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Also hatte er das Rollo heruntergelassen… aber zuvor hatte er einen letzten prüfenden Blick auf den Mann geworfen, der ihm gesagt hatte, er sei früher einmal Joe Wyze gewesen, aber heute sei er älter und Wyzer. Die Auren waren noch da, und er konnte Wyzers Ballonschnur sehen, hell gelborange, die unversehrt von seinem Scheitel emporstieg. Demnach war noch alles in Ordnung mit ihm.

Jedenfalls vorläufig.

Ralph hatte Lois in die Küche geführt und ihr noch eine Tasse Kaffee eingeschenkt - schwarz, mit viel Zucker.

»Er hat sie getötet, nicht wahr?« fragte sie, als sie die Tasse mit beiden Händen an die Lippen führte. »Das kleine Biest hat sie getötet.«

»Ja. Aber ich glaube nicht, daß er es heute nacht getan hat. Ich glaube, in Wirklichkeit hat er es schon heute morgen getan.« »Warum? Warum?«

»Weil er es konnte«, sagte Ralph grimmig. »Ich glaube, einen anderen Grund braucht er nicht. Nur weil er es konnte.«

Lois hatte ihn mit einem langen, abschätzenden Blick angesehen, und ihr Gesicht nahm allmählich einen erleichterten Ausdruck an. »Du bist dahintergekommen, richtig? Ich hätte es in dem Moment wissen müssen, als ich dich heute abend gesehen habe. Ich hätte es gewußt, wenn mir nicht so viele andere Dinge durch meinen dummen alten Kopf gegangen wären.«

»Dahintergekommen? Davon bin ich noch meilenweit entfernt, aber einiges habe ich mir zuammengereimt. Lois, hast du Lust, mit mir ins Derry Home zu fahren?«

»Gerne. Möchtest du Bill besuchen?«

»Ich bin nicht sicher, wen ich besuchen möchte. Es könnte Bill sein, aber auch Bills Freund Bob Polhurst. Vielleicht sogar Jimmy Vandermeer - du kennst ihn doch?«

»Jimmy V.? Natürlich kenne ich ihn. Seine Frau kannte ich noch besser. Sie hat bis zu ihrem Tod mit uns Poker gespielt. Ein Herzanfall, und so plötzlich -« Sie verstummte unvermittelt und sah Ralph mit ihren dunklen spanischen Augen an. »Jimmy liegt im Krankenhaus? O Gott, es ist der Krebs, richtig? Der Krebs hat wieder angefangen.«

»Ja. Er liegt im Zimmer gleich neben Bills Freund.« Ralph erzählte ihr von der Unterhaltung mit Faye heute morgen und dem Zettel, den er am Nachmittag auf dem Picknickplatz gefunden hatte. Er wies auf die seltsame Konstellation der Zimmer und ihrer Bewohner hin - Polhurst, Jimmy V., Carolyn und fragte Lois, ob sie das für einen Zufall hielte.

»Nein. Ich bin sicher, daß es keiner ist.« Sie hatte auf die Uhr gesehen. »Komm mit - ich glaube, die reguläre Besuchszeit endet um halb zehn. Wenn wir vorher dort sein wollen, sollten wir uns besser beeilen.«

Als er jetzt in die Zufahrt zum Krankenhaus einbog (Du hast wieder vergessen den Blinker zu setzen, Herzblatt, bemerkte Carolyn), sah er Lois an - Lois, die ihre Handtasche umklammerte und deren Aura gerade nicht zu sehen war - und fragte sie, ob es ihr gut gehe.

Sie nickte. »Ja. Nicht gerade toll, aber einigermaßen. Mach dir um mich keine Sorgen.«

Aber ich mache mir Sorgen, Lois, dachte Ralph. Jede Menge. Und übrigens, hast du gesehen wie Doc Nr. 3 Joe Wyzer den Kamm aus der Tasche genommen hat?

Das war eine dumme Frage. Natürlich hatte sie es gesehen. Der kahle Gnom hatte gewollt, daß sie es sah. Er wollte, daß sie es beide sahen. Die wichtige Frage war, wieviel Bedeutung hatte sie dem beigemessen?

Wieviel weißt du wirklich, Lois? Wie viele Zusammenhänge hast du hergestellt? Das frage ich mich, denn eigentlich sind sie nicht so schwer zu sehen.

Er stellte fest, daß er Angst davor hatte, sie zu fragen.

Ein flaches Backsteingebäude lag etwa eine Viertelmeile entfernt an dem Zubringer - Woman-Care. Einige Scheinwerfer (neu aufgestellt, da war er ganz sicher) beleuchteten den Rasen, und Ralph konnte zwei Männer mit grotesk langen Schatten davor auf und ab marschieren sehen… Wachpersonal, vermutete er. Eine weitere Neuerung; ein weiteres böses Omen.

Er bog nach links ab (diesmal dachte er wenigstens an den Blinker) und fuhr mit dem Olds vorsichtig die Rampe zum Parkhaus des Hospitals hinauf. Oben versperrte eine orangefarbene Schranke den Weg. BITTE HALTEN UND PARKSCHEIN ZIEHEN stand auf einem Schild daneben. Ralph konnte sich noch erinnern, als richtige Menschen an solchen Orten gesessen hatten, was sie ein bißchen weniger unheimlich machte. Those were the days, myfriend, we thought they’d never end, dachte er, als er die Scheibe hinunterkurbelte und einen Parkschein aus dem automatischen Spender zog.

