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Auch Salid schwieg für mehrere Sekunden, nachdem er ins Gesicht des Fremden geblickt hatte. Seine Stimme zitterte ganz leise, als er weitersprach, und Brenner bemerkte, daß er die Rückenlehne des Sitzes fester umklammerte, als nötig gewesen wäre.

»Wohin bringen Sie uns?« fragte er. »Zum Kloster«, antwortete der Fremde.

Der Donner der Explosion war längst erloschen, aber die Fensterscheibe schien noch immer unter Kenneallys Fingerspitzen zu vibrieren, und in seinen Ohren hatte das dumpfe Krachen, mit dem der Helikopter auf dem Boden aufschlug und in einem Flammenball auseinanderbarst, eher wie ein Schrei als wie eine Explosion geklungen. Er glaubte die Hitze zu spüren, welche hinter dem zuckenden Licht steckte, das noch immer hinter der Betonmauer auf der anderen Straßenseite loderte; so intensiv, daß seine Hände, die er gegen die Fensterscheibe preßte, plötzlich tatsächlich zu schmerzen begannen. Es war ihm nicht möglich, sie zurückzuziehen.

So wenig, wie es ihm möglich war, irgend etwas zu tun oder auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Alles, was er empfand, war Entsetzen. Diesmal hatte er gesehen, was geschah, und es gab keine Möglichkeit mehr, es irgendwie zu verleugnen. Die Dunkelheit war lebendig geworden und hatte den Helikopter vom Himmel gefegt, so, wie sie vorhin seine Leute von der Straße gefegt hatte – und die getötet, die er ins Haus geschickt hatte. Aber das war etwas anderes gewesen. Die Männer vorhin hatten gewußt, was sie taten. Sie waren sich des Risikos bewußt gewesen – vielleicht nicht der Tatsache, welchem Gegner sie wirklich gegenüberstanden, aber doch der, daß es sich um einen möglicherweise tödlichen Feind handelte. Letztlich spielte es keine Rolle, ob sie von einem palästinensischen Terroristen oder einer mystischen Macht getötet worden waren.

Die beiden Piloten dort drüben waren ahnungslos gewesen. Sie hatten sich in der Sicherheit ihrer unbesiegbaren Vernichtungsmaschine gewähnt und nicht einmal gewußt, was sie erwartete; mehr noch – hätten sie gewußt, was sie wirklich taten, hätten sie Kenneallys Befehl bestimmt nicht befolgt, sondern eher ihn aufs Korn genommen als die drei Männer dort unten auf der Straße. Er hatte sie belogen. Ebensogut hätte er seine Pistole nehmen und sie eigenhändig erschießen können.

Seltsam – Kenneally hatte sich nie viele Gedanken um die Menschen gemacht, die er befehligte und bisweilen in den fast sicheren Tod schicken mußte. Wie viele seiner Kollegen war Kenneally schon vor Jahren zum Zyniker geworden, für den Menschenleben nichts als eine Verfügungsmasse waren, mit der man fast nach Belieben umgehen konnte; etwas von – wenn überhaupt – materiellem Wert, der sich aus den Kosten für Ausbildung, Equipment und den möglichen Regreßansprüchen eventueller Hinterbliebener errechnete. Zum allererstenmal hatte er das Gefühl, mehr als eine Sache zerstört, sondern mit diesen beiden Leben etwas auf sein Gewissen geladen zu haben, das vielleicht zu schwer wog, um noch damit fertig zu werden. Was geschah mit ihm? Was waren das für Gedanken?

Kenneally schloß für einen Moment die Augen und preßte die Stirn gegen das Glas, aber es nutzte nichts. Zwischen seinen Schläfen tobte ein Chaos aus unbekannten, erschreckenden Empfindungen und Bildern, die zu gräßlich waren, um sie zu ertragen, und vor denen er die Augen doch nicht schließen konnte, denn sie spielten sich hinter seinen Lidern ab. Was war das? Verlor er den Verstand?

Nein. Du hast nur gelernt, zu sehen.

Er hörte die Stimme nicht wirklich. Nicht auf die Weise, auf die er sein Leben lang gehört hatte, und im ersten Moment nahm er die Worte nicht einmal wirklich wahr, sondern hielt sie einfach für einen Teil des emotionalen Wirbelsturmes, der durch sein Gehirn fegte. Aber es war etwas darin, das zu gleichen Teilen unendlich fremd und anders als auch auf fürchterliche Weise vertraut war. Kenneally öffnete die Augen. Er wünschte sich, es nicht zu tun, aber er konnte nicht anders.

Er war nicht mehr allein. Das Gefühl, beobachtet zu werden, das ihn die ganze Zeit über gequält hatte, wich schlagartig dem Wissen, daß jemand hinter ihm stand. Er sah nur einen Schatten, einen verzerrten Reflex auf der Fensterscheibe, der sich im züngelnden Licht der Flammen auf unheimliche Weise zu bewegen schien, und trotzdem wußte er sofort, wer es war.

