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[Das stimmt nicht. Du denkst es vielleicht, aber es stimmt nicht. Du würdet mich nie und nimmer ohne eine meiner Verkleidungen sehen wollen. Glaub mir, Ralph, wirklich nicht.]

Er stellte mit wachsendem Entsetzen fest, daß sich das MutterDing in einen gewaltigen weiblichen Katzenwels verwandelt hatte, einen hungrigen Gründler mit Stummelzähnen zwischen den wulstigen Lippen und Barthaaren, die fast’ zum Kragen der Bluse reichten, das es noch trug. Die Kiemen an seinem Hals öffneten und schlössen sich wie Rasiermesser und gaben den Blick auf entzündetes rotes Fleisch frei. Die Augen waren rund und purpurn geworden, und die Höhlen glitten vor Ralphs Augen auseinander. Das ging so lange, bis die Augen sich seitlich am schuppigen Gesicht der Kreatur wölbten, und nicht mehr vorn.

[Beweg keinen Muskel, Ralph. Du wirst wahrscheinlich bei der Explosion sterben, auf welcher Ebene du dich auch befinden magst - die Druckwellen breiten sich hier wie in jedem Gebäude aus -, aber dieser Tod wird immer noch wesentlich besser sein als der Tod durch mich.]

Der Katzenwels riß das Maul auf. Die Zähne umgaben ein blutrotes Maul, das voll von seltsamen Eingeweiden und Geschwülsten zu sein schien. Es schien ihn auszulachen.

[»Wer bist du? Bist du der Scharlachrote König?]

[Das ist Eds Name für mich - wir sollten einen eigenen haben, findest du nicht? Mal sehen. Wenn du nicht möchtest daß ich Mom Roberts bin, warum nennst du mich dann nicht Kingfish? Du erinnerst dich doch noch an Kingfish aus dem Radio, oder?]

Ja, natürlich erinnerte er sich… aber der echte Kingfish war nie in Amos ‘n Andy gewesen, und er war eigentlich auch kein Kingfish gewesen. Der echte Kingfish war ein Queenfish gewesen, und der hatte in den Barrens gelebt.

An einem Sommertag des Jahres, in dem Ralph Roberts sieben geworden war, hatte er beim Angeln mit seinem Bruder John einen riesigen Katzenwels aus dem Kenduskeag gezogen - das war in den zwanziger Jahren gewesen, als man noch essen konnte, was man in den Barrens fing. Ralph hatte seinen älteren Bruder gebeten, das konvulsivisch zuckende Ding für ihn vom Haken zu nehmen und in den Eimer mit frischem Wasser zu werfen, den sie neben sich am Ufer stehen hatten. Johnny hatte sich geweigert und unbekümmert zitiert, was er den Anglerkodex nannte: Gute Angler befestigen ihre Köder selbst, graben ihre Würmer selbst aus und lösen ihren Fang selbst vom Haken. Erst später war Ralph klar geworden, daß Johnny vielleicht nur versucht hatte, seine eigene Angst vor der riesigen und irgendwie außerirdisch wirkenden Kreatur zu verbergen, die sein kleiner Bruder an dem Tag aus dem trüben, pißwarmen Wasser des Kenduskeag gezogen hatte.

Ralph hatte es schließlich fertiggebracht, den pulsierenden Körper des Katzenwelses anzufassen, der glitschig, schuppig und stachelig zugleich zu sein schien. Dabei hatte Johnny, um ihm Angst zu machen, zu ihm gesagt, er solle sich vor den Barthaarenhüten. Sie sind giftig. Bobby Therriault hat mir gesagt, wenn man sich an einem sticht, kann man gelähmt werden. Den Rest seines Lebens im Rollstuhl verbringen. Also sei vorsichtig, Ralphie.

Ralph hatte das Tier hierhin und dorthin gedreht und versucht, den Haken aus den dunklen, nassen Innereien zu lösen, ohne die Hände auch nur in die Nähe der Barthaare zu bringen (er glaubte Johnny das mit dem Gift nicht, aber gleichzeitig glaubte er auch jedes Wort), und dabei war er sich überdeutlich der Kiemen, der Augen und des Fischgeruchs bewußt gewesen, der ihm mit jedem Atemzug tiefer in die Lunge einzudringen schien.

Schließlich hatte er Knorpel im Inneren des Katzenwelses reißen hören und gespürt, wie sich der Haken löste. Frische Blutströme liefen aus dem schnappenden Maul des sterbenden Tiers. Ralph stieß einen leisen Seufzer der Erleichterung aus -zu früh, wie sich herausstellte. Als sich der Haken löste, schlug der Katzenwels gewaltig mit dem Schwanz aus. Die Hand, mit der Ralph ihn befreit hatte, rutschte ab, und plötzlich schloß sich das blutende Maul des Katzenwels um die ersten beiden Finger von Ralphs Hand. Wieviel Schmerz hatte er gespürt? Viel? Wenig? Vielleicht gar keinen? Ralph konnte sich nicht erinnern. Aber an Johnnys aufrichtigen, ungespielten Schreckensschrei und an seine eigene Überzeugung, daß der Katzenwels sich an ihm rächen würde, weil er ihn tötete, indem er ihm die beiden ersten Finger der rechten Hand abbiß, daran konnte er sich noch genau erinnern.

