Es wurde kaum geputzt, und al es ist voller Maismehlstaub. Die Regale sind fast leer.
Die vier Zuckersäcke sind längst verkauft, und Mais gibt es gerade noch anderthalb Säcke. Das heißt, wir müssen wieder eine Fahrt nach Maralal starten. Wir planen sie in der folgenden Woche, da für die Jungen die kurzen Ferien ohnehin dann zu Ende sind und ich einige von ihnen gut nach Maralal mitnehmen kann.
Im Shop ist es ruhig. Sobald die Grundnahrungsmittel fehlen, bleiben die Kunden von weit her aus. Ich gehe Anna besuchen. Als ich zu ihrem Häuschen komme, liegt sie auf ihrem Bett. Auf die Frage, was mit ihr los sei, will sie zuerst keine Antwort geben. Mit der Zeit kriege ich heraus, daß auch sie schwanger ist. Sie sei erst im dritten Monat, hatte aber vor kurzem Blutungen und ist deswegen von der Arbeit ferngeblieben. Wir vereinbaren, daß sie wiederkommt, wenn die Burschen weg sind.
Der Schulbeginn rückt näher, und wir brechen auf. Diesmal bleibt der Laden geschlossen. Nach drei Tagen können wir den vollen Lastwagen nach Barsaloi losschicken, unser Helfer begleitet ihn. Lketinga fährt mit mir durch den Dschungel.
Glücklicherweise verläuft die Fahrt problemlos. Wir erwarten den Laster kurz vor Dunkelheit. Doch statt des Lasters kommen zwei Krieger und erzählen uns, der Lori stecke im letzten Flußbett fest. Wir fahren mit unserem Wagen die kurze Strecke und sehen uns die Bescherung an. In dem ausgetrockneten, breiten Fluß ist er kurz vor dem Ufer mit dem linken Rad im Sand abgesackt. Durch das lange Spulen hat es sich in den lockeren Sand gegraben.
Es stehen schon einige Leute am Ort der Misere, und zum Teil wurden bereits Steine und Äste untergelegt. Der Laster neigt sich durch das hohe Gewicht immer schräger, und der Fahrer erklärt, es nütze alles nichts mehr, es müsse hier abgeladen werden. Ich bin nicht sehr erfreut über diesen Vorschlag und möchte Pater Giuliano um Rat fragen. Giuliano ist nicht gerade begeistert bei meinem Auftauchen, da er bereits weiß, was geschehen ist. Dennoch steigt er in seinen Wagen und kommt mit.
Er probiert es mit einer Seilwinde, aber unsere Vierrad-Wagen schaffen es nicht, den Laster herauszumanövrieren. Nun müssen die hundert Doppelzentner-Säcke in unsere Wagen umgeladen werden. Wir können jeweils acht Säcke laden. Fünfmal fährt Giuliano, dann kehrt er genervt in die Mission zurück. Ich fahre noch siebenmal, bis wir al es im Shop haben. Indessen ist es Nacht geworden, und ich bin am Ende meiner Kräfte. Im Shop herrscht ein unvorstel bares Durcheinander, doch wir machen Feierabend und räumen erst am nächsten Morgen die Waren ein.
Häufig werden uns Ziegen- oder Kuhfel e zum Ankauf angeboten. Bis jetzt habe ich stets abgelehnt, aber die Frauen sind nicht zufrieden damit und verlassen zum Teil schimpfend den Laden, um die Felle bei den Somalis loszuwerden. Allerdings kaufen die Somalis seit kurzem die Felle nur von denen, die Mais oder Zucker bei ihnen beziehen. So entstehen täglich neue Diskussionen. Deshalb beschließe ich, ebenfal s Häute anzukaufen und lagere sie im hinteren Teil unseres Shops.
Keine zwei Tage vergehen, bis uns der schlaue Mini-Chief besucht und nach der Lizenz für den Handel mit Tierhäuten fragt. Natürlich haben wir keine, weil ich von deren Notwendigkeit nichts wußte. Und außerdem, meint er, könne er mir den Shop schließen, weil es nicht erlaubt sei, die Häute im selben Gebäude zu lagern wie die Lebensmittel. Es müßten mindestens fünfzig Meter Abstand dazwischen sein. Mir verschlägt es bei dieser Neuigkeit die Sprache, da die Somalis bisher ihre Häute ebenfal s im selben Raum hatten, was der Chief einfach bestreitet. Jetzt weiß ich auch, wer ihn auf uns gehetzt hat. Da ich mittlerweile fast achtzig Häute habe, die ich beim nächsten Mal in Maralal weiterverkaufen wil, muß ich Zeit gewinnen, um einen neuen abschließbaren Ort zu finden. Ich biete dem Chief zwei Sodas an und bitte ihn, mir bis morgen Zeit zu geben.
