Sali geht los, um ihn zu suchen, während Sophia mich beruhigt. Der Freund hat sich verzogen. Als lange nichts geschieht, gehe ich in mein Zimmer und warte. Etwas später taucht Lketinga auf. Er hat getrunken und kaut Miraa. Steif liege ich im Bett und mache mir über die Zukunft Gedanken. Dann, nach mehr als einer Stunde, entschuldigt er sich tatsächlich: „Corinne, my wife, no problem. Long time I have not seen you and the baby, so I become crazy. Please, Corinne, now I am okay, no problem!“
Ich versuche, zu lächeln und zu verzeihen. In der Nacht des folgenden Tages geht er wieder nach Hause. In den kommenden zwei Wochen sehe ich meinen Mann nicht mehr, lediglich Grüße werden mir ausgerichtet.
Endlich ist der Tag gekommen, an dem Sophia und ich ins Spital aufbrechen.
Sophia ist etwa eine Woche, ich zwei Wochen vor der Niederkunft. Wegen der schlechten Straßen wurde uns empfohlen, rechtzeitig loszufahren. Aufgeregt steigen wir in den Bus. Sophias Freund begleitet uns. Im Spital bekommen wir ein Zimmer für uns. Es ist herrlich. Die Schwestern sind erleichtert, als sie mich wiegen und ich tatsächlich genau siebzig Kilo auf die Waage bringe. Nun heißt es für uns warten.
Fast täglich stricke ich etwas für mein Kind, während Sophia den ganzen Tag Bücher über Schwangerschaft und Geburt liest. Ich wil gar nichts darüber wissen, sondern mich überraschen lassen. Mit gutem Essen versorgt uns Sali aus dem Dörfchen.
Die Zeit schleicht dahin. Täglich kommen Kinder zur Welt. Wir hören die Frauen meistens bis in unser Zimmer. Sophia wird immer nervöser. Bei ihr müßte es schon bald losgehen. Bei den täglichen Untersuchungen stel t man fest, daß sich mein Uterus bereits etwas geöffnet hat. Deshalb bekomme ich Bettruhe verordnet. Doch dazu kommt es nicht mehr, denn kaum hat die Ärztin unser Zimmer verlassen, verliere ich mein Fruchtwasser. Überrascht und glücklich schaue ich zu Sophia und sage: „I think my baby is coming!“
Erst will sie es gar nicht glauben, da ich noch gut eine Woche Zeit habe. Sie holt die Ärztin zurück, und als sie sieht, was los ist, bestätigt sie mir mit ernster Miene, heute nacht werde mein Kind kommen.
Napirai
Sophia ist verzweifelt, weil bei ihr nichts passiert. Um acht Uhr habe ich die ersten leichten Wehen. Zwei Stunden später sind sie schon sehr vehement. Von nun an werde ich jede halbe Stunde untersucht. Gegen Mitternacht ist es kaum noch zu ertragen. Ständig muß ich mich übergeben vor Schmerz. Endlich werde ich in den Gebärsaal geführt. Es ist derselbe Raum, in dem ich schon einmal auf dem Gynäkologenstuhl saß und untersucht wurde. Die Ärztin und zwei schwarze Schwestern reden auf mich ein. Seltsamerweise verstehe ich kein Englisch mehr.
Zwischen den Wehen starre ich die Frauen an und sehe nur, wie ihre Münder auf-und zugehen. Panik ergreift mich, weil ich nicht weiß, ob ich al es richtig mache.
Atmen, gut atmen, hämmert es in meinem Kopf. Dann werden meine Beine an den Stuhl gebunden. Ich fühle mich hilflos und entkräftet. Gerade als ich schreien will, ich könne nicht mehr, drückt mir eine Schwester den Mund zu. Voller Angst schaue ich zu der Ärztin. In diesem Moment höre ich, daß sie bereits das Köpfchen des Kindes sieht. Bei der nächsten Wehe muß es kommen. Mit letzter Kraft presse ich und spüre eine Art Explosion im Unterleib. Mein Mädchen ist geboren. Es ist 1.15 Uhr. Ein gesundes, 2 960 Gramm schweres Mädchen ist auf die Welt gekommen. Ich bin überglücklich. Sie ist so schön wie ihr Vater, und wir werden sie Napirai nennen.
Noch während die Ärztin mit der Nachgeburt und dem Nähen beschäftigt ist, geht die Tür auf, und Sophia fäl t mir freudig um den Hals. Sie hat die Geburt durch das Fenster miterlebt. Mein Kindchen wird mir noch einmal gezeigt und anschließend zu den anderen Neugeborenen gebracht. Ich bin froh, denn im Moment bin ich viel zu schwach, es zu heben. Nicht einmal die angebotene Teetasse kann ich halten. Ich wil nur schlafen. Im Rollstuhl werde ich ins Zimmer zurückgebracht und bekomme eine Schlaftablette.