Er erinnerte sich, wie er selbst geschrien und die Hand geschüttelt und Johnny angefleht hatte, ihm zu helfen, aber Johnny hatte sich mit blassem Gesicht und vor Ekel verzerrtem Mund abgewendet. Ralph hatte die Hand wie verrückt geschüttelt, in weiten Bögen, aber der Katzenwels hatte sich festgeklammert wie der leibhaftige Tod, die Barthaare (giftige Barthaare, die mich für den Rest meines Lebens an den Rollstuhlfesseln) schlugen und flatterten gegen Ralphs Handgelenke, und die schwarzen Augen des Fischs glotzten ihn an.

Schließlich hatte er ihn gegen einen Baum in der Nähe geschlagen und ihm das Rückgrat gebrochen. Der Fisch war immer noch zuckend ins Gras gefallen, und Ralph war mit dem Fuß daraufgetreten, was den ultimativen Horror nach sich zog. Ein Schwall Gedärme quoll aus dem Maul des Fischs, und aus der Stelle, die Ralphs Absatz aufgerissen hatte, ergoß sich eine schleimige Flut blutiger Eier. Da war ihm klar geworden, daß der Kingfish in Wirklichkeit ein Queenfish und nur einen oder zwei Tage vom Laichen entfernt gewesen war.

Ralph hatte von der grausigen Masse auf seine eigene blutige, schuppenübersäte Hand gesehen und geheult wie eine Todesfee. Als Johnny seine Hand berührte, um ihn zu beruhigen, war Ralph ausgerissen. Er hatte erst aufgehört zu laufen, als er zu Hause angekommen war, und er hatte sich den Rest des Tages geweigert, sein Zimmer zu verlassen. Es hatte fast ein Jahr gedauert, bis er wieder Fisch gegessen hatte, und mit Katzenwelsen hatte er nie wieder etwas zu tun gehabt. Das heißt, bis heute.

[»Ralph!«] Das war Lois’ Stimme… aber aus der Ferne. Aus weiter Ferne!

[»Du mußt sofort etwas unternehmen! Laß dich nicht von ihm aufhalten!«]

Jetzt sah Ralph, daß das, was er für eine Strickdecke auf dem Schoß seiner Mutter gehalten hatte, in Wirklichkeit eine glänzende Matte blutiger Eier auf dem Schoß des Scharlachroten Königs war. Er beugte sich über diese pulsierende Decke zu ihm, und seine wulstigen Lippen bebten in gespielter Fürsorge.

[Stimmt was nicht, Ralphie? Wo tut es weh? Sag es Mutter.]

[»Du bist nicht meine Mutter.«]

[Nein - ich bin der Queenfish! Ich bin gut drauf und stolz darauf. Ich hob den Swing, und ich hob das Ding! Tatsächlich kann ich sein, was ich will. Du weißt es vielleicht nicht, aber Verwandlungen haben eine altehrwürdige Tradition in Derry.] [»Kennst du den grünen Mann, den Lois gesehen hat?«]

[Selbstverständlich! Ich kenne jeden in der Nachbarschaft!]

Aber Ralph bemerkte einen Ausdruck flüchtiger Verwirrung in dem Schuppengesicht.

Die Hitze in seinem Unterarm nahm weiter zu, und da kam Ralph plötzlich eine Erkenntnis: Wenn Lois jetzt hier wäre, würde sie ihn kaum sehen können. Der Queenfish verströmte ein pulsierendes, immer heller werdendes Leuchten, das ihn allmählich einhüllte. Das Leuchten war rot statt schwarz, aber es war nichtsdestotrotz ein Leichentuch, und jetzt wußte er, wie es war, wenn man sich darin befand, in einem aus seinen schlimmsten Ängsten und traumatischsten Erlebnissen geflochtenen Netz. Es gab keinen Weg hinaus und keine Möglichkeit, es durchzuschneiden, so wie er das Leichentuch um Eds Trauring herum durchgeschnitten hatte.

Wenn ich entkommen will, dachte Ralph, muß ich es tun, indem ich so schnell und energisch vorwärts laufe, daß ich auf der anderen Seite durchbrechen kann.

Den Ohrring hielt er immer noch in der Hand. Jetzt drehte er ihn so, daß die ungeschützte Spitze auf der Rückseite zwischen den beiden Fingern herausragte, die der Katzenwels vor dreiundsechzig Jahren hatte fressen wollen. Dann sprach er ein kurzes Gebet, aber nicht zu Gott, sondern zu Lois’ grünem Mann.

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