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[»Diese Leute müssen vielleicht länger warten, als sie glauben.«]

Lois nickte, dann deutete sie auf die grüngoldenen Fußspuren

- die Spuren des weißen Mannes. Sie führten an Zimmer 213 vorbei, sah Ralph, bogen aber ins nächste Zimmer ab - 215, das von Jimmy V.

Er und Lois gingen gemeinsam dorthin und sahen hinein. Jimmy V. hatte drei Besucher, aber derjenige, der neben dem Bett saß, hielt sich für den einzigen. Das war Faye Chapin, der müßig den Stapel Grußkarten auf dem Nachttisch von Jimmy durchblätterte. Die beiden anderen waren die kahlköpfigen Ärzte, die Ralph zum erstenmal auf der Veranda von May Lochers Haus gesehen hatte. Sie standen in ihren weißen Kitteln ernst am Fußende von Jimmys Bett, und jetzt, aus der Nähe, konnte Ralph erkennen, daß die glatten, fast identischen Gesichter eine ganze Welt von Charakter ausdrückten; man konnte es nur nicht durch ein Fernglas erkennen - oder vielleicht auch erst, wenn man ein paar Sprossen auf der Leiter der Wahrnehmung hinaufgeklettert war. Am deutlichsten sah man es in den Augen; sie waren dunkel, ohne Pupillen und von einem tiefen goldenen Funkeln erfüllt. Intelligenz und ein helles Bewußtsein spiegelten sich darin. Ihre Auren leuchteten und wallten um sie herum wie die Gewänder von Kaisern…

… oder vielleicht von Zenturionen auf Staatsbesuch.

Sie sahen zu Ralph und Lois, die händchenhaltend unter der Tür standen wie Kinder, die sich in einem Märchenwald verirrt haben, und lächelten ihnen zu.

[Hallo, Frau.]

Das war Doc Nr. 1. Er hielt die Schere in der rechten Hand. Die Scherenblätter waren sehr lang, die Spitzen sahen ausgesprochen scharf aus. Doc Nr. 2 kam einen Schritt auf sie zu und führte einen komischen Knicks aus.

[Hallo, Mann. Wir haben auf euch gewartet.]

Ralph spürte, wie Lois seine Hand fester packte und wieder losließ, als sie entschied, daß keine unmittelbare Gefahr drohte. Sie machte einen kurzen Schritt nach vorne und sah von Doc Nr. 1 zu Doc Nr. 2 und wieder zu Doc Nr. 1.

[»Wer seid ihr?«]

Doc Nr. 1 verschränkte die Arme vor der schmalen Brust. Die langen Scherenblätter nahmen die gesamte Länge des weißgekleideten Unterarms ein.

[Wir haben keine Namen, so wie die Kurzfristigen - aber du kannst uns nach den Parzen in der Geschichte nennen, die dir dieser Mann bereits erzählt hat. Daß es sich eigentlich um Frauen handelte, hat keine Bedeutung für uns, da wir Geschöpfe ohne sexuelle Prägung sind. Ich werde Klotho sein, obwohl ich keinen Faden spinne, und mein Kollege und alter Freund wird Lachesis sein, obwohl er keine Stäbchen schüttelt und nie die Münzen geworfen hat. Kommt herein, alle beide -bitte!]

Sie traten ein und blieben argwöhnisch zwischen dem Besucherstuhl und dem Bett stehen. Ralph glaubte nicht, daß ihnen die Docs etwas zuleide tun wollten -jedenfalls vorläufig nicht -, aber er wollte ihnen trotzdem nicht zu nahe kommen. Ihre Auren, die im Vergleich zu denen Normalsterblicher so strahlend und atemberaubend waren, schüchterten ihn ein, und er konnte an Lois’ großen Augen und dem halboffenen Mund sehen, daß sie dasselbe empfand. Sie spürte, wie er sie ansah, drehte sich zu ihm um und versuchte zu lächeln. Meine Lois, dachte Ralph. Er legte ihr einen Arm um die Schultern und drückte sie kurz.

Lachesis: [Wir haben euch unsere Namen genannt -jedenfalls Namen, die ihr benützen könnt; wollt ihr uns eure nicht verraten?]

Lois: [»Sie meinen, die wissen Sie nicht schon längst? Pardon, aber das kann ich kaum glauben.«]

Lachesis: [Wir könnten sie kennen, haben aber beschlossen, sie nicht zu kennen. Wir halten uns, wenn möglich, gern an die Höflichkeitsgebote der Kurzfristigen. Wir finden sie reizend, denn sie werden unter euresgleichen von den Alten an die Jungen weitergegeben und erzeugen so die Illusion eines langen Lebens.]

[»Ich verstehe nicht.«]

Ralph auch nicht, und er war nicht sicher, ob er es verstehen wollte. Der Tonfall desjenigen, der sich Lachesis nannte, hatte etwas leicht Herablassendes, das ihn an McGovern erinnerte, wenn dieser in der Stimmung war, Vorträge zu halten.

