Hand hielt. Er stellte ihn auf den Tisch. »Und trotzdem ist er auf Kaution raus?«

»Jawoll. Erinnern Sie sich, daß ich Ihnen gesagt habe, Ed würde ihn fallenlassen wie eine heiße Kartoffel?«

»Ja.«

»Nun, das können Sie wieder als Fehlwurf für John Leydecker werten. Ed ist heute vormittag um elf Uhr mit einem Aktenkoffer voll Geld ins Büro der Justizkasse spaziert.«

»Achttausend Dollar?« fragte Ralph.

»Ich sagte Aktenkoffer, nicht Briefumschlag«, antwortete Leydecker. »Nicht acht, sondern achtzig. Im Gerichtsgebäude sind sie immer noch ganz aus dem Häuschen. Verdammt, sie werden noch aus dem Häuschen sein, wenn der Weihnachtsschmuck abgehängt wird.«

Ralph versuchte, sich Ed Deepneau in seinen weiten alten Pullovern und einem Paar zerschlissener Kordjeans vorzustellen-Eds »Verrückter-Wissenschaftler-Kostüm«, hatte Carolyn immer gesagt -, wie er gebündelte Stapel Zwanziger und Fünfziger aus dem Aktenkoffer zog, konnte es aber nicht. »Hatten Sie nicht gesagt, daß zehn Prozent ausreichen, um freizukommen?«

»So ist es, wenn man etwas Wertvolles hinterlegen kann ein Haus oder irgendwas anderes, das einem gehört, zum Beispiel -, das in etwa die Gesamtsumme abdeckt. Offenbar konnte Ed das nicht, aber er hatte etwas Erspartes für schlechte Zeiten unter der Matratze. Oder er hat dem Weihnachtsmann verdammt gut einen geblasen.«

Ralph mußte an den Brief denken, den er von Helen bekommen hatte, als sie gerade eine Woche aus dem Krankenhaus entlassen und nach High Ridge gezogen war. Sie erwähnte, daß sie einen Scheck von Ed bekommen hatte -siebenhundertundfünfzig Dollar. Anscheinend ist er sich seiner Verantwortung bewußt, hatte.sie geschrieben. Ralph fragte sich, ob Helen immer noch so denken würde, wenn sie wüßte, daß Ed mit einer Summe ins Gerichtsgebäude von Derry spaziert war, die ausgereicht hätte, seine Tochter durch die ersten fünfzehn Jahre ihres Lebens zu bringer… damit er einen Wahnsinnigen freibekommen konnte, der gern mit Messern und Molotowcocktails spielte.

»Woher, in Gottes Namen, hat er es?« fragte er Leydecker. »Keine Ahnung.«

»Und er muß es auch nicht sagen?«

»Nee. Wir leben in einem freien Land. Soweit ich weiß, hat er gesagt, er hätte ein paar Aktien zu Geld gemacht.«

Ralph dachte an die alten Zeiten zurück - die guten alten Zeiten, bevor Carolyn krank geworden und gestorben und Ed nur krank geworden war. Er dachte an die gemeinsamen Mahlzeiten, die sie etwa alle zwei Wochen einmal zu viert eingenommen hatten, Pizza zum Mitnehmen bei den Deepneaus oder auch Carols Hühnerterrine in der Küche der Roberts’, und er erinnerte sich, wie Ed einmal versprochen hatte, er würde sie alle zu Prime Ribs ins Red Lion in Bangor einladen, wenn seine Aktien Dividenden abwarfen. Ganz recht, hatte Helen geantwortet und Ed verliebt angesehen. Damals war sie schwanger gewesen, was man ihr gerade erst ansah, und mit dem zu einem Pferdeschwanz nach hinten gebundenen Haar und dem Umstandskleid, das immer noch Nummern zu groß für sie gewesen war, hatte sie wie vierzehn ausgesehen. Was meinst du, welche zuerst Dividende bringen? Die zweitausend Anteile von United Fußschmerz oder die sechstausend Vereinigte Sauertopfe? Und er hatte sie angeknurrt, ein Knurren, bei dem sie alle lachen mußten, weil Ed Deepneau kein bißchen Gemeinheit in sich hatte; wer Ed länger als vierzehn Tage kannte, der wußte, daß er keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Aber Helen hatte es vielleicht ein bißchen besser gewußt schon damals hatte sie es vielleicht ein bißchen besser gewußt, verliebter Blick hin oder her.

