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»Ralph, was ist los? Was hast du wirklich vor?«

»Nichts«, sagte er, aber die Narbe in seinem Arm glühte, und das Ticken der Todesuhr war überall, laut und allgegenwärtig. Es sagte ihm, daß er eine Verabredung einhalten mußte. Ein Versprechen.

»O doch, und es geht schon seit zwei oder drei Monaten so, vielleicht länger. Ich bin eine dumme Frau - ich hab gewußt, daß etwas in der Luft lag, hab es aber nicht fertiggebracht, mich ihm direkt zu stellen. Weil ich Angst hatte. Und ich hatte recht, Angst zu haben, oder nicht? Ich hatte recht.«

»Lois —«

Plötzlich kam sie durch das Zimmer auf ihn zu, kam schnell, sprang fast, die alte Rückenverletzung hinderte sie nicht im geringsten, und bevor er sie aufhalten konnte, hatte sie seinen rechten Arm gepackt, streckte ihn und betrachtete ihn gebannt.

Die Narbe leuchtete in einem heftigen, strahlenden Rot.

Ralph hoffte kurz, daß es nur ein Leuchten der Aura war, das sie nicht sehen konnte. Dann sah sie mit runden Augen voller Angst auf. Angst und noch etwas. Ralph fand, daß dieses Andere Wiedererkennen war.

»O mein Gott«, flüsterte sie. »Die Männer im Park. Die mit den komischen Namen… Klothes und Lashes oder so… und einer hat dich geschnitten. O Ralph, o mein Gott, was sollen wir tun?«

»Lois, jetzt reg dich nicht auf -«

»Komm mir nicht mit. Reg dich nicht auf!« kreischte sie ihm ins Gesicht. »Wage es nicht! Wage es JA nicht!«

Beeil dich, flüsterte die innere Stimme. Du hast keine Zeit, hier herumzustehen und dich darüber zu unterhalten; irgendwo hat es schon angefangen, und die Todesuhr, die du hörst, tickt möglicherweise nicht nur für dich.

»Ich muß gehen.« Er drehte sich um und stapfte zur Tür. In seiner Aufregung bemerkte er eine gewisse Sherlock Holmessche Einzelheit dieser Szene nicht: Ein Hund, der hätte bellen müssen - ein Hund, der immer mißbilligend bellte, wenn in diesem Haus Stimmen erhoben wurden -, bellte nicht. Rosalie lag nicht an ihrem Lieblingsplatz neben der Tür… und die Tür selbst war angelehnt.

Aber im Augenblick lag Ralph nichts ferner als Rosalie. Er kam sich vor, als stünde er knietief in Melasse und glaubte, es wäre eine reife Leistung, wenn er nur bis zur Veranda käme, geschweige denn die Straße hinauf zum Red Apple. Sein Herz pochte und raste in der Brust; seine Augen brannten.

»Nein!« schrie Lois. »Nein, Ralph, bitte! Bitte verlaß mich nicht!«

Sie lief hinter ihm her und hielt ihn am Arm fest. Sie hielt noch den Pinsel in der Hand, und die feinen Farbspritzer auf seinem Hemd sahen wie Blut aus. Jetzt weinte sie, und der Ausdruck völligen, allumfassenden Kummers brach ihm fast das Herz. Er wollte sie nicht so verlassen; war nicht sicher, ob er sie so verlassen konnte.

Er drehte sich um und hielt sie an den Unterarmen. »Lois, ich muß gehen.«

»Du hast nicht geschlafen«, stammelte sie. »Ich wußte es, und ich wußte, es bedeutet, daß etwas nicht stimmt, aber das macht nichts, wir gehen fort, wir können gleich aufbrechen, noch in dieser Minute, wir nehmen nur Rosalie und unsere Zahnbürsten und gehen -«

Er drückte ihre Arme, worauf sie verstummte und mit feuchten Augen zu ihm aufsah. Ihre Lippen bebten.

»Lois, hör mir zu. Ich muß es tun.«

»Ich habe Paul verloren, ich kann nicht auch noch dich verlieren!« schluchzte sie. »Ich könnte es nicht ertragen! O Ralph, ich könnte es nicht ertragen!«

Du wirst es können, dachte er. Kurzfristige sind viel zäher, als sie aussehen. Das müssen Sie sein.

Ralph spürte, wie ihm zwei Tränen an den Wangen herabliefen. Er vermutete, daß eher Müdigkeit als Traurigkeit der Grund dafür war. Wenn er ihr begreiflich machen könnte, daß dies alles nichts änderte, nur schwerer machte, was er tun mußte…

Er hielt sie auf Armeslänge von sich. Die Narbe an seinem Arm pochte heftiger denn je, und das Gefühl, daß ihm die Zeit unerbittlich zwischen den Fingern verrann, wurde überwältigend.

