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„Sagen wir, sie dulden sie, obgleich man mich auch hier manchmal lieber gehen als kommen sieht.“

Rod lief es kalt über den Rücken. Er fragte sich, welche Art von Mensch dieser junge Bursche war.

Tuan klopfte noch einmal. Endlich öffnete sich die Tür knarrend, aber nur so weit, daß sie gerade hindurchschlüpfen konnten.

„Unser Gastgeber“, sagte Tuan grinsend. „Der Spötter.“

Die bucklige, knorrige, schrumpelige Travestie eines Mannes stieß ein paar unverständliche Laute aus. Ein Ohr war deformiert, das andere überhaupt nicht mehr vorhanden, die Augen über der Knollennase waren schmale Schlitze, die boshaft glitzerten. Gekleidet war der Mann in Flicken und Fetzen, die vielleicht einmal Wams und Hose gewesen sein mochten und jetzt lose von der Vogelscheuchengestalt herabhingen.

Er eilte zurück in die stinkende Dunkelheit seines Baues. Tuan folgte ihm. Rod holte noch einmal tief frische Luft, straffte die Schultern und schaute sich um, um sich zu vergewissern, daß Gekab seinen Posten vor dem Haus bezogen hatte.

Die Tür schloß sich hinter Rod, und fast gleichzeitig öffnete sich am anderen Ende des Ganges eine zweite. Rod riß die Augen auf. Eine riesige Schenkstube, schon fast ein Rittersaal, befand sich dahinter mit vier hell flackernden Feuern und vielen Dutzenden von Fackeln in Wandhalterungen. Köstlich duftendes Fleisch brutzelte an Spießen über den Feuern, Schenkburschen bahnten sich einen Weg durch die Menge mit Krügen und Bechern voll Bier und Wein aus zwei riesigen Fässern, die einen großen Teil der Wand einnahmen. Die Gäste waren der Abschaum der hiesigen Gesellschaft. Ihre Kleidung war mit Flicken besetzt, zerris sen und schmutzig. Sie selbst waren Beweis der primitiven Gerechtigkeit dieser Stadt: einem fehlte ein Ohr, dem anderen ein Auge. Ihre Gesichter waren von Krankheiten gezeichnet und verunstaltet. Doch hier unter sich waren sie laut und fröhlich. Alle grinsten, obgleich die Bosheit aus ihren Augen funkelte, als sie Rod betrachteten. Sie allerdings verschwand schlagartig beim Anblick des jungen Tuans und machte etwas Platz, das Verehrung sehr nahe kam. Der Junge lächelte. „Man sagt, daß es keine Ehre unter Dieben gäbe, doch zumindest gibt es etwas wie eine Seelenverwandtschaft zwischen den Bettlern von Gramayre. Willkommen, Rod Gallowglass, im Haus Clovis.“ Die Härchen an Rods Nacken stellten sich auf. Er erinnerte sich des Mobs in der Kaigegend am vergangenen Abend. Seine Augen weiteten sich. Er starrte Tuan an. Er konnte es doch nicht sein. Nein, er konnte nicht…

O doch. Er war es! Tuan McReady war der junge Redner, der die Meute aufgewiegelt hatte. Dieser hübsche Junge mit den Apfelbäckchen war die Oberratte in den hiesigen Abwasserkanälen.

Die Menge brach in Jubelrufe aus und hieß ihren Sir Galahad willkommen. Der Junge grinste und winkte freundlich. Sein Gesicht hatte sich rot gefärbt. Es sah ganz so aus, als machte dieser Empfang ihn verlegen. Er hatte keinen Ton zu dem Spötter gesagt, aber kaum saßen sie, wurden ihm auch schon

zwei dampfende Krüge mit Glühwein vorgesetzt. Wortlos und ohne Bezahlung zu verlangen, zog der Wirt sich wieder zurück.

Rod blickte ihm mit einer erhobenen Braue nach. „Ihr benutzt kein Geld hier?“ fragte er Tuan.

„Nein.“ Der Junge lächelte. „Alle, die zum Haus Clovis kommen, bringen das bißchen Geld mit, das sie haben. Es wird in eine gemeinsame Kasse gegeben, und alle erhalten kostenlos Fleisch und Wein nach ihren Bedürfnissen.“

„Und einen Platz zum Schlafen, nehme ich an?“

„Ja, und Kleidung. Ein Gentleman würde darüber die Nase rümpfen, aber für meine armen Brüder sind es ungeahnte Herrlichkeiten.“

Rod studierte das Gesicht des Jungen und kam zu der Überzeugung, daß er es ernst gemeint hatte, als er Brüder sagte.

