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Da mir nun die Beine schneller ermüden, muß etwas geschehen. Ein Chai am Morgen und ein Essen am Abend reichen nicht aus, um mehr an Kraft aufzubauen.

Mama ist ebenfal s der Meinung, ich müsse viel mehr essen, sonst wird es kein gesundes Kind. Wir beschließen, sobald als möglich in den hinteren Teil des Shops umzuziehen. So müssen wir leider unsere schöne Manyatta nach vier Monaten wieder verlassen, doch Mama wird sie bekommen, und das beglückt sie sehr.

Wenn wir den nächsten Laster mieten, werden wir ein Bett, einen Tisch und Stühle mitbringen lassen, damit wir umziehen können. Beim Gedanken an ein Bett freue ich mich sehr, das Schlafen auf dem Boden bereitet mir allmählich Rückenschmerzen.

Mehr als ein Jahr hat es mich nicht gestört.

Seit ein paar Tagen sind Wolken am sonst immer blauen Himmel aufgezogen. Alle Menschen warten auf Regen. Das Land ist völ ig ausgetrocknet. Die Erde ist schon lange rissig und steinhart. Immer wieder hört man von Löwen, die die Herden am hellichten Tag überfallen. Die Kinder, die die Herden bewachen, geraten meistens in Panik, wenn sie ohne die Ziegen nach Hause eilen müssen, um Hilfe zu holen. Nun geht auch mein Mann wieder öfters mit unserer Herde den ganzen Tag auf Wanderschaft, und mir bleibt nichts anderes übrig, als ständig im Laden den Burschen selber zu kontrol ieren und mitzuarbeiten.

Der große Regen

Am fünften Wolkentag fallen die ersten Regentropfen. Es ist Sonntag, unser freier Tag. In aller Eile versuchen wir, Plastikbahnen über die Manyatta zu binden, was aber durch den jäh aufkommenden Wind sehr schwierig ist. Mama kämpft bei ihrer Hütte, wir bei unserer. Nun prasselt der Regen los. Einen solchen Schauer habe ich in meinem Leben noch nicht erlebt. Innerhalb kurzer Zeit steht das ganze Land unter Wasser. Der Wind bläst die feuchte Luft in al e Ritzen. Das Feuer müssen wir auch löschen, da überal Funken herumfliegen. Ich ziehe alles an, was irgendwie wärmt.

Nach einer Stunde tropft trotz der Plastikhülle an einigen Stellen das Wasser in unsere Hütte. Wie naß wird es erst bei Mama und Saguna sein!

Stetig kriecht das Wasser vom Eingang in Richtung Schlafplatz. Mit einer Tasse grabe ich die Erde ab, damit das Wasser nicht weiter ansteigt. Der Wind zerrt an den Plastikbahnen, und ich rechne jeden Moment damit, daß sie weggerissen werden.

Draußen rauscht es, als wären wir auf einem reißenden Fluß. Das Wasser dringt nun auch seitlich in unsere Hütte. Ich schaffe alles in die Höhe, so gut es geht. Die Decken stopfe ich in die Reisetasche, damit wenigstens sie trocken bleiben.

Nach etwa zwei Stunden hört der Spuk plötzlich auf. Wir kriechen aus der Hütte, und ich erkenne das Land nicht wieder. Einige Hütten hat es fast abgedeckt, Ziegen rennen verstört umher. Mama steht patschnaß vor ihrer Hütte, die im Wasser schwimmt. Saguna sitzt zitternd und weinend in einer Ecke. Ich nehme sie zu uns und ziehe ihr einen trockenen Sweater von mir über. So kann sie sich wenigstens darin einwickeln. Überall kommen die Leute aus ihren Behausungen. Das Wasser hat richtige Bäche gegraben und braust zum Fluß hinunter. Plötzlich vernehmen wir einen Knall. Erschrocken schaue ich Lketinga an und frage, was das war. Eingehüllt in seine rote Decke lacht er und meint, nun sei am River die Flutwel e vom Berg heruntergekommen. Tosen wie von einem Wasserfall ist zu hören.

Lketinga möchte mit mir zum großen River hinunter, doch Mama ist nicht einverstanden. Es ist viel zu gefährlich, sagt sie sehr bestimmt. Also gehen wir auf die andere Seite, wo der Lori im Sand steckengeblieben war. Dieser Fluß ist nun etwa 25 Meter breit. Der andere mißt sicher das Dreifache. Lketinga hat seine Wolldecke bis über den Kopf gezogen, während ich zum ersten Mal hier oben meine Jeans mit Pullover und Jacke trage. Die wenigen Menschen, denen wir begegnen, staunen bei meinem Anblick. Natürlich haben sie noch nie eine Frau in Hosen gesehen. Ich habe Mühe, daß sie mir nicht herunterrutschen, da ich sie wegen meines Bäuchleins nicht schließen kann.

