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Zum Glück erreichen wir unseren Shop ohne weiteren Zwischenfall. Lketinga kriecht sofort unter den Wagen, um sich zu vergewissern, ob es so ist, wie wir es ihm schildern. Er versteht nicht, warum ich den Zucker abgeladen habe und garantiert mir schon jetzt, daß er später nicht mehr vorhanden sein wird. Ich gehe in meinen Wohnraum und lege mich hin, da ich schrecklich müde bin.

Am nächsten Morgen suche ich Pater Giuliano auf, um ihm meinen Wagen zu zeigen. Etwas ärgerlich meint er, daß er keine Reparaturwerkstatt sei. Er müsse den Wagen halb auseinandernehmen, um die Teile zusammenzuschweißen. Dafür habe er jetzt wirklich keine Zeit. Bevor er noch etwas hinzufügen kann, gehe ich enttäuscht nach Hause. Von allen fühle ich mich allein gelassen. Ohne Giulianos Hilfe erreiche ich Maralal nie mehr mit diesem Wagen. Lketinga fragt mich, was Giuliano gesagt habe. Als ich ihm erzähle, daß er uns nicht helfen kann, meint er nur, er habe immer gewußt, daß dieser Mann nicht gut ist. So hart sehe ich es nicht, schließlich hat er uns schon häufig aus dem Schlamassel geholt.

Lketinga und der Bursche bedienen im Shop, und ich schlafe den ganzen Morgen.

Mir ist einfach nicht gut. Der Zucker ist schon mittags ausverkauft, und ich habe große Mühe, meinen Mann zurückzuhalten, damit er nicht mit dem defekten Wagen zurückfährt, um den Rest zu holen.

Gegen Abend sendet Giuliano seinen Watchman, der uns mitteilt, daß wir den Wagen vorbeibringen sollen. Erleichtert, daß er es sich anders überlegt hat, schicke ich Lketinga mit dem Wagen hoch, denn ich bin gerade dabei, etwas zu kochen. Um sieben Uhr schließen wir den Shop, und Lketinga ist noch nicht zurück. Dafür warten zwei mir fremde Krieger vor der Haustür. Ich habe bereits gegessen, als er endlich kommt. Er war zu Hause bei Mama, um nach den Tieren zu schauen. Freudig lachend bringt er mir meine ersten zwei Eier mit. Seit gestern legt mein Huhn Eier.

Nun kann ich meinen Speisezettel erweitern. Ich koche für den Besuch Chai und krieche erschöpft unter das Moskitonetz ins Bett.

Die drei essen, trinken und quatschen. Ich schlafe immer wieder ein. In der Nacht erwache ich schweißgebadet und durstig. Mein Mann liegt nicht neben mir. Ich weiß nicht, wo sich die Taschenlampe befindet. So krieche ich unter der Decke und dem Netz hervor, um mich zum Wasserkanister vorzutasten und stoße mit dem Fuß auf etwas am Boden Liegendes. Bevor ich überlegen kann, was es ist, vernehme ich ein Grunzgeräusch. Starr vor Schreck frage ich: „Darling?“ Im Lichtstrahl der Taschenlampe, die ich endlich gefunden habe, erkenne ich drei Gestalten, die am Boden liegen und schlafen. Einer davon ist Lketinga. Vorsichtig steige ich über die Gestalten zum Wasserkanister. Wieder im Bett klopft mein Herz immer noch wie verrückt. Mit diesen Fremden im Raum finde ich fast keinen Schlaf mehr. Am Morgen friere ich dermaßen, daß ich nicht unter der Decke hervorkomme. Lketinga kocht für alle Chai, und ich bin froh, etwas Heißes zu bekommen. Die drei lachen herzhaft über das nächtliche Erlebnis.

Der Bursche verkauft heute alleine, da Lketinga mit den beiden Kriegern zu einer Zeremonie gegangen ist. Ich bleibe im Bett. Mittags kommt Pater Roberto vorbei und bringt uns die restlichen vier Säcke Zucker. Ich gehe in den Laden, um mich zu bedanken. Dabei merke ich, daß mir schwindlig wird. Sofort lege ich mich wieder hin.

Mir paßt es nicht, daß der Bursche al ein ist, doch ich fühle mich zu elend, um ihn zu kontrollieren. Eine halbe Stunde nach Ankunft des Zuckers herrscht das übliche Durcheinander. Ich liege im Bett, an Schlafen ist bei diesem Lärm und Geschnatter nicht zu denken. Abends schließen wir den Shop, und ich bin allein.

Eigentlich hätte ich Lust zu Mama zu gehen, doch mir ist schon wieder kalt. Für mich allein will ich nicht kochen und lege mich unter das Moskitonetz. Die Viecher sind noch sehr zahlreich und aggressiv. In dieser Nacht bekomme ich Schüttelfrostanfälle. Meine Zähne klappern so laut, daß ich vermute, man hört es bis zur nächsten Hütte. Warum kommt Lketinga nicht nach Hause? Die Nacht will nicht vorbeigehen. Einmal friere ich furchtbar, um kurz darauf wieder zu schwitzen. Ich müßte auf die Toilette, doch wage ich nicht, allein nach draußen zu gehen. In meiner Not benutze ich eine leere Büchse, um Wasser zu lassen.