»Ralph?« fragte Leydecker. »Sind Sie noch da?«

»Ed hatte keine Aktien«, sagte Ralph. »Er war Chemiker, um Himmels willen, und sein Vater besaß eine Flaschenfabrik ausgerechnet in Plaster Rock, Pennsylvania. Da war kein Geld zu holen.«

»Nun, irgendwoher hat er es bekommen, und ich müßte lügen, wenn ich sagen würde, daß mir das gefällt.«

»Was meinen Sie, von den Friends of Life?«

»Glaube ich nicht. Zuerst einmal haben wir es da nicht mit reichen Leuten zu tun - die meisten Mitglieder der Friends sind Arbeiter, working class heroes, Helden der Arbeiterklasse. Sie würden geben, was sie können, aber soviel? Nein. Ich nehme an, zusammen hätten sie genügend Grundbesitz aufbringen können, um Pickering rauszuholen, aber das haben sie nicht getan. Und die meisten hätten abgelehnt, selbst wenn Ed gefragt hätte. Ed ist so eine Art persona non grata bei ihnen, und ich könnte mir denken, die wünschen sich, sie hätten nie von Pickering gehört. Dan Dalton hat wieder die Führung der Friends of Life übernommen, was für den überwiegenden Teil eine große Erleichterung ist. Ed und Charlie und zwei andere -ein Mann namens Frank Feiton und eine Frau namens Sandra McKay - scheinen inzwischen weitgehend auf eigene Faust zu handeln. Über Feiton weiß ich nichts, und es existiert keine Akte über ihn, aber die McKay hat einige derselben feinen Etablissements besucht wie Charlie. Und sie ist nicht zu übersehen - blasser Teint, schlimme Akne, so dicke Brillengläser, daß ihre Augen wie pochierte Eier aussehen, und sie bringt rund hundertvierzig Kilo auf die Waage.«

»Ist das ein Witz?«

»Nein. Sie trägt vorzugsweise Stretchhosen aus dem K-Mart und befindet sich normalerweise in Gesellschaft von Schokoriegeln, Schokoplätzchen und Zuckerbonbons. Häufig trägt sie weite TShirts, auf denen BABY FACTORY steht. Behauptet, sie habe fünfzehn Kinder geboren. Aber sie hat nie eins gehabt und kann möglicherweise gar keine bekommen.«

»Warum erzählen Sie mir das alles?«

»Weil ich möchte, daß Sie vor diesen Leuten auf der Hut sind«, sagte Leydecker. Er sagte es geduldig, wie zu einem Kind. »Sie könnten gefährlich sein. Charlie ist es mit Sicherheit, das brauche ich Ihnen nicht zu erzählen, und Charlie ist raus. Woher Ed das Geld bekommen hat, um ihn rauszuholen, ist zweitrangig - er hat es, darauf kommt es an. Es würde mich nicht überraschen, wenn er es wieder bei Ihnen versuchen würde. Er oder Ed, oder einer von den anderen.«

»Was ist mit Helen und Natalie?«

»Die sind bei ihren Freunden - Freunden, die bestens über die Bedrohung von Seiten durchgedrehter Ehemänner Bescheid wissen. Ich habe Mike Hanion informiert, und der wird auch auf sie aufpassen. Die Bibliothek wird von unseren Männern überwacht. Wir glauben nicht, daß Helen momentan in echter Gefahr schwebt - sie lebt in High Ridge -, aber wir tun, was wir können.«

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