Giuliano und Roberto schauen an diesem Tag das erste Mal vorbei und sprechen ihre Bewunderung aus, was mir gut tut. Ich erkundige mich, ob ich das eingenommene Geld bei ihnen deponieren kann, weil mir nichts einfäl t, wo ich soviel Geld aufbewahren könnte. Giuliano ist einverstanden, und so gehe ich jeden Abend bei der Mission vorbei und gebe ein mit Geld gefülltes Kuvert ab.
Mit den neuen Öffnungszeiten kommen die Leute nicht klar, weil die meisten keine Uhr besitzen. Entweder müssen wir fast gewaltsam schließen, oder es sind so viele Menschen da, daß wir doch durcharbeiten. Nach neun Tagen ist unser Shop fast leer, fünf Maissäcke sind noch da, Zucker gibt es seit zwei Tagen keinen mehr. Also müssen wir wieder nach Maralal fahren. Mit etwas Glück sind wir am dritten Tag mit einem Laster zurück. Anna bleibt im Laden, da ohne Zucker wesentlich weniger Betrieb ist.
In Maralal herrscht ebenfalls Zuckerknappheit. Es werden keine Hundertkilosäcke verkauft, der Nachschub ist noch nicht eingetroffen. Ohne Zucker lohnt es sich nicht, nach Barsaloi zurückzufahren. Als nach drei Tagen endlich Zucker eintrifft, werden die Säcke rationiert vergeben. Statt zwanzig Säcken bekommen wir nur acht. Am fünften Tag können wir wieder mit einem Lastwagen abfahren.
In den Tagen in Maralal habe ich einige neue Sachen besorgt, die begehrten Kangas, Kautabak für die Alten und sogar zwanzig Paar Reifen-Sandalen in jeder Größe. Leider reicht das verdiente Geld nicht aus für die Neuanschaffungen. Ich brauche Geld von der Bank und nehme mir vor, den Kilopreis für Mais und Zucker etwas zu erhöhen, obwohl er staatlich vorgeschrieben ist. Aber bei den hohen Transportkosten ist es unmöglich, denselben Preis wie in Maralal zu verlangen.
Zusätzlich müssen wir das 200-Liter-Faß mit Benzin auffüllen.
Diesmal läßt mich Lketinga nicht al ein mit dem Landrover fahren, weil er befürchtet, erneut auf Elefanten oder Büffel zu stoßen. Doch wer sol den Lori begleiten? Lketinga schickt einen Bekannten mit, dem er glaubt vertrauen zu können.
Gegen Mittag fahren wir los und erreichen Barsaloi ohne Schwierigkeiten. Es ist wirklich merkwürdig: Wenn mein Mann dabei ist, läuft al es problemlos.
Im Shop herrscht absolute Ruhe. Anna kommt uns gelangweilt entgegen. In den fünf Tagen ist auch der Rest Maismehl verkauft worden. Nur ab und zu erscheint jemand, um Teepulver oder Omo zu erwerben. Die Kasse ist halb vol mit Scheinen, doch kontrol ieren kann ich es kaum, da ja noch einiges im Lager ist. Ich vertraue Anna.
Wir kehren in unsere Manyatta zurück, in der zwei Krieger friedlich schlafen. Ich bin nicht besonders erbaut, meine Manyatta besetzt vorzufinden, doch weiß ich, daß dies das Gastrecht gebietet. Alle Männer, die zur Altersgruppe von Lketinga gehören, haben das Recht, in unserer Hütte auszuruhen oder zu übernachten. Auch Chai muß ich ihnen anbieten. Während ich das Feuer entfache, unterhalten sich die drei Männer. Lketinga übersetzt mir, daß in Sitedi einem Krieger der Oberschenkel von einem Büffel aufgeschlitzt wurde. Er muß sofort mit dem Auto hin und ihn zum Arzt bringen. Ich bleibe da, weil der Lori in den nächsten zwei Stunden eintreffen muß. Mit ungutem Gefühl gebe ich meinem Mann den Autoschlüssel. Es ist die gleiche Strecke, auf der er vor einem Jahr den Wagen demolierte.
Ich gehe hinunter zu Anna, und wir bringen den Shop in Ordnung, damit alles bereit ist zum Abladen. Gegen Abend zünden wir die zwei neuen Petroleumlampen an. Zudem habe ich einen einfachen Holzkohle-Kocher besorgt, damit ich gelegentlich im hinteren Teil des Shops Tee oder Essen kochen kann.
Endlich kommt der Lori. Bald stehen wieder eine Menge Leute um den Shop. Das Abladen ist schnel erledigt. Diesmal zähle ich die Säcke mit, um sicher zu sein, ob alles dabei ist, doch wie sich herausstellt, ist mein Mißtrauen nicht angebracht. Als die Ware abgeladen ist, herrscht Chaos. Überall türmen sich Kartons, die wir noch ausräumen müssen.
