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Die beiden betrachteten ihre Füße, dann langsam, widerwillig wieder Ralph. Lachesis antwortete.

[Ja, Ralph. Wir haben Sie zu uns gelockt, obwohl wir wußten, daß es Ihr Ka verändern würde. Das ist ein Unglück, aber die Situation erforderte es.]

Jetzt wird Lois nach ihrem eigenen Status fragen, dachte Ralph. Jetzt muß sie fragen.

Aber sie fragte nicht. Sie sah die beiden kleinen kahlköpfigen Ärzte nur mit einem undeutbaren Ausdruck an, der so gar nicht zu ihrer gewohnten Unsere-Lois-Miene passen wollte: aufgerissene Augen des Interesses, aufgerissene Augen der Verwunderung. Ralph fragte sich wieder, wieviel sie wußte oder vermutete, und staunte erneut darüber, daß er nicht die geringste Ahnung hatte… doch dann wurden diese Spekulationen von einer neuerlichen Woge des Zorns verschluckt.

[»Ihr Jungs… Mann, oh Mann, ihr Jungs…«]

Er führte es nicht weiter aus, aber wenn Lois nicht neben ihm gestanden hätte, hätte er es vielleicht getan: Ihr Jungs habt eine ganze Menge mehr getan, als uns nur um unseren Schlaf zu bringen, oder nicht? Ich weiß nicht, wie es bei Lois ist, aber ich hatte eine gemütliche kleine Nische im Plan… was bedeutet, daß ihr mich absichtlich zu einer Ausnahme von der Regel gemacht habt, deren Einhaltung ihr euer ganzes Leben widmet. In gewisser Weise bin ich ebenso leer wie der Bursche, den wir finden sollen. Wie hat Klotho es ausgedrückt? »Alles ist offen.« Wie verdammt wahr das ist.

Lois: [»Sie haben davon gesprochen, daß wir unsere Macht einsetzen sollten. Welche Macht?«]

Lachesis drehte sich zu ihr um und war offenbar entzückt über den Themenwechsel. Er preßte die Handflächen aufeinander und breitete die Hände dann zu einer eigentümlich orientalischen Geste aus. Zwei rasch aufeinanderfolgende Bilder erschienen dazwischen: Ralphs Hand, aus der ein Strahl kalten blauen Feuers schoß, als er mit ihr wie bei einem Karateschlag durch die Luft fuhr, und Lois’ Zeigefinger, der blaugraue Kugeln aus Licht hervorbrachte, die wie radioaktive Hustendrops aussahen.

Ralph: [»Ja, schon gut, wir besitzen etwas, aber es ist nicht zuverlässig. Es ist mehr wie…«]

Er konzentrierte sich und erzeugte selbst ein Bild: Hände, die die Rückseite eines Radios öffneten und zwei mit blaugrauem Belag verkrustete Batterien herausholten. Klotho und Lachesis, die nicht verstanden, sahen ihn stirnrunzelnd an.

Lois: [»Er versucht zu sagen, daß wir das nicht immer können, und wenn, dann können wir es nicht lange. Wißt ihr, unsere Batterien sind schnell leer.«]

Mit amüsiertem Unglauben gemischtes Verständnis breitete sich auf ihren Gesichtern aus.

Ralph: [»Was ist daran so verdammt komisch?«]

Klotho: [Nichts… alles. Ihr habt keine Vorstellung, wie seltsam ihr beide uns vorkommt - eben noch unglaublich weise und subtil, und im nächsten Augenblick unglaublich naiv. Eure Batterien, wie ihr euch ausdrückt, müssen niemals leer werden, denn ihr steht neben einem grenzenlosen Vorrat an Energie. Da ihr beide schon davon getrunken habt, sind wir davon ausgegangen, daß ihr das eigentlich wissen müßtet.]

Ralph: [»Wovon, um alles in der Welt, reden Sie?«]

Lachesis führte erneut die seltsam orientalische Geste der ausgebreiteten Arme aus. Diesmal sah Ralph Mrs. Perrine, die in ihrer Aura von der Farbe einer Uniform von West Point steif aufrecht ging. Sah einen Strahl grauen Leuchtens, dünn und gerade wie der Stachel eines Stachelschweins, aus dieser Aura herausragen.

Das Bild wurde überblendet mit dem einer mageren Frau in einer schmutzigbraunen Aura. Sie sah zu einem Autofenster hinaus. Eine Stimme - die von Lois - sagte: Oh, Mina, ist das nicht ein entzückendes kleines Häuschen? Einen Augenblick später wurde leise eingeatmet, worauf ein dünner Strahl im Nacken der Frau aus ihrer Aura schoß.

Dem folgte ein drittes Bild, kurz aber deutlich: Ralph, wie er unter der Scheibe der Krankenhausinformation durchgriff und die Hand der Frau mit der orangefarbenen Aura packte… nur war diese Aura um den linken Arm herum plötzlich nicht mehr orange. Plötzlich hatte sie die verblaßte Türkisfarbe, die er mittlerweile als Ralph-Roberts-Blau betrachtete.

