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Lachesis: [- und sie finden nur statt, wenn die Situation, in die er sich einmischen will, eine äußerst prekäre ist, ein Gleichgewicht von vielen ernsten Belangen. Dies ist eine dieser Situationen. Atropos hat einen Lebensfaden durchgeschnitten, den er besser in Ruhe gelassen hätte. Das wird zu Problemen auf allen Ebenen führen, ganz zu schweigen von einem gravierenden Ungleichgewicht zwischen dem Zufall und dem Plan, wenn de Situation nicht bereinigt wird. Wir können nicht selbst erledigen, was getan werden muß; die Situation übersteigt unsere bescheidenen Fähigkeiten bei weitem. Wir können nicht mehr deutlich sehen, geschweige denn handeln. Doch in diesem Fall spielt unser Unvermögen zu sehen kaum eine Rolle, denn letzten Endes können sich nur Kurzfristige dem Willen von Atropos widersetzen. Darum seid ihr beiden hier.]

Ralph: [»Wollen Sie damit sagen, daß Atropos die Schnur von jemandem durchgeschnitten hat, der eines natürlichen Todes sterben sollte… oder eines planmäßigen Todes?«]

Klotho: [Nicht exakt. Manche Leben - sehr wenige - unterliegen ‘keinem klaren Muster. Wenn Atropos so ein Leben beeinflußt, entstehen fast immer Schwierigkeiten. »Alles ist offen«, wie man bei euch zu sagen pflegt. Solche unbestimmten Leben sind wie -]

Klotho breitete die Arme aus, worauf ein Bild - wieder Spielkarten - zwischen ihnen aufblitzte. Eine Reihe von sieben Karten, die rasch, eine nach der anderen, von einer unsichtbaren Hand umgedreht wurden. Ein As; eine Zwei; ein Joker; eine Drei; eine Sieben; eine Dame. Die letzte Karte, die die unsichtbare Hand umdrehte, war leer.

Klotho: [Hilft dieses Bild weiter?]

Ralph runzelte die Stirn. Er wußte nicht, ob es weiterhalf, irgendwo da draußen existierte ein Mensch, der weder eine normale Karte noch ein Joker im Spiel war. Ein völlig unbeschriebenes Blatt, das sich beide Seiten schnappen konnten. Atropos hatte den metaphysischen Luftschlauch dieses Burschen durchgeschnitten, und jetzt hatte jemand -oder etwas - eine Auszeit beantragt.

Lois: [»Sie sprechen von Ed, richtig?«]

Ralph wirbelte herum und sah sie durchdringend an, aber sie betrachtete Lachesis.

[»Ed Deepneau ist die leere Karte.«]

Lachesis nickte.

[»Woher weißt du das, Lois?«]

[»Wer sollte es sonst sein?«]

Sie lächelte ihm nicht direkt zu, aber Ralph spürte die Entsprechung eines Lächelns. Er drehte sich wieder zu Klotho und Lachesis um.

[»Okay, allmählich zeichnet sich immerhin etwas ab. Und wer hat bei dieser Sache die Notbremse gezogen? Ich glaube nicht, daß Sie beide es gewesen sind - ich habe eine Ahnung, als wären Sie, zumindest in dieser Angelegenheit, nicht mehr als Handlanger.«]

Sie streckten einen Moment die Köpfe zusammen und murmelten, aber Ralph sah einen schwachen Ockerfarbton wie einen Saum an der Stelle erscheinen, wo ihre Auren sich berührten, und wußte, daß er recht hatte. Schließlich drehten die beiden sich wieder zu ihm und Lois um.

Lachesis: [Ja, das ist im wesentlichen richtig. Sie haben eine Art, alles ins rechte Licht zu rücken, Ralph. So eine Unterhaltung haben wir seit tausend Jahren nicht mehr geführt -]

Klotho: [Wenn überhaupt je.]

Ralph: [»Ihr müßt nur die Wahrheit sagen, Jungs.«]

Lachesis, flehentlich wie ein Kind: [Das haben wir!]

Ralph: [»Die ganze Wahrheit.«]

Lachesis: [Nun gut, die ganze Wahrheit. Ja, Atropos hat Ed Deepneaus Schnur durchgeschnitten. Das wissen wir nicht, weil wir es gesehen haben - wie schon gesagt, ist unser Sehvermögen nicht mehr besonders klar -, sondern weil es die einzig logische Schlußfolgerung ist. Deepneau ist ein unbeschriebenes Blatt, er gehört weder dem Plan noch dem Zufall; das wissen wir, und seine Lebensschnur muß von ungeheurer Bedeutung gewesen sein, daß so ein Aufhebens gemacht wird. Allein die Tatsache, daß er so lange weiterlebt, obwohl seine Schnur durchgeschnitten wurde, deutet auf seine Macht und seine Bedeutung hin. Als Atropos seine Schnur durchgeschnitten hat, hat er eine schreckliche Kette von Ereignissen ausgelöst.]