Nach längerem Hin und Her mit meinem Mann einigen sie sich, daß wir die Häute bis zum nächsten Tag aus dem Shop gebracht haben. Doch wohin damit? Immerhin sind die Fel e Bargeld. Ich gehe zur Mission, um Rat zu holen. Nur Roberto ist da und meint, er habe auch keinen Platz. Wir müssen auf Giuliano warten. Am Abend kommt er mit dem Motorrad vorbei. Zu meiner Freude bietet er mir sein altes Wasserpumpenhäuschen in der Nähe an, wo alte Maschinen gelagert sind. Es sei nicht viel Platz, aber besser als nichts, denn man könne es mit einem Schloß abschließen. Wieder habe ich ein Problem gelöst, und langsam wird mir klar, welch große Hilfe Pater Giuliano für uns ist.
Der Laden läuft gut, und Anna erscheint pünktlich. Es geht ihr wieder besser. An einem normalen Nachmittag herrscht plötzlich eine Riesenaufregung. Der Nachbarsjunge stürmt in den Shop und diskutiert aufgeregt mit Lketinga. „Darling, what happened?“
frage ich. Er antwortet, daß zwei Ziegen unserer Herde verlorengegangen sind und er sofort aufbrechen muß, um sie zu suchen, bevor es dunkel wird und die wilden Tiere sie erwischen. Gerade will er mit seinen beiden langen Speeren bewaffnet los, als das Hausmädchen des Buschlehrers mit bleichem Gesicht im Laden erscheint.
Auch sie spricht mit Lketinga, und ich verstehe nur, daß es um unseren Wagen und Maralal geht. Beunruhigt frage ich Anna: „Anna, what's the problem?“
Zögernd erzählt sie, daß die Frau des Lehrers zu Hause ein Kind erwartet, sie müsse sofort ins Spital, aber bei der Mission sei niemand da.
Die Frau des Lehrers
Darling, we have to go with her to Maralal“,
sage ich aufgeregt zu meinem Mann. Er meint jedoch, das sei nicht seine Aufgabe, er müsse seine Ziegen suchen. In diesem Moment verstehe ich ihn überhaupt nicht und frage wütend, ob ihm ein Menschenleben nicht mehr wert sei als das eines Tieres. Er sieht das nicht ein, es sei schließlich nicht seine Frau, aber seine Ziegen wären spätestens in zwei Stunden aufgefressen, und damit verläßt er den Shop. Ich bin sprachlos und verzweifelt, daß ausgerechnet mein gutmütiger Mann so kaltherzig sein kann.
Anna teile ich mit, daß ich mir die Frau ansehen und dann entscheiden werde. Ihre Blockhütte liegt zwei Minuten vom Shop entfernt. Beim Betreten der Hütte trifft mich fast der Schlag. Überal liegen blutdurchtränkte Tücher. Die junge Frau liegt zusammengekauert auf dem nackten Fußboden und stöhnt laut. Ich spreche sie an, da ich vom Laden her weiß, daß sie Englisch spricht. Stockend erzählt sie mir, die Blutungen hätten schon vor zwei Tagen begonnen, aber wegen ihres Mannes durfte sie nicht zum Arzt gehen. Er sei sehr eifersüchtig und deswegen gegen eine Untersuchung. Jetzt, nachdem er weggegangen sei, wil sie fort.
Sie schaut mich zum erstenmal an, und ich sehe blanke Angst in ihren Augen.
„Please, Corinne, help me, I am dying!“
Dabei hebt sie ihr Kleid hoch, und ich sehe ein kleines, blaues Armchen aus der Scheide hervorhängen. Mit aller Kraft reiße ich mich zusammen und verspreche, sofort den Landrover von zu Hause zu holen. Ich stürze aus dem Haus zum Shop und sage Anna, daß ich sofort nach Maralal fahre, sie soll den Shop schließen, falls mein Mann bis 19 Uhr nicht zurück ist.
Den Weg zur Manyatta renne ich und spüre kaum, wie mir die Dornenbüsche die Beine zerkratzen. Tränen des Entsetzens und auch der Wut auf meinen Mann laufen mir über das Gesicht. Wenn wir nur Maralal noch rechtzeitig erreichen! Zu Hause steht Mama da und versteht nicht, warum ich al e Wolldecken und sogar unser Fel aus der Manyatta reiße und im Landrover hinten ausbreite. Ich habe keine Zeit, ihr die Geschichte zu erklären. Hier geht es um Minuten. Ich kann kaum klar denken, als ich mit dem Wagen losbrause. Ein Blick auf die Mission bestätigt mir, daß niemand da ist, weil beide Fahrzeuge fehlen. Bei der Blockhütte halte ich an, um zusammen mit dem Mädchen der Frau in den Wagen zu helfen.