Zweite Nachschrift
— Mein Brief, scheint es, ist einem Missverständnisse ausgesetzt. Auf gewissen Gesichtern zeigen sich die Falten der Dankbarkeit; ich höre selbst ein bescheidenes Frohlocken. Ich zöge vor, hier wie in vielen Dingen, verstanden zu werden. — Seitdem aber in den Weinbergen des deutschen Geistes ein neues Thier haust, der Reichswurm, die berühmte Rhinoxera, wird kein Wort von mir mehr verstanden. Die Kreuzzeitung selbst bezeugt es mir, nicht zu reden vom litterarischen Centralblatt. — Ich habe den Deutschen die tiefsten Bücher gegeben, die sie überhaupt besitzen — Grund genug, dass die Deutschen kein Wort davon verstehn… Wenn ich in dieser Schrift Wagnern den Krieg mache — und, nebenbei, einem deutschen» Geschmack«—, wenn ich für den Bayreuther Cretinismus harte Worte habe, so möchte ich am allerwenigsten irgend welchen andren Musikern damit ein Fest machen. Andre Musiker kommen gegen Wagner nicht in Betracht. Es steht schlimm überhaupt. Der Verfall ist allgemein. Die Krankheit liegt in der Tiefe. Wenn Wagner der Name bleibt für den Ruin der Musik, wie Bernini für den Ruin der Skulptur, so ist er doch nicht dessen Ursache. Er hat nur dessen tempo beschleunigt, — freilich in einer Weise, dass man mit Entsetzen vor diesem fast plötzlichen Abwärts, Abgrundwärts steht. Er hatte die Naivetät der décadence: dies war seine Überlegenheit. Er glaubte an sie, er blieb vor keiner Logik der décadence stehn. Die Andern zögern — das unterscheidet sie. Sonst Nichts!… Das Gemeinsame zwischen Wagner und» den Andern«— ich zähle es auf: der Niedergang der organisirenden Kraft; der Missbrauch überlieferter Mittel, ohne das rechtfertigende Vermögen, das zum-Zweck; die Falschmünzerei in der Nachbildung grosser Formen, für die heute Niemand stark, stolz, selbstgewiss, gesund genug ist; die Überlebendigkeit im Kleinsten; der Affekt um jeden Preis; das Raffinement als Ausdruck des verarmten Lebens; immer mehr Nerven an Stelle des Fleisches. — Ich kenne nur Einen Musiker, der heute noch im Stande ist, eine Ouvertüre aus ganze in Holze zu schnitzen: und Niemand kennt ihn… Was heute berühmt ist, macht, im Vergleich mit Wagner, nicht» bessere «Musik, sondern nur unentschiedenere, sondern nur gleichgültigere: — gleichgültigere, weil das Halbe damit abgethan ist, dass das Ganze da ist. Aber Wagner war ganz; aber Wagner war die ganze Verderbniss; aber Wagner war der Muth, der Wille, die Überzeugung in der Verderbniss — was liegt noch an Johannes Brahms!… Sein Glück war ein deutsches Missverständniss: man nahm ihn als Antagonisten Wagner's, — man brauchte einen Antagonisten! — Das macht keine nothwendige Musik, das macht vor Allem zu viel Musik! — Wenn man nicht reich ist, soll man stolz genug sein zur Armuth!… Die Sympathie, die Brahms unleugbar hier und da einflösst, ganz abgesehen von jenem Partei-Interesse, Partei-Missverständnisse, war mir lange ein Räthsel: bis ich endlich, durch einen Zufall beinahe, dahinter kam, dass er auf einen bestimmten Typus von Menschen wirkt. Er hat die Melancholie des Unvermögens; er schafft nicht aus der Fülle, er durstet nach der Fülle. Rechnet man ab, was er nachmacht, was er grossen alten oder exotisch-modernen Stilformen entlehnt — er ist Meister in der Copie — , so bleibt als sein Eigenstes die Sehnsucht… Das errathen die Sehnsüchtigen, die Unbefriedigten aller Art. Er ist zu wenig Person, zu wenig Mittelpunkt… Das verstehen die» Unpersönlichen «die Peripherischen, — sie lieben ihn dafür. In