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»Ich habe es nicht wegen dir nicht weitergegeben.«

»Ich weiЯ.«

»Was weiЯt du?«

»Karola hat gesagt, du wдrst immer noch eifersьch­tig, weil Lena ihre Freundin ist.«

Eva taten die Finger weh, so fest presste sie das Buch. »So toll ist sie ja nun auch wieder nicht, dass ich ihr so lange nachweinen wьrde.«

Sie schlug ihr Buch auf und fing an zu lesen. Fran-ziska blieb neben ihr auf dem Sockel des Zaunes sit­zen. »Warst du sehr sauer damals?«

War sie sauer gewesen? Nein, nicht sauer. Sauer war nicht das richtige Wort. Enttдuscht war sie gewesen, verletzt, traurig. Eine Art trauriges Staunen hatte sie empfunden, dass es so etwas gab, dass es ihr passieren musste, dass sie plцtzlich dastand mit ihren Gefьhlen fьr Karola und dass Karola diese Gefьhle nicht mehr brauchte. Nein, sauer war sie nicht gewesen. Traurig war sie gewesen und es hatte sehr wehgetan.

Aber das ging niemand etwas an, am wenigsten Franziska. Eva merkte, wie ihr die Trдnen in die Au­gen stiegen. Sie senkte den Kopf. Doch Franziska hatte es schon gesehen. Sie legte ihr den Arm um die Schul­ter. Am liebsten hдtte Eva den Arm abgeschьttelt, aber sie traute sich nicht. So saЯen sie, bis das Klingelzei­chen ertцnte.

An diesem Mittag aЯ Eva Krabbensalat im Park.

Abends, im Bett, dachte Eva wieder daran, an Franzis-kas Arm auf ihrer Schulter, an die Hand, die ihr ьber den Oberarm gestreichelt hatte, sie dachte an Michel, der seine Hand auf ihre Brust gelegt hatte. Sie dachte an Erika und Karola, vor allem an Karola. Und da musste sie wieder weinen. Sie vergrub ihren Kopf in das Kissen und biss sich auf die Lippen, um nicht laut zu schreien.

Ihr Gesicht im Kissen war heiЯ, sie legte sich auf die Seite, drehte das Kissen, um eine kьhle Stelle fьr ihre heiЯe Backe zu finden.

Ich leide, dachte sie. So ist leiden und eigentlich sollte ich froh sein. Ich habe Michel kennen gelernt und Franziska sitzt neben mir. Warum leide ich? Das andere ist schon so lange her, warum kann ich es nicht vergessen?

Langsam wurden ihre Schluchzer leiser, sanfter, der Druck auf ihrem Bauch lieЯ nach, fast trцstlich war das Weinen jetzt.

Eva schlief ein.

Als sie aufwachte, war es lange nach Mitternacht. Sie knipste die Nachttischlampe an. Sie fьhlte sich ver­schwitzt und pappig und sehr traurig. Es war immer noch ziemlich heiЯ in ihrem Zimmer. Natьrlich, sie hatte vergessen, das Fenster aufzumachen. Deshalb war es auch so stickig hier. Sie цffnete vorsichtig das Fenster. Es klemmte immer ein bisschen. Sie erschrak bei dem knarzenden Gerдusch, das sehr laut klang in der Stille der Nacht.

Sie atmete tief durch. Die Luft war lau und die Sterne standen sehr hoch am Himmel. Hinter den Dд­chern kroch schon der hellgraue Schimmer der Mor­gendдmmerung.

Was fьr ein Sommer, dachte Eva.

Im Haus gegenьber war noch Licht, im ersten Stock, in der Wohnung der alten Grabers. Sie lebten mit ihrer auch schon дltlichen Tochter zusammen, die man fast nie sah. Morgens huschte sie zur Arbeit und kam ge­gen fьnf zurьck, mit Einkaufstьten in beiden Hдnden. Die alten Grabers saЯen immer, wenn es das Wetter er­laubte, auf dem Balkon und schauten hinunter auf die StraЯe. Eva war schon oft aufgefallen, dass sie kaum miteinander redeten. Fast unbeweglich saЯen sie da und starrten hinunter. Im letzten Sommer hatte der alte Graber einen Schlaganfall gehabt. Er war vom Notarzt mit Blaulicht und Sirene in die Klinik gefahren wor­den. Viele Wochen lang saЯ die alte Frau allein auf dem Balkon. Beim Einkaufen, als Eva darauf wartete, dass die Metzgersfrau ihr das Gulasch schnitt, hatte sie eine Frau sagen hцren: »Die Grabers kцnnen froh sein, dass sie eine so gute Tochter haben. Wo gibt es denn so etwas noch, heutzutage!«

Michels Schwester hatte mit sechzehn Jahren heira­ten mьssen!

Eva ьberlegte, wer von den Grabers wohl noch wach war um diese Zeit. Die »gute Tochter«? Oder ging es dem alten Graber wieder schlecht? In diesem Moment ging das Licht aus. Wahrscheinlich war nur

einer auf dem Klo gewesen oder hatte sich eine Klei­nigkeit zu essen gemacht.

Eva war sehr hungrig. Sie schlich sich in die Kьche. Gerade als sie sich bequem hingesetzt hatte und einen Joghurt lцffelte, ging hinter ihr die Kьchentьr auf. Er­schrocken fuhr sie herum. Es war ihre Mutter. Sie sah etwas verquollen aus, blinzelte im hellen Licht und fuhr sich mit dem Handrьcken ьber die Augen.