»Ralph?«

»Hm?« Er konzentrierte sich darauf, der Heckstoßstange eines der auf beiden Seiten der Fahrspur schräg parkenden Autos auszuweichen. Er wußte, die Durchfahrt war so breit, daß die Stoßstangen der anderen Autos kein Hindernis für ihn sein würden - intellektuell wußte er das -, aber in seinem Innersten wußte er es besser. Carolyn würde Zeter und Mordio wegen meiner Fahrweise schreien, dachte er mit einer gewissen geistesabwesenden Zuneigung.

»Weißt du, was wir hier wollen, oder tappst du im Dunkeln?«

»Einen Moment noch - laß mich erst die verdammte Karre parken.«

Er fuhr auf der ersten Etage an mehreren Parklücken vorbei, die groß genug für den Olds gewesen wären, aber er hatte nicht genügend Freiraum zum Manövrieren, daß er sich wohl in seiner Haut gefühlt hätte. Auf dem dritten Parkdeck fand er drei freie Plätze nebeneinander (zusammen hätte bequem ein Sherman Panzer Platz gehabt) und lotste den Olds in die mittlere Lücke. Er machte den Motor aus und drehte sich zu Lois um. Andere Motoren brummten ringsum im Leerlauf, aber aufgrund der Echos konnte man ihren Standort unmöglich bestimmen. Orangefarbenes Licht - das durchdringende, grelle Leuchten, das heutzutage sämtlichen derartigen Anlagen gemeinsam war, schien es - überzog ihre Haut wie eine dünne Schicht toxischer Farbe. Lois erwiderte seinen Blick gelassen. Er sah Nachwirkungen der Tränen, die sie wegen Rosalie vergossen hatte, an den aufgedunsenen, geschwollenen Lidern, aber die Augen selbst waren ruhig und sicher. Er registrierte erstaunt, wie sehr sie sich seit heute morgen verändert hatte, als er sie weinend und mit hängenden Schultern auf der Parkbank gesehen hatte. Lois, dachte er, wenn dein Sohn und deine Schwiegertochter dich heute abend sehen könnten, würden sie, glaube ich, schreiend davonlaufen. Aber nicht, weil du zum Fürchten aussiehst, sondern weil die Frau, die sie überreden wollten, ins Riverview Estates zu ziehen, nicht mehr da ist.

»Nun?« fragte sie mit dem Anflug eines Lächelns. »Wirst du mit mir reden oder mich nur ansehen?«

Ralph, normalerweise ein zurückhaltender Mann, sagte das erste, das ihm in den Sinn kam: »Ich glaube, ich möchte dich am liebsten schlecken wie ein Eis.«

Ihr Lächeln vertiefte sich so sehr, daß Grübchen an den Mundwinkeln sichtbar wurden. »Vielleicht versuchen wir später herauszufinden, wie groß dein Appetit auf Eis wirklich ist, Ralph. Im Augenblick solltest du mir nur sagen, weshalb du mich hierher gebracht hast. Und sag mir nicht, daß du es nicht weißt, das stimmt nämlich nicht.«

Ralph machte die Augen zu, holte tief Luft und schlug sie wieder auf. »Wir sind hier, um die beiden anderen Glatzköpfe zu finden. Die ich aus dem Haus von May Locher kommen gesehen habe. Wenn jemand erklären kann, was hier vor sich geht, dann sie.«

»Wie kommst du darauf, daß du sie hier finden wirst?«

»Ich glaube, sie haben Arbeit hier… zwei Männer, Jimmy V. und Bills Freund, liegen nebeneinander im Sterben. Ich hätte schon in dem Augenblick, als ich gesehen habe, wie die Notärzte Mrs. Locher zugedeckt auf der Bahre aus dem Haus brachten, wissen müssen, was die kahlköpfigen Ärzte sind was sie tun. Ich hätte es gewußt, wenn ich nicht so verdammt müde gewesen wäre. Die Schere wäre Beweis genug gewesen. Statt dessen bin ich erst heute nachmittag darauf gekommen, und das auch nur wegen etwas, das Mr. Polhursts Nichte zu mir gesagt hat.«

»Und das wäre?«

»Daß der Tod blöd ist. Wenn ein Geburtshelfer soviel Zeit brauchen würde, um eine Nabelschnur durchzuschneiden, würde er wegen Unfähigkeit gefeuert werden. Dabei mußte ich an einen Mythos denken, den ich in der Grundschule gelesen habe, als ich nicht genug von Göttern und Göttinnen und trojanischen Pferden bekommen konnte. Die Geschichte handelte von drei Schwestern - möglicherweise den griechischen Schwestern, möglicherweise auch den unheimlichen Schwestern. Scheiße, frag mich nicht; ich vergesse ja meistens sogar, den verfluchten Blinker zu setzen. Wie dem auch sei, diese drei Schwestern waren für den Verlauf des gesamten Menschenlebens verantwortlich. Eine spann den Faden, eine entschied, wie lang er sein würde… klingelt da was bei dir, Lois?«

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