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„Richtig, Rod.“

„Und sie jagen mir im Grund genommen gar nicht wirklich Angst ein, sondern lediglich das Gefühl, Angst zu haben?“

„Wieder richtig.“

„Das ist eine Erleichterung. Ich hatte schon befürchtet, ich sei plötzlich zum Feigling geworden.“

„Es gibt keinen Menschen, der nicht hin und wieder Angst empfindet, Rod.“

„Ja, aber nur ein Feigling läßt sich davon beherrschen.“

Rod löste sich von der Wand und zwang sich dazu, einfach durch den Geist vor sich hindurchzugehen.

Plötzlich erstarb das Ächzen, und die Geister verschwanden mit einem verzweifelten Heulen.

„Sie sind fort!“ krächzte Rod.

„Natürlich. Sobald Sie ihnen bewiesen haben, daß sie Sie nicht beeinflussen können, fürchten sie sich vor Ihnen.“

Rod spreizte die Beine und stemmte die Fäuste an die Hüften.

Grinsend legte er den Kopf zurück. „He, ihr Geister! Ist euch jetzt klar, wer der Boß hier ist?“ Er lauschte den Echos seiner Stimme, die gewaltig von den leeren Wänden widerhallte.

Eine grabestiefe, betrübte Stimme antwortete ihm stöhnend aus der Luft. „Verlaßt uns, Sterblicher. Gönnt uns den Frieden unserer Gruft. Wir tun niemandem etwas in unseren kalten

alten Gewölben.“

„Niemanden, außer denen, die hierherkommen“, schnaubte Rod. „Und die tötet ihr, genau wie ihr mich getötet hättet -

durch die Furcht, die sie vor euch empfinden.“

„Nur Wahnsinnige und Toren kommen hierher. Und würdet nicht auch Ihr Euer Zuhause verteidigen?“

„Welches Recht habt ihr auf diese Gewölbe?“

Plötzlich zeigte sich einer der Geister über ihm. „Ich I war einst Horatio, der erste Herzog Loguire!“ donnerte er wütend. „Ich erbaute diese Burg! Habe ich da kein Recht auf ein armseliges, kaltes Plätzchen in ihren Mauern?“

„Doch, ich glaube schon. Aber wie viele habt Ihr getötet, bis man Euren Anspruch anerkannte?“

„Keinen.“ Es klang bedauernd. „Sie sind alle furcht erfüllt geflohen.“

„Ich beabsichtige nicht, Euch etwas anzutun, Horatio.“ Rod grinste sarkastisch. „Selbst wenn ich es wollte, wie könnte ich?“

„Das wißt Ihr nicht, Sterblicher?“

„Ein Geist“, erklärte Gekab hastig hinter Rods Ohr, „genau wie alle übernatürlichen Wesen, scheuen kaltes Eisen und Silber.

Selbst Gold erfüllt seinen Zweck, wird jedoch aufgrund seines Preises selten für eine Geisterjagd verwendet.“

Horatio richtete sich in voller Geistesgröße auf und kam näher.

Rod zog den Dolch. „Halt!“ rief er. „Kaltes Eisen, seht!“

„Außerdem kennen Sie das Geheimnis ihrer Macht. Sie könnten eine ganze Armee hierherbringen, solange jeder sich etwas in die Ohren stopft“, unterrichtete Gekab Rod.

„Ich kenne das Geheimnis eurer Macht“, sagte Rod laut, „und kann eine ganze Armee hierherbringen, solange jeder sich etwas in die Ohren stopft.“

Der Geist hielt enttäuscht an. „Aber Ihr sagtet doch, Ihr wüßtet nicht…“

„Ich weiß es jetzt. Also, zurück!“

Zögernd wich Horatio zurück. „Welches Phantom berät Euch?“

Rod grinste. „Ein schwarzes Pferd aus kaltem Eisen. Es steht im Stall der Burg, aber es kann von dort aus mit mir sprechen.“

„Ein Puka? Ein Geisterpferd! Ein Verräter der Welt der Geister!“

„Nein. Es ist kein Geist. Ich sagte doch, daß es aus Eisen ist!“

„So etwas gibt es nicht!“

„Es gibt es, das dürft Ihr mir glauben, Horatio. Aber das ist unwichtig. Euch sollte nur interessieren, daß ich nicht beabsichtige, gegen euch vorzugehen. Ich suche bloß nach etwas. Sobald ich es gefunden habe, verschwinde ich, einverstanden?“

„Ihr habt die Oberhand! Weshalb fragt Ihr?“ brummte der Geist.

„Reine Höflichkeit“, murmelte Rod. Plötzlich kam ihm eine Idee. „Oh, übrigens, ich bin Minnesänger…“

Der Geist riß den O-Mund noch weiter auf, dann kam er mit ausgestreckten Armen auf Rod zu. „Musik! Süße Musik! Spielt für uns, Mann, dann könnt Ihr über uns befehlen!“

„Einen Augenblick!“ Rod hob eine Hand, „Ihr habt die Burg erbaut, Horatio Loguire, deshalb ersuche ich Euch, mir zu gestatten, in Frieden durch all Eure Räume zu wandeln.