»Ich habe dich gehцrt, und weil ich nicht schlafen konnte, dachte ich, wir kцnnten vielleicht eine Tasse Tee miteinander trinken.«

Eva nickte. Die Mutter lieЯ den Wasserkessel voll laufen und stellte ihn auf die Herdplatte. »Hast du Hunger? Soll ich dir ein Spiegelei machen?«

»Ja, bitte.«

Die Mutter hantierte schnell und geschickt am Herd. Wie anders sie nachts aussah. So gefдllt sie mir eigent­lich viel besser, ьberlegte Eva.

Dann stand der Teller mit dem Spiegelei vor ihr, weiЯ, mit gelbem Dotter, fast orangefarben war der Dotter, die Mutter streute immer noch etwas roten Paprika drauf, »fьr's Auge, das Auge isst mit«, und um den knusprigen Rand herum floss die braune Butter.

»Hier, Eva, nimm noch ein Stьck WeiЯbrot.«

Eva fing an zu essen. Die Mutter stellte noch die Teekanne und zwei Tassen auf den Tisch. Ьber die Ga­bel mit Ei hinweg, die sie gerade zum Mund fьhrte, lд­chelte Eva sie an. Die Mutter lдchelte unsicher zurьck.

Sie saЯen da und schauten sich an. In diesem Moment ging die Tьr auf. Eva drehte sich um. Ihr Vater stand da, mit wirren Haaren, die Schlafanzugjacke war nicht ganz zugeknцpft und lieЯ einen Teil seiner haarigen Brust frei. Eva drehte ihm schnell wieder den Rьcken zu.

»Was macht ihr denn da?«

»Wir konnten nicht schlafen.« Die Mutter schaute zum Vater hin. Ihr Gesicht war ausdruckslos.

»Ist gut«, murmelte der Vater. »Aber komm bald wieder ins Bett.« Die Tьr klappte zu.

Eva wartete eine Weile. Dann sagte sie: »Ich war mit einem Jungen am Fluss.«

»Das habe ich mir gedacht, weil du noch nie so lange weg warst. Ist es ein netter Junge?«

»Ja, er ist sehr nett.«

»Der Papa meint, ich sollte mal mit dir reden, dich vor den Mдnnern warnen.«

»Aufzuklдren brauchst du mich nicht mehr. Ich weiЯ das alles.«

Die Mutter wurde rot. »So habe ich das nicht ge­meint. Aber die Jungen sind manchmal aufdringlich, und ein Mдdchen, das was auf sich hдlt...«

»Mama, ich weiЯ, was ich zu tun habe.«

»Na ja«, die Mutter seufzte. »Ich habe ja auch dem Papa gesagt, jeder muss seine Erfahrungen selbst ma­chen. Ich habe auch nicht auf meine Mutter gehцrt, da­mals, habe ich gesagt.«

Eva lachte. »Ich glaube, du bist mьde. Du fдngst schon an zu reden wie die Oma.«

»Da ist aber was dran, glaub mir das. Ich habe mir auch alles anders vorgestellt.« Die Mutter sah traurig aus.

»Du solltest dir eine Stelle suchen oder sonst irgend­was, damit du mal hier aus dem Haus herauskommst und nicht nur zur Schmidhuber.«

»Und der Haushalt? Du weiЯt doch, wie dein Vater ist.«

»Papa ist nur so, weil du dir alles gefallen lдsst.«

Die Mutter antwortete nicht. Als die Tassen leer wa­ren, rдumte sie den Tisch ab. Eva stand auf. Die Mutter legte den Arm um sie. »Gute Nacht, mein Mдdchen, schlaf gut!«

Eva drьckte sich an sie. Die Mutter streichelte ihr ьber den Rьcken und die Haare.

»Gute Nacht, Mama.«

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Eva stand im Badezimmer vor dem Spiegel. Zum Glьck gab es in der ganzen Wohnung keinen groЯen Spiegel auЯer dem auf der Innenseite einer Tьr des Schlafzimmerschrankes. Eva ging ganz nah an den Spiegel, so nah, dass sie mit ihrer Nase das Glas be­rьhrte. Sie starrte sich in die Augen, graugrьn waren ihre Augen, dunkelgrau gesдumte Iris, grьnliche, stern­fцrmige Maserung. Ihr wurde schwindelig. Sie trat ei­nen Schritt zurьck und sah wieder ihr Gesicht, um­rahmt von Odolflaschen und Zahnbьrsten, rot, blau, grьn und gelb. Mutters Lippenstift lag da. Eva nahm ihn und malte ein groЯes Herz um dieses Gesicht im Spiegel. Sie lachte und beugte sich vor zu diesem Ge­sicht, das so fremd war und so vertraut. »Du bist gar nicht so ьbel«, sagte sie. Das Gesicht im Spiegel lд­chelte. »Du bist Eva«, sagte sie. Das Gesicht im Spiegel formte einen Kussmund. Die Nase war ein bisschen zu lang. »Das ist Evas Nase«, sagte Eva. Sie цffnete ihren Pferdeschwanz, lieЯ die Haare auf die Schultern fallen, lange Haare, lockig, fast kraus. Sie zog sich mit dem Kamm einen Scheitel in der Mitte, kдmmte die Haare mehr nach vorn. So war es richtig. Wьrde es Michel gefallen? Sie schob ihre Lippen etwas vor, warf sie auf, nur ein bisschen, und senkte die Lider. Schцn verrucht sah sie jetzt aus, fast wie eine Schauspielerin in einer Il­lustrierten. Sie schminkte sich die Lippen. Sie machte es langsam, ganz vorsichtig, und biss dann auf ein Tempotaschentuch, drьckte die Lippen auf dem Papier zusammen, wie sie es bei der Mutter gesehen hatte.

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