Sie mögen sich es denken, mit welcher verstörenden Gewalt dieser entsetzliche Auftritt das vierjährige Kind erfassen mußte. Man versuchte mich zu trösten, mir begreiflich zu machen, was wahnsinnig sei. Ohne dies ganz zu verstehen, ging doch ein tiefes, namenloses Grausen durch mein Inneres, das noch jetzt wiederkehrt, wenn ich einen Wahnsinnigen erblicke, ja wenn ich nur an den fürchterlichen Zustand denke, der einer fortgesetzten ununterbrochenen Todesqual zu vergleichen. – Jenem Unglücklichen sehen Sie ähnlich, Kreisler, als wären Sie sein Bruder. Vorzüglich erinnert mich Ihr Blick, den ich oft seltsam nennen möchte, nur zu lebhaft an Leonhard, und dies ist es, was mich, als ich Sie zum erstenmal erblickte, außer Fassung brachte, was mich noch jetzt in Ihrer Gegenwart beunruhigt, beängstigt!«—
Kreisler stand da, tief erschüttert, keines Wortes mächtig. Von je her hatte er die fixe Idee, daß der Wahnsinn auf ihn lauere, wie ein nach Beute lechzendes Raubtier, und ihn einmal plötzlich zerfleischen werde; er erbebte nun in demselben Grausen, das die Prinzessin bei seinem Anblick erfaßt, vor sich selbst, rang mit dem schauerlichen Gedanken, daß er es gewesen, der die Prinzessin in der Raserei ermorden wollen.
Nach einigen Augenblicken des Schweigens fuhr die Prinzessin fort:»Der unglückliche Leonhard liebte insgeheim meine Mutter, und diese Liebe, schon selbst Wahnsinn, brach zuletzt aus in Wut und Raserei.«
«So«, sprach Kreisler sehr weich und mild wie er pflegte, wenn ein Sturm im Innern vorübergegangen,»so war in Leonhards Brust nicht die Liebe des Künstlers aufgegangen.«
«Was wollen Sie damit sagen, Kreisler«, fragte die Prinzessin, indem sie sich rasch umwandte.
«Als ich«, erwiderte Kreisler sanft lächelnd,»einst in einem hinlänglich toll lustigen Schauspiel einen Witzbold von Diener die Spielleute mit der süßen Anrede beehren hörte: ›Ihr guten Leute und schlechten Musikanten‹, teilte ich, wie der Weltenrichter, flugs alles Menschenvolk in zwei verschiedene Haufen, einer davon bestand aber aus den guten Leuten, die schlechte, oder vielmehr gar keine Musikanten sind, der andere aber aus den eigentlichen Musikanten. Doch niemand sollte verdammt, sondern alle sollten selig werden, wiewohl auf verschiedene Weise. – Die guten Leute verlieben sich leichtlich in ein paar schöne Augen, strecken beide Arme aus nach der angenehmen Person, aus deren Antlitz besagte Augen strahlen, schließen die Holde ein in Kreise, die, immer enger und enger werdend, zuletzt zusammenschrumpfen zum Trauring, den sie der Geliebten an den Finger stecken als pars pro toto – Sie verstehen einiges Latein, gnädigste Prinzeß – als pars pro toto sag' ich, als Glied der Kette, an der sie die in Liebeshaft Genommene heimführen in das Ehestandsgefängnis. Dabei schreien Sie denn ungemein: ›O Gott!‹ – oder ›o Himmel!‹ oder, sind sie der Astronomie ergeben, ›o ihr Sterne!‹ oder haben sie Inklination zum Heidentum, ›o all' ihr Götter! sie ist mein, die Schönste, all' mein sehnend Hoffen erfüllt!‹ – Also lärmend, gedenken die guten Leute es nachzumachen den Musikanten, jedoch vergebens, da es mit der Liebe dieser durchaus sich anders verhält. – Es begibt sich wohl, daß besagten Musikanten unsichtbare Hände urplötzlich den Flor wegziehen, der ihre Augen verhüllte, und sie erschauen, auf Erden wandelnd, das Engelsbild, das, ein süßes unerforschtes Geheimnis, schweigend ruhte in ihrer Brust. Und nun lodert auf in reinem Himmelsfeuer, das nur leuchtet und wärmt, ohne mit verderblichen Flammen zu vernichten, alles Entzücken, alle namenlose Wonne des höheren aus dem Innersten emporkeimenden Lebens, und tausend Fühlhörner streckt der Geist aus in brünstigem Verlangen, und umnetzt die, die er geschaut, und hat sie, und hat sie nie, da die Sehnsucht ewig dürstend fortlebt! – Und sie, sie selbst ist es, die Herrliche, die, zum Leben gestaltete Ahnung, aus der Seele des Künstlers hervorleuchtet als Gesang – Bild – Gedicht! – Ach, Gnädigste, glauben Sie mir, sein Sie überzeugt, daß wahre Musikanten, die mit ihren leiblichen Armen und den daran gewachsenen Händen nichts tun, als passabel musizieren, sei es nun mit der Feder, mit dem Pinsel oder sonst, in der Tat nach der wahrhaften Geliebten nichts ausstrecken, als geistige Fühlhörner, an denen weder Hand noch Finger befindlich, die mit konvenabler Zierlichkeit einen Trauring erfassen und anstecken könnten an den kleinen Finger der Angebeteten; schnöde Mesalliancen sind daher durchaus nicht zu befürchten, und scheint ziemlich gleichgültig, ob die Geliebte, die in dem Innern des Künstlers lebt, eine Fürstin ist oder eine Bäckerstochter, insofern letztere nur keine Eule. Besagte Musikanten schaffen, sind sie in Liebe gekommen, mit der Begeisterung des Himmels, herrliche Werke und sterben weder elendiglich dahin an der Schwindsucht, noch werden sie wahnsinnig. Sehr verdenke ich es daher dem Herrn Leonhard Ettlinger, daß er in einige Raserei verfiel, er hätte, nach der Art echter Musikanten, die durchlauchtige Frau Fürstin ohne allen Nachteil lieben können, wie er nur wollte!«
Die humoristischen Töne, die der Kapellmeister anschlug, gingen bei dem Ohr der Prinzessin vorüber, unvernommen oder übertönt von dem Nachhall der Saite, die er berührt, und die, in der weiblichen Brust schärfer gespannt, stärker vibrieren mußte als alle übrigen.