Am frühen Morgen klopft es an die Tür. Ich frage erst, wer da ist, denn verkaufen mag ich nichts. Dann vernehme ich endlich die vertraute Stimme meines Darlings. Er sieht sofort, daß etwas nicht stimmt, doch ich beruhige ihn, weil ich nicht schon wieder die Mission belästigen will.

Aufgekratzt erzählt er mir von der Hochzeitszeremonie des einen Kriegers und berichtet, daß in etwa zwei Tagen hier eine Safari-Rallye vorbeikommen wird. Er habe schon einige Wagen gesehen. Wahrscheinlich kommen heute ein paar Fahrer hier vorbei, um die Strecke nach Wamba zu erkunden. Irgendwie glaube ich nicht daran, lasse mich aber trotz meines Elends gerne von der Aufregung anstecken.

Später geht er, um nach unserem Wagen zu schauen, aber der ist noch nicht fertig.

Gegen zwei Uhr höre ich einen Höl enlärm. Bis ich beim Shop-Eingang stehe, sehe ich gerade noch, wie eine Staubwolke langsam verfliegt. Der erste Probefahrer ist vorbeigeflitzt. Nach kurzer Zeit steht halb Barsaloi an der Straße. Etwa eine halbe Stunde später brausen ein zweiter und kurz darauf ein dritter Wagen vorbei. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, hier am Ende der Welt, in einer völlig anderen Zeit, von der Zivilisation in dieser Weise eingeholt zu werden. Wir warten noch lange, doch der Spuk ist für heute vorüber. Dies waren die Testfahrzeuge. In zwei Tagen sol en hier dreißig oder mehr Wagen vorbeisausen. Ich freue mich auf diese Abwechslung, obwohl ich hoch fiebrig im Bett liege. Lketinga kocht für mich, aber schon beim Anblick des Essens wird mir übel.

Am Tag vor der Ral ye geht es mir extrem schlecht. Immer wieder verliere ich für kurze Zeit das Bewußtsein. Seit mehreren Stunden habe ich das Kind in meinem Bauch nicht mehr gespürt. Panik erfaßt mich, und ich weine, als ich es meinem Mann mitteile. Erschrocken verläßt er das Haus und kommt mit Mama zurück. Sie spricht fortwährend mit mir, während sie meinen Bauch abtastet. Ihr Gesicht ist finster.

Weinend frage ich Lketinga, was mit dem Kind los sei. Doch er sitzt hilflos da und redet nur mit der Mama. Schließlich erklärt er mir, seine Mutter glaube, ich sei von einem bösen Fluch befallen, der mich krank macht. Irgend jemand wolle mich und unser Baby töten.

Sie möchten wissen, mit welchen alten Leuten ich in letzter Zeit im Shop gesprochen habe, ob die alten Somalis hier waren, ob mich ein Alter angefaßt oder angespuckt habe oder ob mir jemand eine schwarze Zunge gezeigt habe. Die Fragen prasseln nur so nieder, und ich werde vor Angst fast hysterisch. In meinem Kopf hämmert es ununterbrochen: Mein Baby ist tot!

Mama verläßt uns und verspricht, mit guter Medizin zurückzukommen. Ich weiß nicht, wie lange ich dagelegen und geschluchzt habe. Als ich die Augen öffne, sehe ich sechs bis acht alte Männer und Frauen, die sich um mich versammelt haben.

Unablässig höre ich: „Enkai, Enkai!“

Jeder der Alten reibt an meinem Bauch und murmelt etwas. Mir ist alles egal.

Mama hält mir einen Becher an die Lippen mit einer Flüssigkeit, die ich in einem Zug leeren muß. Das Zeug ist brennend scharf, daß es mich schüttelt. Im selben Moment spüre ich zwei-, dreimal ein Zucken und Stampfen im Bauch und fasse erschrocken nach ihm. Mir dreht sich al es. Ich sehe nur noch alte Gesichter über mir und möchte am liebsten sterben. Mein Kind hat noch gelebt, nun aber ist es sicher tot, ist mein letzter Gedanke, bevor ich schreie: „Ihr habt mein Kind getötet, Darling, they have now kil ed our baby!“

Ich spüre, wie mir die letzte Kraft und mein Lebenswille schwinden.

Wieder legen sich zehn oder mehr Hände auf meinen Bauch und reiben und drücken. Dabei wird laut gebetet oder gesungen. Plötzlich hebt sich der Bauch ein wenig, und ich spüre von innen ein leichtes Zucken. Zuerst wage ich kaum, es zu glauben, doch es wiederholt sich noch ein paarmal. Die Alten scheinen es ebenfal s gespürt zu haben, und die Gebete werden leiser. Als mir klar wird, daß mein kleines Baby lebt, durchströmt mich ein starker Lebenswille, den ich schon verloren glaubte.

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