Gewährt Ihr es mir, werde ich für euch spielen.“

„Ihr dürft wandeln, wohin Ihr wollt!“ versprach der Geist vor Aufregung zitternd. „Nur spielt für uns, Mann!“

Sehr gut, dachte Rod. Er hatte sein Gesicht gerettet. Und schließlich hat es keinen Sinn, sich Feinde zu machen, wenn es sich verhindern ließ. Er schaute hoch und zuckte erschrocken zurück. Er war von einer dichten Mauer von Geistern umgeben, die ihn alle hungrig anstarrten. Er schluckte und holte die Harfe von seinem Rücken. Nur gut, daß er nicht dazu gekommen war, sie in der Dachkammer abzustellen.

Als er versuchshalber über die Saiten strich, erhob sich ein ekstatisches Stöhnen von den Geistern. Da wurde Rod erst richtig klar, daß er die Situation ausnutzen konnte. „Hört, Lord Horatio, würdet Ihr mir für zwei Lieder verraten, wo die Geheimgänge sind?“

„Gewiß! Gewiß!“ kreischte der Geist. „Die Burg ist Euer, meine ganze Domäne, alles, was ich besitze! Ja, das Königreich, wenn Ihr es wollt! Nur spielt für uns, Mann! Seit zehnhundert Jahren haben wir keine menschliche Musik mehr gehört!“

Rods Finger zupften die Saiten, und die Geister erschauderten wie ein Schulmädchen beim ersten Kuß. Er spielte und sang, was ihm gerade einfiel, Volksweisen, Märsche, Seemannslieder, sogar Beethovens Sechste, die auf einer Miniaturharfe gar nicht leicht wiederzugeben war. Als die letzten Echos verhallten, seufzten die Geister zufrieden, doch traurig, daß er schon aufhörte. „Das war eine reiche Auswahl, Mann“, sagte Lord Horatios Stimme zu Rods Linker. „Aber vielleicht noch eine kleine, ganz kurze Weise?“ Rod schüttelte bedauernd den Kopf. „Die Nacht schreitet voran, Mylord, und ich habe vor dem Morgengrauen noch viel zu tun. Ich werde in einer anderen Nacht wiederkommen.“ „Wir haben Euch sehr zu danken, Mann, und werden uns dafür erkenntlich zeigen. Kommt mit mir und ich zeige Euch alle Geheimgänge und — türme der Burg.“ Er schwebte Rod voran. Alle anderen Geister hatten sich inzwischen bereits zurückgezogen.

Rod zählte seine Schritte. Nach fünfzig bog der Geist um eine Ecke in einen riesigen Raum. „Das war unsere Banketthalle“, erklärte er seufzend. „Herrliche Feste feierten wir hier. Und nun sind sie alle tot, alle meine Freunde und die lieblichen Maiden, die uns bei fröhlicher Musik unterhielten. Und seither herrschten sechzig Söhne meines Blutes an meiner Stelle über die Marschen. Doch jetzt haben andere das Wort in meiner herrlichen Halle — Schakale, Hyänen, eine Schande für meine alten Kameraden und mich, daß sie in Menschengestalt wandeln.“

Rod spitzte die Ohren. „Wie meint Ihr das, Mylord? Jemand hat Euch Eure Halle gestohlen?“ „Verkümmerte, gemeine Niederlinge!“ knirschte der Lord. „Eine Brut verderbter, gemeiner Feiglinge — und ihr Führer ist Ratgeber eines Sprosses meines Geschlechts, des Herzogs Loguire.“ „Durer!“ hauchte Rod.

„Nennt er sich so? Hört mich an, Mann. Sein Herz ist hart und seine Seele spröde wie Eisen. Aber wie Ihr wißt, kann hartes, sprödes Eisen durch einen starken Hieb mit geschmiedetem Eisen zerschlagen werden. Und genauso können diese bösartigen Zerrbilder von Menschen durch einen Mann gebrochen werden, der wahrhaft ein Mann ist.“ Der Geist ließ die Schultern hängen und beugte den Kopf. „Wenn es in diesem dunklen Zeitalter noch wahre Männer gibt!“ Rods Blick löste sich von dem Geist und wanderte durch den gewaltigen Raum, aber es war zu dunkel, viel zu sehen. „Mein Lord Loguire“, sagte er. „Wenn ich der Mann sein soll, der die Ratgeber bricht, so muß ich soviel wie möglich über sie erfahren. Sagt mir deshalb, was sie in dieser Halle tun.“ „Hexerei üben sie aus!“ knurrte der Geist. „Schwärzeste Magie! Auf eine Weise, wie ich sie Euch kaum beschreiben kann…“ Er stöhnte. „Wisset, daß diese verkümmerten Wichte hier einen Altar aus glänzendem Metall errichteten — es ist weder Silber noch Gold, auch kein anderes Metall, wie ich es kenne —, genau hier in der Mitte der Halle, wo einst meine Höflinge tanzten.“

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