Lachesis: [Das ist einerlei. Wir waren sicher, daß ihr kommen würdet. Wir wußten, Mann, daß du uns am Montagmorgen beobachtet hast - vor dem Haus von]

An dieser Stelle fand eine seltsame Überlappung in der Sprechweise von Lachesis statt. Er schien zwei Dinge zur exakt gleichen Zeit zu sagen, und die beiden Ausdrücke waren ineinander verschlungen wie eine Schlange, die den eigenen Schwanz im Mund hat:

[May Locher] [der beendeten Frau.]

Lois ging zaghaft einen Schritt vorwärts.

[»Mein Name ist Lois Chasse. Mein Freund ist Ralph Roberts. Und nachdem wir uns nun alle angemessen bekanntgemacht haben, würden Sie beide uns bitte sagen, was hier vor sich geht?«]

Lachesis: [Noch einer muß einen Namen bekommen.]

Klotho: [Ralph Roberts hat ihm bereits einen Namen gegeben.]

Lois sah Ralph an, der nickte.

[»Sie sprechen von Doc Nr. 3. Richtig, Jungs?«]

Klotho und Lachesis nickten. Sie stellten ein identisches, wohlgefälliges Lächeln zur Schau. Ralph nahm an, daß er sich geschmeichelt fühlen sollte, aber er war es nicht. Statt dessen war er ängstlich und ziemlich wütend - sie waren auf jedem Schritt des Weges geschickt manipuliert worden. Dies war keine zufällige Begegnung, sie war eingefädelt worden, seit das Wort »Los« erklungen war. Klotho und Lachesis, nur zwei kleine kahlköpfige Ärzte mit zuviel Zeit, die im Zimmer von Jimmy V. herumstanden und auf die Ankunft der Kurzfristigen warteten, ho-hum.

Ralph sah zu Faye und stellte fest, daß der ein Buch mit dem Titel <Klassische Schachprobleme> aus der Tasche gezogen hatte. Er las und bohrte sich dabei grüblerisch in der Nase. Nach einigen Voruntersuchungen bohrte Faye tief und brachte einen fetten Brocken zum Vorschein. Er untersuchte ihn, dann schmierte er ihn an die Unterseite des Nachttischs. Ralph wandte sich peinlich berührt ab, und ein Sprichwort seiner Großmutter fiel ihm ein: Schau nie durch ein Schlüsselloch, sonst wirst du verhext. Er war siebzig Jahre alt geworden und hatte es nie richtig verstanden. Aber nun war ihm eine andere Frage eingefallen.

[»Warum sieht Faye uns nicht? Und was das betrifft, warum haben Bill und sein Freund uns nicht gesehen? Und wie konnte der Mann einfach durch mich hindurchgehen? Oder habe ich mir das nur eingebildet?«]

Klotho lächelte.

[Sie haben es sich nicht eingebildet. Versuchen Sie, sich das Leben als eine Art Gebäude vorzustellen - was Sie einen Wolkenkratzer nennen würden.]

Aber Ralph stellte fest, daß Klotho gar nicht daran dachte. Einen Sekundenbruchteil schien er ein Bruchstück aus dem Verstand des anderen zu empfangen, das er aufregend und beunruhigend zugleich fand: ein gewaltiger Turm aus dunklem, rußigem Stein, der inmitten eines Felds roter Rosen stand. Schießschartenähnliche Fenster zogen sich wie eine düstere Spirale an den Seiten entlang.

Dann verschwand das Bild.

[Du und Lois und alle anderen kurzfristigen Geschöpfe leben auf den beiden ersten Etagen dieses Gebäudes. Selbstverständlich existieren Aufzüge -]

Nein, dachte Ralph. Nicht in dem Turm, den ich in deinen Gedanken gesehen habe, mein Freund. In diesem Gebäude -wenn dieses Gebäude tatsächlich existiert - gibt es keine Fahrstühle, nur eine schmale, mit Spinnweben verhangene Treppe und Türen, die Gott weiß wohin führen.

Lachesis sah ihn mit einer seltsamen, fast mißtrauischen Neugier an, und Ralph überlegte sich, daß ihm dieser Blick nicht gefiel. Er wandte sich wieder an Klotho und bedeutete ihm, er möge fortfahren.

Klotho: [Wie ich schon sagte, es existieren Fahrstühle, aber unter normalen Umständen ist es Kurzfristigen nicht gestattet, sie zu benützen. Ihr seid nicht [bereit] [darauf eingestellt] [–—.]

Die letzte Erklärung war eindeutig die beste, aber sie tänzelte vor Ralph davon, bevor er sie greifen konnte. Er sah Lois an, die den Kopf schüttelte, und dann wieder zu Klotho und Lachesis. Er wurde allmählich wütender denn je. Die vielen langen - endlosen Nächte, die er in seinem Ohrensessel gesessen und auf die Dämmerung gewartet hatte; die Tage, an denen er sich wie ein Gespenst in seiner eigenen Haut gefühlt hatte; die Unfähigkeit, einen Satz zu begreifen, wenn er ihn nicht dreimal las; die Telefonnummern, die er einst auswendig kannte, aber jetzt nachschlagen mußte -

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