»Was willst du?« stöhnte er. »Geh. Laß mich in Frieden! Geh! «

Die Gestalt, die Smith war, obwohl sie es nicht sein konnte, bewegte sich einige Schritte weit auf ihn zu und wurde nun auch in der Spiegelung auf dem Glas zu einem Körper.Trotzdem war etwas an ihr auf grauenerregende Weise falsch.

Es ist noch nicht zu spät.

Kenneally ertrug den Druck nicht mehr. Kein Schrecken, den er sah, konnte so entsetzlich sein wie der, den er nicht sah. Mit einem Ruck drehte er sich zu Smith herum und hob gleichzeitig seine Waffe. Ganz gleich, auf welche Weise Smith den Tod überlistet hatte, ob er nun zu einem Zombie geworden war oder zu einem mythischen Dämon, er konnte wenigstens versuchen,ihn –

Kenneally brachte weder den Gedanken noch die Bewegung gänzlich zu Ende.

Es gab nichts, was er tun konnte.

Smith war kein Zombie, keine lebende Leiche, die aus einem Horrorfilm entsprungen war. Smith war überhaupt nicht Smith, sondern eine wirbelnde, kribbelnde Masse aus Tausenden und Abertausenden durcheinanderwuselnder, vielbeiniger, glitzernder … Dinger, die ihn aus winzigen Augen anstarrten. Das Ding, das seinen Anzug ausfüllte und die Formen seines Gesichts okkupiert hatte, befand sich in ständiger, brodelnder Bewegung, in der es vermutlich auch bleiben mußte, um den Kräften der Schwerkraft zu widerstehen, die es zu Boden reißen und seiner unnatürlichen Form berauben wollten. Unter Smith' zerfetztem Anzug schienen ein Dutzend Herzen gleichzeitig und in unterschiedlichemTakt zu schlagen. Arme und Beine veränderten unentwegt ihre Länge, und seine Hände hatten mal zwei Finger, dann keine und dann wieder ein Dutzend, und immer wieder fielenTeile der gräßlichen Masse

herunter und krabbelten auf mikroskopisch kleinen Beinchen zurück, um sich erneut mit dem alptraumhaften Gebilde zu vereinen. Nur das Gesicht behielt seine Form, aber das machte den Anblick eher noch schlimmer, statt ihm seinen Schrecken zu nehmen. Kenneally spürte, wie sein Herz aussetzte. Eine Hand aus Eis griff durch seine Kopfhaut und den Schädel hindurch und begann sein Gehirn zusammenzudrücken, und er konnte nicht mehr atmen. Er war …

Verrückt.

Er hatte den Verstand verloren, erlag einer durch und durch gräßlichen Halluzination.

Nein. Das hast du nicht.

O doch, das hatte er. Er hatte – zumindest für einen kurzen Moment – die Grenzen zwischen Normalität und Wahnsinn überschritten, und dieser Gedanke erschreckte ihn nicht im geringsten. Ganz im Gegenteil, es war vielleicht das einzige, was ihn noch davor bewahrte, tatsächlich den Verstand zu verlieren. Er stand einem Mann gegenüber, der kein Mann war, sondern eine grauenerregende Karikatur eines Menschen, die aus Tausenden winziger Insekten bestand, und das konnte nur eine Halluzination sein. Kenneally wich wieder zurück, bis er mit dem Rücken gegen die Fensterscheibe stieß, und führte die Bewegung seiner rechten Hand verspätet zu Ende. Die Mündung der Pistole richtete sich auf Smith' Gesicht.

»Was willst du?« fragte er. Es machte ihm nichts aus, mit einer Halluzination zu sprechen. Ganz im Gegenteil machte es die Situation erträglicher. Er konnte mit der Vorstellung leben, den Verstand verloren zu haben und sich das alles nur einzubilden. Mit der, daß es wirklich geschah, nicht. Ganz bestimmt nicht.

Ich bin gekommen, um dich zu warnen. Es ist noch nicht zu spät. »Zu spät? Wofür?«

Die Gestalt kam näher, aber sie tat es eigentlich, ohne sich wirklich zu bewegen – das hieß, sie machte keine Schritte, oder irgendeine andere Art von Bewegung, wie Kenneally sie jemals gesehen hätte. Es war ein gräßliches Fließen und Gleiten, als bestünde der Körper aus flüssigem Protoplasma, das nur von einer dünnen weichen Haut zusammengehalten wurde. Kenneally versuchte um die gleiche Distanz zurückzuweichen, aber hinter ihm war nur noch das Fenster. Das Glas knackte, als er sich mit aller Kraft dagegenpreßte, und eigentlich hätte es unter dem Druck zerbrechen müssen.

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