Sonderheit ist er der Musiker einer Art unbefriedigter Frauen. Fünfzig Schritt weiter: und man hat die Wagnerianerin — ganz wie man fünfzig Schritt über Brahms hinaus Wagner findet — , die Wagnerianerin, einen ausgeprägteren, interessanteren, vor Allem anmuthigeren Typus. Brahms ist rührend, so lange er heimlich schwärmt oder über sich trauert — darin ist er» modern«—; er wird kalt, er geht uns Nichts mehr an, sobald er die Klassiker beerbt… Man nennt Brahms gern den Erben Beethoven's: ich kenne keinen vorsichtigeren Euphemismus. — Alles, was heute in der Musik auf» grossen Stil «Anspruch macht, ist damit entweder falsch gegen uns oder falsch gegen sich. Diese Alternative ist nachdenklich genug: sie schliesst nämlich eine Casuistik über den Werth der zwei Fälle in sich ein.»Falsch gegen uns«: dagegen protestirt der Instinkt der Meisten — sie wollen nicht betrogen werden — ; ich selbst freilich würde diesen Typus immer noch dem anderen (»falsch gegen sich«) vorziehn. Dies ist mein Geschmack. — Fasslicher, für die» Armen im Geiste «ausgedrückt: Brahms — oder Wagner… Brahms ist kein Schauspieler. — Man kann einen guten Theil der andren Musiker in den Begriff Brahms subsumiren. — Ich sage kein Wort von den klugen Affen Wagner's, zum Beispiel von Goldmark: mit der» Königin von Saba «gehört man in die Menagerie, — man kann sich sehen lassen. — Was heute gut gemacht, meisterhaft gemacht werden kann, ist nur das Kleine. Hier allein ist noch Rechtschaffenheit möglich. — Nichts kann aber die Musik in der Hauptsache von der Hauptsache kuriren, von der Fatalität, Ausdruck des physiologischen Widerspruchs zu sein, — modern zu sein. Der beste Unterricht, die gewissenhafteste Schulung, die grundsätzliche Intimität, ja selbst Isolation in der Gesellschaft der alten Meister — das bleibt Alles nur palliativisch, strenger geredet, illusorisch, weil man die Voraussetzung dazu nicht mehr im Leibe hat: sei dies nun die starke Rasse eines Händel, sei es die überströmende Animalität eines Rossini. — Nicht jeder hat das Recht zu jedem Lehrer: das gilt von ganzen Zeitaltern. — An sich ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass es noch Reste stärkerer Geschlechter, typisch unzeitgemässer Menschen irgendwo in Europa giebt: von da aus wäre eine verspätete Schönheit und Vollkommenheit auch für die Musik noch zu erhoffen. Was wir, besten Falls, noch erleben können, sind Ausnahmen. Von der Regel, dass die Verderbniss obenauf, dass die Verderbniss fatalistisch ist, rettet die Musik kein Gott. —
Epilog
— Entziehen wir uns zuletzt, um aufzuathmen, für einen Augenblick der engen Welt, zu der jede Frage nach dem Werth von Personen den Geist verurtheilt. Ein Philosoph hat das Bedürfniss, sich die Hände zu waschen, nachdem er sich so lange mit dem» Fall Wagner «befasst hat. — Ich gebe meinen Begriff des Modernen. — Jede Zeit hat in ihrem Maass von Kraft ein Maass auch dafür, welche Tugenden ihr erlaubt, welche ihr verboten sind. Entweder hat sie die Tugenden des aufsteigenden Lebens: dann widerstrebt sie aus unterstem Grunde den Tugenden des niedergehenden Lebens. Oder sie ist selbst ein niedergehendes Leben, — dann bedarf sie auch der Niedergangs-Tugenden, dann hasst sie Alles, was aus der Fülle, was aus dem Überreichthum an Kräften allein sich rechtfertigt. Die Aesthetik ist unablöslich an diese biologischen Voraussetzungen gebunden: es giebt eine décadence-Aesthetik, es giebt eine klassische Aesthetik, — ein» Schönes an sich «ist ein Hirngespinst, wie der ganze Idealismus. — In der engeren Sphäre der sogenannten moralischen Werthe ist kein grösserer Gegensatz aufzufinden, als der einer Herren-Moral und der Moral der christlichen Werthbegriffe: letztere, auf einem durch und durch morbiden Boden gewachsen (- die Evangelien führen uns genau dieselben physiologischen Typen vor, welche die Romane Dostoiewsky's schildern), die Herren-Moral (»römisch«,»heidnisch«,»klassisch«,»Renaissance«) umgekehrt als die Zeichensprache der Wohlgerathenheit, des aufsteigenden Lebens, des Willens zur Macht als Princips des Lebens. Die Herren-Moral bejaht ebenso instinktiv, wie die christliche verneint (»Gott«,»Jenseits«,»Entselbstung «lauter Negationen). Die erstere giebt aus ihrer Fülle an die Dinge ab — sie verklärt, sie verschönt, sie vernünftigt die Welt — , die letztere verarmt, verblasst, verhässlicht den Werth der Dinge, sie verneint die Welt.»Welt «ein christliches Schimpfwort. — Diese Gegensatzformen in der Optik der Werthe sind beide nothwendig: es sind Arten zu sehen, denen man mit Gründen und Widerlegungen nicht beikommt. Man widerlegt das Christenthum nicht, man widerlegt eine Krankheit des Auges nicht. Dass man den Pessimismus wie eine Philosophie bekämpft hat, war der Gipfelpunkt des gelehrten Idiotenthums. Die Begriffe» wahr «und» unwahr «haben, wie mir scheint, in der Optik keinen Sinn. — Wogegen man sich allein zu wehten hat, das ist die Falschheit, die Instinkt-Doppelzüngigkeit, welche diese Gegensätze nicht als Gegensätze empfinden will: wie es zum Beispiel Wagner's Wille war, der in solchen Falschheiten keine kleine Meisterschaft hatte. Nach der Herren-Moral, der vornehmen Moral hinschielen (- die isländische Sage ist beinahe deren wichtigste Urkunde) und dabei die Gegenlehre, die vom» Evangelium der Niedrigen«, vom Bedürfniss der Erlösung, im Munde führen!… Ich bewundere, anbei gesagt, die Bescheidenheit der Christen, die nach Bayreuth gehn. Ich selbst würde gewisse Worte nicht aus dem Munde eines Wagner aushalten. Es giebt Begriffe, die nicht nach Bayreuth gehören… Wie? ein Christenthum, zurechtgemacht für Wagnerianerinnen, vielleicht von Wagnerianerinnen — denn Wagner war in alten Tagen durchaus feminini generis — ? Nochmals gesagt, die Christen von heute sind mir zu bescheiden… Wenn Wagner ein Christ war, nun dann war vielleicht Liszt ein Kirchenvater! — Das Bedürfniss nach Erlösung, der Inbegriff aller christlichen Bedürfnisse hat mit solchen Hanswursten Nichts zu thun: es ist die ehrlichste Ausdrucksform der décadence, es ist das überzeugteste, schmerzhafteste ja-sagen zu ihr in sublimen Symbolen und Praktiken. Der Christ will von sich loskommen. Le moi est toujours haïssable. — Die vornehme Moral, die Herren-Moral, hat umgekehrt ihre Wurzel in einem triumphirenden ja-sagen zu sich, — sie ist Selbstbejahung, Selbstverherrlichung des Lebens, sie braucht gleichfalls sublime Symbole und Praktiken, aber nur» weil ihr das Herz zu voll «ist. Die ganze schöne, die ganze grosse Kunst gehört hierher: beider Wesen ist Dankbarkeit. Andrerseits kann man von ihr nicht einen Instinkt-Widerwillen gegen die décadents, einen Hohn, ein Grauen selbst vor deren Symbolik abrechnen: dergleichen ist beinahe ihr Beweis. Der vornehme Römer empfand das Christenthum als foeda superstitio: ich erinnere daran, wie der letzte Deutsche vornehmen Geschmacks, wie Goethe das Kreuz empfand. Man sucht umsonst nach werthvolleren, nach nothwendigeren Gegensätzen…[1]