Um fünf erwache ich mit höllischen Schmerzen zwischen den Beinen und wecke Sophia, die sofort aufsteht, um eine Nachtschwester zu suchen. Mit schmerzstillenden Tabletten werde ich beruhigt. Um acht schleppe ich mich mühsam zum Babyraum, um mein Kind zu sehen. Als ich es endlich entdecke, bin ich erleichtert, aber es schreit vor Hunger. Ich muß es stillen, doch das bereitet große Schwierigkeiten. Aus meinen mittlerweile riesigen Brüsten kommt kein Tropfen. Mit Absaugen geht auch nichts. Gegen Abend halte ich es kaum noch aus. Meine Brüste sind hart wie Stein und schmerzen, während Napirai ununterbrochen schreit. Eine schwarze Schwester schimpft, ich solle mir mehr Mühe geben, damit sich die Milchdrüsen öffnen, bevor ich eine Entzündung bekomme. Unter grauenhaften Schmerzen probiere ich alles. Zwei Samburu-Frauen kommen und „melken“ meine Brüste fast eine halbe Stunde, bevor endlich die erste Milch fließt. Dafür hört es jetzt nicht mehr auf. Es kommt so viel, daß mein Baby wieder nicht trinken kann. Erst im Laufe des Nachmittags gelingt es das erste Mal.
Sophia liegt seit Stunden in den Wehen, doch das Kind will nicht kommen. Sie heult und schreit und verlangt einen Kaiserschnitt, was der Arzt ablehnt, da dafür kein Grund besteht. Noch nie habe ich Sophia so erlebt. Dem Arzt wird es langsam zu bunt, und er droht ihr, sie nicht zu entbinden, falls sie sich nicht beherrscht. Die Unterhaltung findet auf Italienisch statt, da auch er Italiener ist. Nach schrecklichen 36 Stunden ist auch ihr Mädchen durch Glockengeburt auf der Welt.
An diesem Abend, die Besuchszeit ist gerade vorbei, erscheint mein Darling. Am Morgen hat er über Radiocall von der Geburt unserer Tochter erfahren und sich sofort zu Fuß auf den Weg nach Wamba gemacht. Er hat sich besonders schön bemalt und frisiert und begrüßt mich freudig.
Er hat Fleisch und ein wunderschönes Kleid für mich dabei. Sofort möchte er Napirai sehen, doch die Schwestern wehren ab und vertrösten ihn auf morgen.
Obwohl er enttäuscht ist, strahlt er mich stolz und glücklich an, was mich wieder hoffen läßt. Als er das Spital verlassen muß, beschließt er, in Wamba zu übernachten, um zur ersten Besuchszeit hier zu sein. Mit kleinen Geschenken beladen kommt er ins Zimmer, als ich gerade Napirai stil e. Selig nimmt er seine Tochter in die Arme und trägt sie in die Sonne. Sie schaut ihn neugierig an, und er kann gar nicht mehr von ihr lassen. Schon lange habe ich ihn nicht mehr so fröhlich erlebt. Ich bin gerührt und weiß, jetzt wird alles wieder gut.
Die ersten Tage mit dem Baby sind anstrengend. Ich bin immer noch recht schwach, habe zu wenig Gewicht, und die genähte Scheide schmerzt sehr beim Sitzen. Nachts weckt mich mein Mädchen zwei- bis dreimal, entweder um an die Brust zu kommen oder um gewickelt zu werden. Schläft sie endlich einmal, schreit sicher das Kind von Sophia. Hier benützt man Stoffwindeln, und gewaschen werden die Babys in kleinen Waschbecken. Mit dem Wickeln bin ich noch nicht so vertraut.
Meine gestrickten Sachen ziehe ich ihr nicht an, aus lauter Angst, ich könnte ihr dabei die Armchen oder Beinchen verletzen. So liegt sie bis auf die Windeln nackt in einer Babydecke. Während mein Mann uns betrachtet, stellt er zufrieden fest: „She is looking like me!“
Er besucht uns täglich, doch wird er allmählich ungeduldig und möchte mit seiner Familie nach Hause gehen. Aber ich bin noch zu schwach und habe ein wenig Sorge, mit dem Baby auf mich allein gestellt zu sein. Windeln waschen, kochen, Holz suchen und viel eicht wieder im Shop mithelfen, erscheint mir fast unmöglich. Der Shop ist seit drei Wochen geschlossen, da nur noch Maismehl übrig ist und der Boy nicht mehr zuverlässig zu sein schien, wie mir Lketinga mitteilt. Außerdem besteht keine Fahrmöglichkeit, da er zu Fuß hier ist, denn mit unserem Wagen gab es wieder einmal Probleme. Diesmal sei es die Gangschaltung, hat Giuliano festgestel t. Also muß er zuerst nach Hause, um uns mit dem Landrover abzuholen, falls er repariert ist.