Lois erschauerte und stellte sich neben Ralph.

Lachesis: [Ihr habt uns Handlanger genannt. Das ist zutreffender, als euch bewußt ist. In diesem Fall sind wir nichts weiter als Boten. Unsere Aufgabe besteht darin, Ihnen und Lois klarzumachen, was geschehen ist und was von Ihnen erwartet wird, und diese Aufgabe haben wir fast erfüllt. Und wer »die Notbremse gezogen hat«, diese Frage können wir nicht beantworten, weil wir es selbst nicht wissen.]

[»Ich glaube Ihnen nicht.«]

Aber er hörte die fehlende Überzeugung in seiner eigenen Stimme (sofern es eine Stimme war).

Klotho: [Seien Sie nicht albern - selbstverständlich glauben Sie es! Würden Sie damit rechnen, daß die Direktoren eines riesigen Automobilkonzerns einen Fließbandarbeiter in die Chefetage einladen, um ihm die Hintergründe der Firmenpolitik zu erläutern? Oder um ihm detailliert zu erklären, warum ein Werk geschlossen wurde und das andere weiterproduzieren darf?]

Lachesis: [Wir stehen ein wenig höher als die Männer, die in Autofabriken am Fließband stehen, aber wir sind trotzdem noch das, was Sie vielleicht als »kleine Leute« bezeichnen würden, Ralph nicht mehr und nicht weniger.]

Klotho: [Geben Sie sich damit zufrieden: Über der Ebene kurzfristiger Existenzen und der langfristiger, auf der Lachesis, Atropos und ich existieren, gibt es noch andere. Diese werden von Wesen bewohnt, die wir Immerwährende nennen; sie existieren entweder ewig oder zumindest so lange, daß kaum ein Unterschied mehr besteht. Kurzfristige und Langfristige leben in überlappenden Sphären der Existenz - auf verbundenen Etagen desselben Gebäudes, wenn Sie so wollen -, die vom Plan und vom Zufall beherrscht werden. Über diesen Etagen, für uns unerreichbar, aber nichtsdestotrotz ebenso Bestandteil desselben Turms der Existenz, leben andere Wesen. Manche sind ehrfurchtgebietend und wunderbar, andere so böse, daß nicht einmal wir es begreifen können, geschweige denn ihr. Diese Wesen könnte man den Höheren Plan und den Höheren Zufäll nennen… möglicherweise gibt es auch jenseits einer bestimmten Ebene keinen Zufall mehr; wir vermuten es, aber mit Sicherheit sagen können wir es nicht. Wir wissen, es ist etwas von einer dieser höheren Ebenen, das Interesse an Ed gefunden hat, und daß etwas anderes da oben einen Gegenzug unternommen hat. Dieser Gegenzug seid ihr, Ralph und Lois.]

Lois warf Ralph einen bestürzten Blick zu, den er kaum bemerkte. Im Augenblick nahm er die Vorstellung, daß etwas sie herumschob wie Schachfiguren bei Faye Chapins heißgeliebtem Startbahn Drei Classic - eine Vorstellung, die ihn unter normalen Umständen zur Weißglut gebracht hätte - kaum zur Kenntnis. Er mußte an den Abend denken, als Ed ihn angerufen hatte. Du schwimmst in tiefem Wasser, hatte er gesagt, und es kreisen Dinge in der Strömung, die du dir nicht einmal vorstellen kannst.

Mit anderen Worten, Wesenheiten.

So böse Wesen, daß man sie nicht einmal mehr begreifen konnte, laut Mr. K., und Mr. K. war ein Gentleman, der hauptberuflich den Tod brachte.

Sie haben dich noch nicht bemerkt, hatte Ed an jenem Abend zu ihm gesagt, aber wenn du dich weiter mit mir anlegst, werden sie es. Und das möchtest du sicher nicht. Glaub mir.

Lois: [»Wie haben Sie uns überhaupt auf diese Stufe gebracht? Durch die Schlaflosigkeit, richtig?«]

Lachesis, vorsichtig: [Im wesentlichen ja. Wir sind imstande, gewisse geringfügige Veränderungen in den Auren der Kurzfristigen vorzunehmen. Diese Veränderung bewirkte eine besondere Form der Schlaflosigkeit, die eure Art zu träumen und eure Wahrnehmung der Welt im Wachsein veränderte. Auren von Kurzfristigen zu manipulieren, ist eine komplexe, beängstigende Arbeit. Wahnsinn ist immer eine mögliche Gefahr.]

Klotho: [Manchmal war euch vielleicht zumute, als würdet ihr verrückt, aber diese Gefahr bestand nicht einmal annähernd. Ihr seid beide viel zäher, als ihr euch selbst eingestehen wollt.]

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