»Dann komm zumindest ein Stück mit mir, wenn du willst«, sagte er. »Vielleicht kannst du mir sogar dabei helfen, was ich tun muß. Ich habe mein Leben gehabt, Lois, und es war ein schönes Leben. Aber sie hat noch gar nchts gehabt, und der Teufel soll mich holen, wenn ich sie diesem Dreckskerl überlasse, nur weil er noch eine alte Rechnung mit mir zu begleichen hat.«

»Was für ein Dreckskerl, Ralph? Wovon, um alles in der Welt, redest du?«

»Ich rede von Natalie Deepneau. Sie soll heute morgen sterben, aber das werde ich nicht zulassen.«

»Nat? Ralph, warum sollte jemand Nat etwas antun?«

Sie sah sehr bestürzt aus, ganz unsere Lois… aber lag nicht etwas anderes unter dem arglosen Äußeren? Etwas Überlegtes und Berechnendes? Ralph fand, daß die Antwort ja lautete. Ralph überlegte sich, daß Lois möglicherweise nicht halb so bestürzt war, wie sie tat. Sie hatte Bill McGovern jahrelang mit dieser Nummer getäuscht - ihn auch, jedenfalls manchmal -, und dies war nur eine weitere (und ziemlich brillante) Variation des alten Schwindels.

In Wirklichkeit versuchte sie, ihn hier festzuhalten. Sie liebte Nat von Herzen, aber für Lois gab es keinen Zweifel, wenn sie sich zwischen ihrem Mann und dem kleinen Mädchen am Ende der Straße entscheiden mußte. Für sie hatten weder das Alter noch Fragen der Fairness einen Einfluß auf die Situation. Ralph war ihr Mann; nur das allein zählte für Lois.

»Das funktioniert nicht«, sagte er nicht unfreundlich. Er löste sich von ihr und ging wieder zur Tür. »Ich habe ein Versprechen gegeben, und meine Zeit wird knapp.«

»Dann brich es!« schrie sie, und die Mischung aus Verzweiflung und Wut in ihrer Stimme setzte ihn in Erstaunen. »Ich kann mich kaum noch an die Zeit erinnern, aber ich weiß, wir wurden in Ereignisse verwickelt, die uns fast das Leben gekostet hätten, und zwar aus Gründen, die wir nicht einmal verstehen konnten. Also brich es, Ralph! Besser dein Versprechen als mein Herz!«

»Und was ist mit dem Kind? Was ist mit Helen, wenn wir schon dabei sind? Sie lebt nur für Nat. Verdient Helen nicht etwas Besseres von mir als ein gebrochenes Versprechen?«

»Mir ist gleich, was sie verdient! Was sie alle verdienen!« schrie sie, doch dann veränderte sich ihr Gesichtsausdruck. »Nein, das stimmt nicht. Aber was ist mit uns, Ralph? Zählen wir nicht?« Ihre Augen, die dunklen und länglichen spanischen Augen, flehten ihn an. Wenn er zu lange in sie hineinsah, würde es ihm allzu leichtfallen, die Sache aufzugeben, daher sah er schnell weg.

»Ich werde es tun, Liebling. Nat wird bekommen, was du und ich schon gehabt haben - siebzig Jahre voller Tage und Nächte.«

Sie sah ihn hilflos an, unternahm aber keinen Versuch mehr, ihn aufzuhalten. Statt dessen fing sie an zu weinen. »Dummer alter Mann!« flüsterte sie. »Dummer, störrischer alter Mann!«

»Ja, kann sein«, sagte er und hob ihr Kinn. »Aber ich bin ein dummer, störrischer alter Mann, der zu seinem Wort steht. Komm mit mir. Das würde mir gefallen. Aber… wenn es passiert… mach die Augen zu. Sieh nicht hin.«

»Gut, Ralph.« Sie konnte ihre eigene Stimme kaum hören, und ihre Haut war so kalt wie Eis. Ihre Aura war fast völlig rot geworden. »Was ist es? Was wird ihr zustoßen?« »Sie wird von einer grünen Ford-Limousine überfahren werden. Wenn ich nicht ihren Platz einnehme, wird sie über die gesamte Harris Avenue verspritzt werden… und Helen wird sehen, wie es passiert.«

Als sie den Hügel hinauf zum Red Apple gingen (anfangs ließ Lois sich zurückfallen und trabte wieder heran, ließ es aber sein, als sie merkte, daß sie ihn mit so einem einfachen Trick nicht aufhalten konnte), erzählte ihr Ralph noch das Wenige, das er wußte. Sie konnte sich noch vage erinnern, wie sie unter dem vom Blitz gefällten Baum draußen an der Extension gewesen waren - eine Erinnerung, die sie, jedenfalls bis heute morgen, als Erinnerung an einen Traum betrachtet hatte -, aber natürlich war sie bei Ralphs letzter Konfrontation mit Atropos nicht dabeigewesen. Jetzt erzählte ihr Ralph davon - von dem zufälligen Tod, den Atropos Natalie erleiden lassen wollte, wenn sich Ralph seinen Plänen weiter in den Weg stellte. Er erzählte ihr, wie er Klotho und Lachesis das Versprechen abgerungen hatte, daß Atropos in diesem Fall überstimmt und Nat gerettet würde.

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