«Die Liebe des Künstlers«, sprach sie, indem sie niedersank in den Lehnstuhl und wie im Nachsinnen den Kopf auf die Hand stützte,»die Liebe des Künstlers! – so geliebt zu werden! – o es ist ein schöner herrlicher Traum des Himmels – nur ein Traum, ein leerer Traum.«—
«Sie scheinen«, nahm Kreisler das Wort,»Gnädigste, für Träume eben nicht sehr portiert, und doch sind es lediglich die Träume, in denen uns recht die Schmetterlingsflügel wachsen, so daß wir dem engsten, festesten Kerker zu entfliehen, uns bunt und glänzend in die hohen, in die höchsten Lüfte zu erheben vermögen. Jeder Mensch hat doch am Ende einen angebornen Hang zum Fliegen, und ich habe ernste honette Leute gekannt, die am späten Abend sich bloß mit Champagner, als einem dienlichen Gas, füllten um in der Nacht, Luftballon und Passagier zugleich, aufsteigen zu können.«—
«Sich so geliebt zu wissen«, wiederholte die Prinzessin noch bewegter als vorher.
«Und«, sprach, als die Prinzessin schwieg, Kreisler weiter, was die Liebe des Künstlers betrifft, wie ich sie zu schildern mich bemüht, so haben Sie, Gnädigste! freilich das böse Beispiel des Herrn Leonhard Ettlinger vor Augen, der Musikant war, und lieben wollte wie die guten Leute, worüber sein schöner Verstand freilich etwas wacklicht werden konnte, aber eben deshalb mein ich, war Herrn Leonhard kein echter Musikant. Diese tragen die erkorne Dame im Herzen und wollen nichts als ihr zu Ehren singen, dichten, malen, und sind in der vorzüglichsten Courtoisie den galanten Rittern zu vergleichen, ja was unschuldsvolle Gesinnung betrifft, ihnen vorzuziehen, da sie nicht verfahren wie sonst diese, die blutdürstiger Weise, waren nicht gleich Riesen, Drachen bei der Hand, die schätzbarsten Leute niederstreckten in den Staub, um der Herzensdame zu huldigen!«—
«Nein«, rief die Prinzessin, wie erwachend aus einem Traum,»es ist unmöglich, daß in der Brust des Mannes ein solch reines Vestas Feuer sich entzünden sollte! – Was ist die Liebe des Mannes anders, als die verräterische Waffe, die er gebraucht, einen Sieg zu feiern, der das Weib verdirbt, ohne ihn zu beglücken.«—
Kreisler wollte sich eben über solche absonderlichen Gesinnungen einer siebzehn-, achtzehnjährigen Prinzessin höchlich verwundern, als die Türe aufging, und Prinz Ignatius hineintrat.
Der Kapellmeister war froh, ein Gespräch zu enden, das er sehr gut mit einem wohleingerichteten Duett verglich, in dem jede Stimme ihrem eigentümlichen Charakter getreu bleiben muß. Während die Prinzessin, so behauptete er, im wehmütigen Adagio beharrt, und nur hie und da einen Mordent, einen Pralltriller angebracht, sei er als ein vorzüglicher Buffo und erzkomischer Chanteur mit einer ganzen Legion kurzer Noten parlando dazwischengefahren, so daß er, da das Ganze ein wahres Meisterstück der Komposition und der Ausführung zu nennen, nichts weiter gewünscht, als der Prinzessin und sich selbst zuhören zu können aus irgendeiner Loge oder einem schicklichen Sperrsitz.