Das Bild verblaßte. Lachesis und Klotho sahen Ralph und Lois an; diese erwiderten den Blick schockiert.

Lois: [»O nein! Das können wir nicht tun! Es ist wie -«]

Bild: Zwei Männer in gestreifter Gefängniskleidung mit schwarzen Augenmasken, die auf Zehenspitzen aus einem Banktresor flohen und prallvolle Säcke mit dem Symbol $ darauf hinaustrugen.

Ralph: [»Nein, schlimmer. Es ist wie -«]

Bild: Eine Fledermaus flog durch ein offenes Kellerfenster herein, kreiste zweimal in einem silbernen Schacht aus Mondlicht und verwandelte sich dann in Ralph Lugosi im Cape und einem altmodischen Frack. Er näherte sich einer schlafenden Frau -keiner jungen, rosigen Jungfrau, sondern der alten Mrs. Perrine in einem züchtigen Flanellnachthemd - und beugte sich über sie, um ihre Aura auszusaugen.

Als Ralph wieder zu Klotho und Lachesis sah, schüttelten beide vehement die Köpfe.

Lachesis: [Nein! Nein, nein, nein! Sie könnten gar nicht falscher liegen! Haben Sie sich noch nicht gefragt, warum Sie Kurzfristige sind, deren Lebenspanne nach Jahrzehnten und nicht nach Jahrhunderten gemessen wird l Eure Lebensspanne ist kurz, weil ihr wie Freudenfeuer brennt! Wenn ihr Energie von anderen Kurzfristigen bezieht, ist das wie -]

Bild: Ein Kind am Strand, ein hübsches kleines Mädchen mit goldenen Ohrringen, die auf den Schultern anstießen, lief am Strand entlang, wo die Wellen brachen. In einer Hand trug sie einen roten Plastikeimer. Sie kniete hin und füllte ihn aus dem riesigen Atlantik.

Klotho: [Ihr seid wie dieses Kind, Ralph und Lois - die anderen Kurzfristigen sind wie das Meer. Habt ihr jetzt verstanden?]

Ralph: [»Verfügt die menschliche Rasse wirklich über soviel von dieser Aura-Energie?«]

Lachesis: [Ihr versteht immer noch nicht. Soviel gibt es -]

Lois unterbrach ihn. Ihre Stimme bebte, aber Ralph vermochte nicht zu sagen, ob aus Angst oder Ekstase.

[»Soviel gibt es in jedem von uns, Ralph. Soviel existiert in jedem menschlichen Wesen auf der Welt!«]

Ralph pfiff leise durch die Zähne und sah von Lachesis zu Klotho. Sie nickten zustimmend.

[»Sie wollen damit sagen, wir können diese Energie bei jedem aufstocken, der gerade zur Verfügung steht? Daß den Menschen, von denen wir sie nehmen, kein Schaden entsteht?«]

Klotho: [Ja. Ihr könntet ihnen ebensowenig schaden, wie ihr den Atlantik mit dem Plastikeimer eines Kindes leerschöpfen könntet.]

Ralph hoffte, daß das stimmte, denn er vermutete, daß er und Lois schon seit einer ganzen Weile Energie aus den Auren ihrer Mitmenschen borgten - das war die einzige Erklärung für alle Komplimente, die er bekam. Immer wieder versicherten ihm Leute, daß er großartig aussähe. Mutmaßten die Leute, daß er seine Schlaflosigkeit überwunden haben mußte, mußte, weil er so ausgeruht und gesund aussah. Weil er jünger aussah.

Verdammt, dachte er, ich bin jünger.

Der Mond war wieder untergegangen, und Ralph stellte erschrocken fest, daß die Sonne bald am Freitagmorgen aufgehen würde. Es wurde höchste Zeit, daß sie sich wieder dem Hauptthema ihrer Diskussion zuwandten.

[»Belassen wir es dabei, Leute. Warum haben Sie sich all diese Mühe gemacht? Was sollen wir eigentlich aufhalten?«]

Aber bevor jemand antworten konnte, überkam ihn eine blitzartige Einsicht, die so stark und grell war, daß er sie unmöglich in Frage stellen oder leugnen konnte.

[»Es geht um Susan Day, richtig? Er will Susan Day umbringen. Ein Attentat auf sie verüben.«]

Klotho:[Ja,aber-]

Lachesis: [- aber darum geht es nicht -]

Ralph: [»Kommt schon, Jungs -findet ihr nicht auch, daß es Zeit wird, den Rest der Karten auf den Tisch zu legen?«]

Lachesis: [Ja, Ralph, es wird Zeit.]

Sie hatten sich wenig oder gar nicht berührt, seit sie den Kreis gebildet hatten und durch die Etagen des Krankenhauses zum Dach aufgestiegen waren, aber nun legte Lachesis einen federleichten Arm um Ralphs Schultern, und Klotho nahm Lois am Arm, wie ein Gentleman vergangener Zeiten die Dame seines Herzens auf die Tanzfläche geführt haben mochte.

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