– Es ist hier nachzuholen, daß Liscov großen Geschmack fand an allerlei wunderlichen Spielereien, und den Johannes damit sehr ergötzte. Schon, als Johannes noch ein Kind, pflegte Liscov bei jedem Besuch ihm irgend etwas Seltsames mitzubringen.
Empfing das Kind bald einen Apfel, der in hundert Stücke zerfiel, wenn er abgeschält wurde, oder irgendein seltsam geformtes Backwerk, so wurde der erwachsene Knabe bald mit diesem, bald mit jenem überraschenden Kunststück aus der natürlichen Magie erfreut, so half der Jüngling optische Maschinen bauen, sympathetische Tinten kochen usw. An der Spitze der mechanischen Künsteleien, die der Orgelbauer für den Johannes verfertigte, stand aber ein Positiv mit achtfüßigem Gedackt, dessen Pfeifen von Papier geformt, das mithin jenem Kunstwerk des alten Orgelbauers aus dem siebzehnten Jahrhundert, Eugenius Casparini geheißen, glich, welches in der kaiserlichen Kunstkammer in Wien zu sehen. Liscovs seltsames Instrument hatte einen Ton, dessen Stärke und Anmut unwiderstehlich hinriß, und Johannes versichert noch, daß er niemals darauf spielen können, ohne in die tiefste Bewegung zu geraten, und daß ihm dabei manche wahrhaft fromme Kirchenmelodie hell aufgegangen. —
Auf diesem Positiv mußte Johannes nun dem Orgelbauer vorspielen. Nachdem er, wie Liscov verlangt, ein paar Choräle gespielt, fiel er in den Hymnus:»Misericordias Domini cantabo«, den er vor wenigen Tagen gesetzt. – Da Johannes geendet, so sprang Liscov auf, drückte ihn stürmisch an die Brust, rief laut lachend:»Hasenfuß, was foppst Du mich mit Deiner lamentablen Cantilena? Wär' ich nicht immer und ewig Dein Kalkant gewesen, nichts Vernünftiges hättest Du jemals herausgebracht. – Aber nun renne ich fort, und lasse Dich im Stich ganz und gar, und Du magst Dir in der Welt einen andern Kalkanten suchen, der es mit Dir so gut meint als ich!«– Dabei standen ihm die hellen Tränen in den Augen. Er sprang zur Türe hinaus, die er sehr heftig zuschlug. Dann steckte er aber nochmals den Kopf hinein und sprach sehr weich:»Es kann nun einmal nicht anders sein. – Adieu Johannes! – Wenn der Oheim seine rotgeblümte Gros de Tours Weste vermißt, so sage nur, ich hätte sie gestohlen, und ließe mir daraus einen Turban machen, um dem Groß-Sultan vorgestellt zu werden! – Adieu Johannes!«– Kein Mensch konnte begreifen, warum Herr Liscov so plötzlich die angenehme Stadt Göniönesmühl verlassen, warum er niemanden entdeckt, wohin er sich zu wenden entschlossen.
Der Oheim sprach:»Längst hab' ich vermutet, daß der unruhige Geist sich auf und davon machen würde, denn er hält es, unerachtet er schöne Orgeln verfertigt, doch nicht mit dem Spruch: Bleibe im Lande und nähre dich redlich! – Es ist nur gut, daß unser Flügel im Stande; nach dem überspannten Menschen selbst frag' ich nicht viel!«– Anders dachte wohl Johannes, dem Liscov überall fehlte, und dem nun ganz Göniönesmühl ein totes, düstres Gefängnis dünkte.
So kam es, daß er den Rat des Orgelbauers befolgen, und sich in der Welt einen andern Kalkanten suchen wollte. Der Oheim meinte, da er seine Studien vollendet, könne er in der Residenz sich unter den Fittich des Geheimen-Legationsrates begeben und vollends ausbrüten lassen. – Es geschah so! —
– In diesem Augenblick ärgert sich gegenwärtiger Biograph über alle Maßen, denn indem er an den zweiten Moment aus Kreislers Leben kommt, von dem er Dir, geliebter Leser, zu erzählen versprochen, nämlich, wie Johannes Kreisler den wohlerworbenen Posten eines Legationsrates verlor, und gewissermaßen aus der Residenz verwiesen wurde, wird er gewahr, daß alle Nachrichten, die ihm darüber zu Gebote stehen, ärmlich, dürftig, seicht, unzusammenhängend sind. —
Es genügt indessen am Ende wohl, zu sagen, daß, bald nachdem Kreisler in die Stelle seines verstorbenen Oheims getreten, und Legationsrat geworden, ehe man sich's versah, ein gewaltiger gekrönter Koloß den Fürsten in der Residenz heimsuchte, und ihn als seinen besten Freund so innig und herzlich in seine eisernen Arme schloß, daß der Fürst darüber den besten Teil seines Lebensatems verlor. Der Gewaltige hatte in seinem Tun und Wesen etwas ganz Unwiderstehliches, und so kam es, daß seine Wünsche befriedigt werden mußten, sollte auch, wie es wirklich geschah, darüber alles in Not und Verwirrung geraten. Manche fanden die Freundschaft des Gewaltigen etwas verfänglich, wollten sich wohl gar dagegen auflehnen, gerieten aber selbst darüber in das verfängliche Dilemma, entweder die Vortrefflichkeit jener Freundschaft anzuerkennen, oder außerhalb Landes einen andern Standpunkt zu suchen, um vielleicht den Gewaltigen im richtigeren Licht zu erblicken.