Plötzlich steht mein Mann im Shop. Ich möchte wissen, ob alles in Ordnung ist. „No problem, Corinne, but this man has a big problem“, ist seine Antwort. Er hat den Verwundeten zum Buscharzt gebracht, der das Bein gesäubert und die 20 cm lange Wunde ohne Narkose genäht hat. Jetzt sei er bei uns in der Manyatta, weil er jeden Tag zur Kontrolle muß.
Lketinga hat in Maralal kiloweise Miraa eingekauft, das er zu guten Preisen weiterverkauft. Die ganzen Townpeople kommen wegen des Krautes, sogar zwei Somalis betreten zum ersten Mal unseren Shop. Auch sie sind scharf auf Miraa.
Mein Mann schaut sie böse an und fragt herablassend, was sie hier wollen. Mir ist sein Verhalten peinlich, weil die beiden freundlich sind und sie durch unser Business schon genug Schaden haben. Sie bekommen ihr Miraa und gehen. Gegen 21 Uhr ist der Shop soweit, daß wir morgen den Verkauf weiterführen können.
Als ich in meine Hütte krieche, liegt dort ein stämmiger Krieger mit einem dick verbundenen Bein. Er stöhnt leise vor sich hin. Ich frage, wie es ihm geht. Okay, ist seine Antwort. Doch das heißt hier noch lange nichts. Kein Sambura würde jemals das Gegenteil behaupten, auch wenn er kurz vor dem letzten Atemzug steht. Er schwitzt sehr, und es riecht stark nach einem Gemisch aus Schweiß und Jod. Als kurze Zeit später Lketinga in die Hütte kommt, hat er zwei Bündel Miraa dabei. Er spricht den Verletzten an, doch die Antwort kommt nur stockend. Vermutlich hat der Mann hohes Fieber. Nach einigem Hin und Her darf ich seine Temperatur messen.
Das Fieberthermometer zeigt 40,5 °C. Ich gebe dem Krieger fiebersenkende Medikamente, und kurze Zeit später schläft er ein. In dieser Nacht schlafe ich schlecht. Mein Mann kaut die ganze Nacht Miraa, und der verletzte Krieger stöhnt und schreit manchmal.
Während Lketinga bei seinem Gefährten bleibt, gehe ich am nächsten Morgen zum Laden. Das Geschäft läuft wie verrückt, da sich die Nachricht vom Zucker- und Maismehlnachschub wie ein Lauffeuer verbreitet hat. An diesem Tag macht Anna einen schlappen Eindruck. Immer wieder setzt sie sich. Zwischendurch rennt sie nach draußen und übergibt sich. Beunruhigt frage ich, was los ist. Doch Anna meint, es geht schon, viel eicht habe sie leichte Malaria. Ich schicke sie nach Hause, und der Mann, der unseren Lori begleitet hat, bietet sich an, mir zu helfen. Ich bin froh über diese Unterstützung, da er wirklich zupacken kann. Nach mehreren Stunden schmerzt mein Kreuz wieder fürchterlich. Ob es an der Schwangerschaft oder am ewigen Bücken liegt, weiß ich nicht. Nun bin ich Ende des dritten Monats, vermute ich. Außer einer kleinen Wölbung sieht man noch nichts. Mein Mann zweifelt inzwischen meine Mutterschaft an und meint statt dessen, ich hätte vielleicht ein Geschwür im Bauch.
Nach geraumer Zeit betritt Lketinga den Laden. Im ersten Moment stutzt er und herrscht den Mann an, was er hinter der Theke mache. Ich bediene weiter. Der Mann erzählt von Annas schlechtem Befinden und daß sie deswegen nach Hause ging. Wir arbeiten weiter, und mein Mann sitzt da und kaut immer noch Miraa, was mich ungehalten werden läßt. Ich schicke ihn zum Veterinär, um nachzuschauen, ob heute eine Ziege getötet worden ist, denn ich wil ein gutes Essen mit Fleisch und Kartoffeln machen. Mittags wil ich schließen, damit ich im hinteren Teil kochen und mich waschen kann. Doch Lketinga und der Helfer wollen durcharbeiten. Auf meinem neuen Holzkohleofen koche ich ein schmackhaftes Eintopfgericht. Endlich kann ich wieder einmal in Ruhe essen. Die Hälfte hebe ich für Lketinga auf. Mit vol em Magen kann ich besser arbeiten.
Nach 19 Uhr sind wir zu Hause. Der Verwundete hockt in unserer Hütte. Es scheint ihm besser zu gehen. Doch welch ein Chaos herrscht hier! Überall liegen abgefressene Miraa-Stengel und zerkaute Kaugummi-Klumpen herum. Der Kochtopf steht mit angeklebtem Maisessen neben der Feuerstelle, und rundherum liegen Essensbrocken, auf denen sich Ameisen tummeln. Dazu kommt der üble Geruch in der Hütte. Mir verschlägt es fast den Atem. Ich komme müde von der Arbeit und muß nun erst die Hütte säubern, ganz zu schweigen vom Topf für den Chai, den ich mit den Fingernägeln sauber kratzen muß.