Er lehnte sich zurück und verschränkte die Beine. „Würdet Ihr Euch als religiös bezeichnen?“

„Ich?“ Tuan versuchte ein Lachen zurückzuhalten, aber es gelang ihm nicht ganz. „O nein! Ich wollte, ich wäre es, aber ich habe fünf Dutzend und mehr Sonntage keine Kirche von innen gesehen.“

Also, dachte Rod, waren seine Motive, den Armen zu helfen -

was immer sie auch sonst sein mochten —, jedenfalls nicht heuchlerisch. Er schaute in seinen Krug. „Ihr versorgt und kleidet also all diese Menschen mit den Almosen, die sie euch bringen?“

„Nein, es ist nur ein Anfang. Aber bei so vielen ernsthaften Beweisen unseres guten Willens fand unsere edle Königin uns einer Unterstützung würdig.“

Rod sperrte die Augen auf. „Ihr wollt damit sagen, daß die Königin euch allen unter die Arme greift?“

Tun grinste verschmitzt. „O ja, obgleich sie selbst es nicht weiß, wem sie hilft. Sie kennt das Haus Clovis nur dem Namen nach und gibt dem guten Brom O'Berin Geld, damit er für ihre

Armen sorgt.“

„Und Brom gibt es Euch?“

„Richtig. Und er seinerseits ist froh darüber, daß es weniger Meuchelmorde und Raub in den dunklen Gassen gibt.“

„Sehr schlau! Und es war Eure Idee?“

„O nein, die des Spötters, aber auf ihn wollte niemand hören.“

Rod starrte ihn an. „Der Spötter? Ihr meint, dieser, Verwachsene aus einer schlechten Schmierenkomödie ist der Anführer des Ganzen?“

Tuan runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Niemand will ihm folgen, Freund Gallowglass, es ist nichts Respekteinflößendes an ihm. Er ist der Wirt, der die Sachen verteilt, wie sie benötigt werden — nur ein Verweser, sozusagen, aber ein sehr guter. Einen besseren Kämmerer als ihn findet man nicht so leicht. Selbst der Schatzmeister der Königin kann ihm nicht das Wasser reichen.“

„Ich verstehe, nur ein Verweser.“ Aber auch der Mann, der die Finanzen verwaltet, fügte Rod in Gedanken hinzu. Und ebenfalls der Kopf des Ganzen. Tuan mag zwar mit Menschen umzugehen verstehen und sie dazu bringen, zu tun, was er will — aber weiß er überhaupt, was er will? Ja, natürlich, denn hatte der Spötter ihn nicht aufgeklärt? Was wiederum den Spötter zum wirtschaftspolitischen Mann im Hintergrund macht, und vermutlich verfaßt er auch Tuans Reden.

Rod lehnte sich zurück und rieb das Kinn. „Und Ihr schafft es, mit lediglich den Almosen, die die Bettler herbeibringen, und den Groschen der Königin, diesen dekadenten Luxus zu verschaffen?“

Tuan grinste ein wenig dämlich und beugte sich nickend vor.

„Aber es ist nicht einfach, Freund Gallowglass. Diese Bettler lassen sich nicht gern von irgend jemandem herumkommandieren. Es ist wahrhaftig nicht einfach, sie zu überreden, ihnen zu drohen, zu schmeicheln. Aber es ist die Mühe wert.“

Rod nickte. „Dazu gehört ein Mann ohne falschen Stolz und mit noch weniger falscher Bescheidenheit — einer, der seinen Mitmenschen ins Herz schauen kann.“

Tuan errötete.

„Ein solcher Mann“, fuhr Rod fort, „kann sich zum König der Bettler machen.“

Der Junge schüttelte mit geschlossenen Lidern den Kopf.

„Nein, es gibt hier keinen König, Freund Gallowglass!

Lediglich vielleicht einen Hausherrn.“

„Und Ihr wollt nicht König sein?“

„Das würden die Bettler sich nicht gefallen lassen.“

„So meinte ich es auch nicht.“

Tuan blickte Rod in die Augen. Das Lächeln schwand von seinem jungenhaften Gesicht. Als ihm die Bedeutung von Rods Worten klar wurde, verhärteten sich seine Züge. „Nein!“ sagte er grimmig. „Ich habe nicht vor, den Thron an mich zu reißen!“

„Warum wollt Ihr dann die Bettler gegen die Königin führen?“

Wieder überzog das jungenhafte Lächeln Tuans Gesicht. Er wirkte sehr selbstzufrieden. „Ah, dann wißt Ihr von meinem Komplott, und ich kann Euch offen heraus fragen: Schließt Ihr Euch uns an, wenn wir zur Burg marschieren?“

Rods Miene erstarrte, aber seine Stimme klang völlig ruhig.

„Weshalb ich?“

„Wir möchten so viele Freunde, wie es nur geht, in der Leibgarde der Königin…“

„Ihr müßt wohl schon eine ganze Menge haben, wenn Ihr bereits wißt, daß ich heute in der Garde aufgenommen wurde.“

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