Kreisler befand sich unter diesen.
Trotz seines diplomatischen Charakters hatte Kreisler geziemliche Unschuld konserviert, und eben deshalb gab es Augenblicke, in denen er nicht wußte, wozu sich entschließen. Eben in einem solchen Augenblick erkundigte er sich bei einer hübschen Frau in tiefer Trauer, was sie überhaupt von Legationsräten halte? Sie erwiderte vieles in zierlichen, artigen Worten; am Ende kam aber so viel heraus, daß sie von einem Legationsrat gar nicht viel halten könne, sobald er sich auf enthusiastische Weise mit der Kunst beschäftige, ohne sich ihr ganz zuzuwenden.
«Vortrefflichste der Witwen«, sprach darauf Kreisler,»ich reiße aus!«
Als er bereits Reisestiefel angezogen und mit dem Hute in der Hand sich empfehlen wollte, nicht ohne Rührung und gehörigen Abschiedsschmerz, steckte ihm die Witwe den Ruf zur Kapellmeisterstelle bei dem Großherzog, der das Ländchen des Fürsten Irenäus verspeist, in die Tasche.
Kaum ist es nötig, hinzuzufügen, daß die Dame in Trauer niemand anders war, als die Rätin Benzon, die eben des Rates verlustig geworden, da der Gemahl verstorben.
Merkwürdigerweise trug es sich zu, daß die Benzon eben zu der Zeit als —
(M. f. f.) – Ponto geradezu auf das Brot und Würste feilhaltende Mädchen loshüpfte, die mich, da ich freundlich bei ihr zulangte, beinahe tot geschlagen.»Mein Pudel Ponto, mein Pudel Ponto, was tust du, nimm dich in acht, hüte dich vor der herzlosen Barbarin, vor dem rachedürstenden Wurstprinzip!«– So rief ich hinter Ponto her – ohne auf mich zu achten, setzte er aber seinen Weg fort – und ich folgte in der Ferne, um, sollte er in Gefahr geraten, mich gleich aus dem Staube machen zu können. – Vor dem Tisch angekommen, richtete sich Ponto auf den Hinterfüßen in die Höhe – und tänzelte in den zierlichsten Sprüngen um das Mädchen her, die sich darüber gar sehr erfreute. Sie rief ihn an sich, er kam, legte den Kopf in ihren Schoß, sprang wieder auf, bellte lustig, hüpfte wieder um den Tisch, schnupperte bescheiden, und sah dem Mädchen freundlich in die Augen.
«Willst du ein Würstchen, artiger Pudel?«So fragte das Mädchen, und als nun Ponto anmutig schwänzelnd laut aufjauchzte, nahm sie zu meinem nicht geringen Erstaunen eine der schönsten, größten Würste, und reichte sie dem Ponto dar. Dieser tanzte wie zur Danksagung noch ein kurzes Ballett, und eilte dann zu mir mit der Wurst, die er mit den freundlichen Worten hinlegte:»Da, iß, erquicke dich Bester!«Nachdem ich die Wurst verzehrt, lud mich Ponto ein, ihm zu folgen, er wolle mich zurückführen zum Meister Abraham.
Wir gingen langsam nebeneinander her, so daß es uns nicht schwer fiel, wandelnd, vernünftige Gespräche zu führen.
«Ich seh' es wohl ein«, (so begann ich die Unterredung)»daß du, geliebter Ponto, es viel besser verstehst, in der Welt fortzukommen, als ich. Nimmermehr würd' es mir gelungen sein, das Herz jener Barbarin zu rühren, welches dir so ungemein leicht wurde. Doch verzeih! – In deinem ganzen Benehmen gegen die Wurstverkäuferin lag doch etwas, wogegen mein innerer mir angeborner Sinn sich auflehnt. Eine gewisse unterwürfige Schmeichelei, ein Verleugnen des Selbstgefühls, der edleren Natur – nein! guter Pudel, nicht entschließen könnte ich mich, so freundlich zu tun, so mich außer Atem zu setzen mit angreifenden Manövers, so recht demütig zu betteln, wie du es tatest. Bei dem stärksten Hunger, oder wenn mich ein Appetit nach etwas Besonderem anwandelt, begnüge ich mich, hinter den Meister auf den Stuhl zu springen, und meine Wünsche durch ein sanftes Knurren anzudeuten. Und selbst dies ist mehr Erinnerung an die übernommene Pflicht, für meine Bedürfnisse zu sorgen, als Bitte um eine Wohltat.«