Das Rauschen wird immer lauter, so daß wir kaum unsere Worte verstehen können. Und dann sehe ich den reißenden Fluß vor mir. Kaum zu glauben, wie er sich verwandelt hat! Die braune Masse reißt alles mit. Büsche und Steine rol en davon. Die Gewalt der Natur verschlägt mir die Sprache. Plötzlich glaube ich, einen Schrei gehört zu haben. Ich frage Lketinga, ob er es ebenfalls gehört hat. Doch er verneint. Dann vernehme ich es ganz deutlich, hier schreit jemand. Nun bestätigt es auch mein Mann. Woher kommt das Geräusch? Wir rennen am oberen Uferrand entlang, bedacht, ja nicht auszurutschen.

Nach einigen Metern sehen wir das Entsetzliche. Mitten im Fluß, auf einer Felsgruppe, hängen zwei Kinder bis zum Hals im reißenden Wasser. Lketinga zögert keinen Augenblick und schreit ihnen etwas zu, während er die Böschung hinunterklettert. Es sieht schrecklich aus. Immer wieder werden die Köpfe vom ansteigenden Wasser überspült. Die Händchen klammern sich am Felsen fest. Ich weiß, mein Mann hat Angst vor tiefem Wasser und schwimmen kann er auch nicht.

Wenn er hinfäl t, ist er im reißenden Fluß hoffnungslos verloren. Und doch kann ich es gut verstehen und bin stolz darauf, daß er es wagt, diese Kinder zu retten. Er nimmt einen langen Stock und kämpft sich gegen die Fluten zum Felsen, während er ständig etwas zu den Kindern hinüberruft. Ich stehe da und bete um gute Schutzengel. Er hat den Felsen erreicht, packt das Mädchen auf seinen Rücken und kämpft sich zurück. Gebannt schaue ich auf den Knaben, der noch drüben hängt.

Sein Kopf ist bald nicht mehr zu sehen. Nun gehe ich meinem Mann entgegen und nehme ihm das Mädchen ab, damit er sofort zurückgehen kann. Das Kind ist schwer, und es kostet mich große Anstrengung, die zwei Meter ans Ufer zu kommen. Ich setze sie ab und ziehe ihr sofort meine Jacke über. Sie ist eiskalt. Mein Darling rettet auch den kleinen Jungen, der einiges an Wasser ausspuckt. Lketinga beginnt sofort, den Burschen zu massieren, und ich mache dasselbe mit dem Mädchen. Ihre steifen Glieder werden langsam weicher. Doch der Knabe ist apathisch und kann nicht gehen. Lketinga trägt ihn nach Hause, ich stütze das Mädchen. Bei dem Gedanken, wie knapp die beiden Kinder dem Tod entgangen sind, bin ich erschüttert.

Mama macht ein böses Gesicht, als sie die Geschichte hört und schimpft mit den Kindern. Wie sich herausstel t, waren sie mit der Herde unterwegs und wollten den Fluß passieren, als die Flutwel e kam. Viele Ziegen wurden vom Wasser mitgerissen, einige konnten sich ans Ufer retten. Mein Mann erklärt mir, daß die Wel e größer als er selbst sei und so schnell von den Bergen herunterkäme, daß jeder, der gerade am River ist, keine Chance hat. Jedes Jahr ertrinken mehrere Menschen und Tiere. Die Kinder bleiben bei uns, doch Tee gibt es nicht, das ganze Brennholz ist naß.

Nun schauen wir im Shop nach. Die Veranda ist mit dickem Schlamm überschwemmt, doch im Inneren ist es bis auf zwei kleine Pfützen trocken. Wir gehen zum Chai-Haus, aber auch hier gibt es keinen Tee. Das Tosen des großen Flusses hört man sehr stark, und so gehen wir doch noch hinunter. Er sieht beängstigend aus. Roberto und Giuliano sind ebenfalls da und schauen der Gewalt des Wassers zu. Ich erwähne kurz das Ereignis vom anderen Fluß, und Giuliano geht zum ersten Mal auf meinen Mann zu und dankt ihm mit einem Händedruck.

Auf dem Rückweg nehmen wir aus dem Laden das Öfchen und die Holzkohle mit nach Hause. So sind wir in der Lage, wenigstens heißen Tee für al e zu kochen. Die Nacht ist ungemütlich, weil alles feucht ist. Am Morgen jedoch scheint schon wieder die Sonne. Wir legen Kleider und Decken über die Dornenbüsche in die Wärme.

Einen Tag später verwandelt sich das Land erneut, diesmal sanft und leise. Überall sprießt Gras, und einzelne Blumen wachsen so schnell aus dem Boden, daß man fast zusehen kann. Tausende von kleinen weißen Faltern schweben wie Schneeflocken über das Land. Es ist herrlich, in dieser dürren Landschaft miterleben zu können, wie das Leben erwacht. Nach einer Woche ist ganz Barsaloi ein einziges violettes Blumenmeer.

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